Replik zu Andreas Kunz –
Klima? Nennen wirs Heimat
Das Klimathema sei vorbei, der neue Realismus tue gut, war in den letzten Tagen verschiedentlich zu lesen. Das sei faktisch – und wissenschaftlich – falsch, schreibt die grüne Nationalrätin Aline Trede.
Aline Trede
Publiziert heute um 18:05 Uhr

Aline Trede, die Nationalrätin der Grünen, kandidiert für den Berner Regierungsrat.
Foto: Raphael Moser
Die neuen Klimaszenarien für die Schweiz sind da. Sie zeigen klipp und klar: Die Schweiz ist stärker betroffen von der Klimaerhitzung als andere Länder. Es geht alles noch etwas schneller als bisher angenommen. Und unsere gesetzlichen Grundlagen reichen bislang nicht aus, damit wir die Klimaerhitzung global auf 1,5 Grad eindämmen können. Und selbst in diesem Best Case würde sich die Schweiz sogar um 2,9 Grad erwärmen.
Trotz dieser dramatischen Ausgangslage liest man immer häufiger, dass das Klimathema vorbei sei, dass der neue Klimarealismus guttue, wie im Text von Andreas Kunz in dieser Zeitung, oder dass die Klimaerwärmung für die Bauern nicht schlecht sei, wie Marcel Dettling, Präsident der SVP Schweiz, gegenüber der NZZ sagte.
Klimaschutz geht uns alle an
Das alles ist nicht nur wissenschaftlich gesehen, sondern auch faktisch falsch, denn die Stimmbevölkerung hat sich an der Urne immer wieder für mehr Klimaschutz ausgesprochen – beim Klimaschutzgesetz, beim Stromgesetz und beim Autobahn-Referendum. Auch die Umfragen zeigen, dass das Klima weiter zu den grössten Sorgen der Bevölkerung gehört. Es sind konservative Kräfte und nicht die Bevölkerung, die den Klimaschutz kleinreden.
Klimaschutz geht uns alle an. Sie kennen es sicher, das wunderbare Gefühl, auf einem Berg zu stehen. Die Weite, die reine Luft, der Duft nach Berggewächsen. Freiheit. Oder, wenn der Berg in Schnee gehüllt ist, die Ruhe und das Glitzern der Schneekristalle?
In diesen Momenten wissen wir, dass unser Planet einzigartig ist, ein Wunder der Natur. Dass ein Ökosystem empfindlich und trotzdem stark ist, voll von genialen Abläufen und effizienten, ressourcenschonenden Zyklen. Es lohnt sich, dafür einzustehen, dass solche Momente in unserem Land weiter möglich sein werden.
Lange Zeit hiess es: der Wille, etwas zu tun, fehle, weil die Auswirkungen des Klimawandels nicht ersichtlich seien. Das können wir seit mehreren Jahren in keinem Land mehr behaupten, erst recht nicht in der Schweiz.
Im Sommer führte ein Gletscherabbruch und ein darauf folgender Erdrutsch zur Verschüttung eines ganzen Dorfes – von Blatten. Weitere Überschwemmungen und Erdrutsche gab es etwa in Schwanden GL, im bernischen und im bündnerischen Brienz. Einige Dörfer sind noch immer in Alarmbereitschaft. Menschen müssen ein neues Zuhause suchen.

Das Bild der Zerstörung nach dem Bergsturz von Blatten VS im Juni 2025.
Foto: Raphael Moser
Weltweit nehmen die Auswirkungen der Klimaerhitzung zu: In diesem Jahr gab es verheerende Waldbrände in Kalifornien, einen Hurrikan der Kategorie fünf in Jamaika und Monsunregen mit tödlichen Folgen in Pakistan, Nepal und Indien. Spanische Städte wurden mehrfach von Überschwemmungen heimgesucht, zum ersten Mal überhaupt ist die kalte Ozeanströmung bei Panama ausgeblieben.
Nächste internationale Klimakonferenz mit Albert Rösti
Mittlerweile droht die Welt die ersten Kipppunkte zu überschreiten. Kipppunkte sind dann erreicht, wenn ein Ökosystem nicht mehr im Gleichgewicht ist und irreversibel geschädigt wird. Heute beobachten wir das bei den Korallenriffen. Weitere Kipppunkte werden folgen, wenn wir weitermachen wie bisher. Wenn ein Ökosystem kollabiert, hat das immer Konsequenzen: Menschen, Tiere, Pflanzen und Pilze verlieren ihre Lebensgrundlage.
Angesichts der neusten Szenarien sollten gerade Konservative aufschrecken. Denn wenn wir jetzt nicht handeln, dann verändert sich am meisten.
Zehn Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen findet nun die nächste internationale Klimakonferenz in Belém in Brasilien statt. Am Tor zur Lunge der Welt, dem Amazonas-Regenwald. Die Schweiz ist mit Bundesrat Albert Rösti (SVP) vertreten. Er sollte sich dort entschieden für die internationale Klimafinanzierung und eine wissenschaftsbasierte Politik einsetzen. Eine solche ist auch in der Schweiz notwendig, denn wir sind noch nicht auf Kurs. Das neue CO₂-Gesetz, das der Bundesrat dem Parlament vorschlägt, reicht nicht ansatzweise aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.
Die Schweiz ist übermässig von der Klimaerhitzung betroffen, sie macht aber eine unterdurchschnittliche Klimapolitik. Wenn wir jetzt handeln, können wir die Erhitzung stabilisieren. Wir sollten versuchen, unsere Heimat zu schützen – damit Glücksgefühle auf Schneebergen, ein Leben in Bergdörfern und in Städten weiterhin möglich sind.
Die Bernerin Aline Trede ist Nationalrätin und Präsidentin der Grünen-Fraktion im Bundeshaus.
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