Die Zukunft der deutschen Stahlindustrie wird zur Chefsache: Am Donnerstag treffen sich Spitzenvertreter der Branche mit dem Bundeskanzler, Ministern und Ministerpräsidenten sowie führenden Gewerkschaftern im Berliner Kanzleramt, um über die Krise bei den deutschen Stahlherstellern zu beraten. Trotz seines Beinbruchs will auch Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) an dem “Stahlgipfel” teilnehmen. Denn auch für das kleinste Bundesland steht viel auf dem Spiel: “Die Lage ist ernst”, meint Bovenschulte. “Es geht um nicht weniger als um die Zukunft der Stahlindustrie.”

Worum geht es auf dem Stahlgipfel?

Die deutschen Hüttenwerke produzieren seit vier Jahren auf “Rezessionsniveau”, beklagt ihr Branchenverband, die Wirtschaftsvereinigung Stahl – weniger als 40 Millionen Tonnen im Jahr. Viele Werke schreiben zurzeit rote Zahlen, weil die Anlagen nicht ausgelastet sind. Marktführer Thyssen-Krupp will seine Produktionskapazitäten reduzieren und Personal abbauen – einige Branchenbeobachter stellen die Zukunft der Stahlproduktion in Deutschland bereits infrage. Auf dem Stahlgipfel soll es darum gehen, ob und wie die Politik den Stahlherstellern helfen kann, wieder gewinnbringend Stahl in Deutschland zu produzieren.

Was sind die Gründe für die Krise der Stahlindustrie?

Zum einen die anhaltende Wirtschaftsflaute: Wo weniger gebaut und produziert wird, wird auch weniger Stahl benötigt. Mit der Automobilindustrie steckt zudem einer der Hauptkunden der Stahlhersteller besonders tief in der Krise. Verschärft wird die Situation durch die hohen Energiepreise in Deutschland: Strom kostet mehr als doppelt so viel wie etwa im Nachbarland Frankreich; Erdgas ist fünfmal so teuer wie in den USA. Das macht den deutschen Stahl teurer. Und schließlich drängen große Mengen billigen Importstahls auf den deutschen Markt: Fast jede dritte Tonne Stahl, die in Deutschland verkauft wird, wurde im Ausland produziert. Vor allem asiatische Hersteller suchen nach Absatzmärkten für ihre Überproduktion – die hohen US-Zölle lenken seit Monaten noch mehr dieser überschüssigen Mengen nach Europa.

Was fordert die Stahlindustrie von der Politik?

Zum einen die Einführung eines “Industriestrompreises”, der mit den Stromkosten in den Nachbarländern mithalten kann. Nach Lage der Dinge müsste dieser vergünstigte Preis subventioniert werden – das heißt, vom Steuerzahler oder den anderen Stromkunden finanziert werden. Das ist nicht unumstritten, auch wenn die Gewerkschaft IG Metall und die Ministerpräsidenten der stahlproduzierenden Länder – einschließlich Bremens Bürgermeister Bovenschulte – in dieselbe Kerbe hauen. Zum anderen fordert die Stahlbranche eine Reduzierung der Importe durch Einfuhrkontingente und/oder höhere Zölle. Stahlverarbeiter wie die Autoindustrie freuen sich dagegen über den preisgünstigen Stahl aus dem Ausland.

Was sagt die Politik?

Die EU-Kommission hat Anfang Oktober Vorschläge vorgelegt, wie die Einfuhr von Billigstahl reduziert werden könnte. Danach soll die Menge des zollfrei importierten Stahls halbiert werden; auf jede Tonne, die darüber hinausgeht, werden hohe Zölle fällig. Die Stahlindustrie hat die Vorschläge begrüßt. Schwieriger ist es beim Industriestrompreis. Weil es um eine Beihilfe geht, muss auch hier die EU zustimmen. Und die will bislang nur die Hälfte des jährlichen Stromverbrauchs eines Industrieunternehmens mit bis zu 50 Prozent subventionieren lassen – und das auch nur für maximal drei Jahre. Zu wenig, sagt die Stahlindustrie. In dieser Woche verkündete Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), man liege bei den Verhandlungen mit der Kommission in den letzten Zügen und werde den Industriestrompreis voraussichtlich zum 1. Januar 2026 einführen. Details nannte sie noch nicht. Die Kosten dürften jedenfalls in die Milliarden gehen.

Was wird aus dem “grünen” Stahl?

Die Stahlindustrie gilt mit ihren kohlebefeuerten Hochöfen als einer der Hauptverursacher von CO2-Emissionen. Die EU will den Ausstoß von Treibhausgasen in den kommenden Jahren schrittweise verteuern, indem die dafür notwendigen Zertifikate verknappt werden. Die Stahlindustrie hat sich deshalb auf den Weg gemacht, ihre Hütten auf die Produktion von “grünem”, CO2-arm hergestelltem Stahl umzurüsten. Mit Milliardeninvestitionen und hohen staatlichen Hilfen bauen Thyssen-Krupp, Salzgitter und Saarstahl gerade die dafür nötigen Anlagen – Arcelor-Mittal hat sich dagegen entschieden und die Modernisierung der Bremer Hütte vorerst abgesagt. Im Moment scheint die Zukunft des EU-Emissionshandels unklar – es mehren sich die Stimmen, die für eine Lockerung der Vorgaben plädieren, weil sie der europäischen Industrie im Wettbewerb mit China und den USA zu große Kostennachteile bescherten.

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