Etwa 1,7 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten in einem Pflegeberuf. Ein Fünftel davon sind Arbeitskräfte aus dem Ausland. Sie kommen häufig aus der Ukraine, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bosnien, Rumänien und Bulgarien. Für den Wissenschaftler Ulf Brunnbauer vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropastudien (IOS) in Regensburg sind auch diese Gesellschaften “durch eine rapide Alterung gekennzeichnet”, sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das professionelle Anheuern von Pflegekräften aus diesen Staaten sei deshalb im Grunde “eine Verlagerung des Problems”, weil auch sie einen weiter steigenden Pflegebedarf haben.

Aufgrund der starken Rekrutierung fehlten in den Balkanstaaten Fachkräfte. Niemand sei mehr da, der die alten Menschen pflegt, sagte Brunnbauer. Dies sei traditionell im Rahmen der Familie geschehen, doch die jungen Familienmitglieder seien oft ins Ausland abgewandert. Bulgarien beispielsweise, einst ein Land mit neun Millionen Einwohnern, zählt heute 6,8 Millionen Einwohner und wird bis 2050 voraussichtlich auf weniger als sechs Millionen schrumpfen. Das befördere große soziale Ängste in diesen Gesellschaften, sagte Brunnbauer. Er untersucht die “Veränderungen der Ängste vor dem Altern in Südosteuropa” im Rahmen einer Studie zusammen mit Universitäten in Graz, Budapest und Sofia.

Brunnbauer: Bräuchte viel mehr Einwanderung

Die Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit würden in den Balkanstaaten unterdessen politisch instrumentalisiert. So machten sich in jüngster Zeit vor allem rechtspopulistische Kräfte daran, “nationalistische Botschaften und einfache Rezepte” zu verbreiten, so Brunnbauer weiter. “Sie sprechen gerne von Nation und malen die Gefahr von Umvolkung durch Einwanderung an die Wand.” Um den Bevölkerungsrückgang zu verlangsamen, bräuchte es Brunnbauer zufolge “viel mehr Einwanderung”.

Auch in jenen Regionen Deutschlands, wo die Menschen besonders immigrationsskeptisch sind, würden die lokalen sozialen und ökonomischen Probleme nur größer, weil Fachkräfte fehlten. Das sehe man bereits im Pflegebereich in den ostdeutschen Ländern: “Der Anteil der ausländischen Pflegekräfte ist dort viel geringer als im Rest der Republik.” Das verstärke den Pflegenotstand weiter und mache wiederum die Leute noch frustrierter, “weil sie enttäuscht sind, dass der Staat ihnen kein Altern in Würde ermöglicht”.

Brunnbauer forderte ein Umdenken, auch in der migrationspolitischen Debatte, die sich ausschließlich auf die irreguläre Migration fokussiere, ohne zu betonen, dass ein Großteil der Zuwanderung in geregelten Bahne verlaufe. Bis zur Mitte des Jahrhunderts drohe Deutschland ein Pflegenotstand, weil bis zu 600.000 Pflegekräfte fehlten. Diese Lücke könne nur geschlossen werden, wenn Deutschland attraktiv genug für Pflegekräfte aus dem Ausland ist. Die Konkurrenz um Pflegekräfte sei stark gewachsen, “denn der Pflegebedarf steigt überall”, so Brunnbauer.