Als Verteidigungsminister hat Helmut Schmidt eine Reform der damals noch jungen Bundeswehr angestoßen und sie für demokratische Reformen geöffnet. Warum war ihm das wichtig?

Als die Bundeswehr Mitte der 50er Jahre gegründet wurde, durfte sie nach Schmidts Überzeugung eben kein Staat im Staate sein, wie es die Armee vor 1945 und auch in der Weimarer Republik gewesen war. Es durfte kein Kadavergehorsam herrschen, sondern die Bundeswehr musste eine Parlamentsarmee sein. Dieser Ansatz überzeugt bis heute. Schmidt war zudem das Leitbild „Staatsbürger in Uniform“ wichtig, also dass Soldaten und mittlerweile ebenso Soldatinnen ihre Rechte und Pflichten nicht abgeben, nur weil sie zur Bundeswehr gehen. Für Helmut Schmidt gehörte auch eine akademische Bildung der Offiziere dazu, weshalb er sich für die Gründung von Bundeswehrhochschulen starkmachte. Heute sind das die Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und in München.

Spielte dabei auch eine Rolle, die Attraktivität der Bundeswehr zu steigern, was ja heute ein aktuelles Thema ist?

Durchaus. Schmidt beschäftigten die sogenannten KDVer sehr, also die Kriegsdienstverweigerer. Die gab es, wenn auch in sehr geringem Umfang, auch schon in den 60er Jahren. Für Schmidt war das alarmierend. In seinem Briefwechsel mit Willy Brandt beklagt er wiederholt, dass es zu viele Kriegsdienstverweigerer gebe und forderte ab 1969 als Verteidigungsminister den Kanzler zum Handeln auf. Darüber hinaus versuchte er seinerseits, die Attraktivität der Bundeswehr zu steigern. Während seiner Amtszeit gab es unter anderem den sogenannten Haarnetzerlass, dass also Wehrdienstleistende ihre langen Haare nicht abschneiden mussten. Dafür kaufte die Bundeswehr hunderttausende Haarnetze zum Preis von 50 Pfennig das Stück. Eines haben wir als Objekt in unserer Ausstellung. Es soll noch heute bei der Bundeswehr Lagerbestände geben.

Wie kam der Erlass in der Bundeswehr an?

Es gab wenig überraschend Bedenkenträger in der Bundeswehr und auch in der alten Generalität. Es wurden hygienische Gutachten ins Feld geführt, dass sich in den langen Haaren Ungeziefer festsetzen würde. Überdies wurde kritisiert, die Bundeswehr würde jetzt viel mehr Wasser verbrauchen, weil die langen Haare ja gewaschen werden müssten. Der „Spiegel“ spottete über die „German Hair Force“. Der Erlass hielt dann nur 15 Monate.

Die Bedrohungslage in der Welt nimmt seit Russlands Einmarsch in der Ukraine wieder zu. Die Hoffnung, Deutschland sei „von Freunden umzingelt“ hat sich zerschlagen. Was lässt sich aus dem Handeln Schmidts für unsere Zeit lernen?

Man muss ganz klar sagen: Putin ist nicht Breschnew und das Jahr 2025 sind nicht die 60er und 70er Jahre. Willy Brandt hat schon darauf hingewiesen, dass jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht. Insofern ist es mit dem Lernen aus Vergangenem immer schwierig. Trotzdem lässt sich eines aus Schmidts Handeln sicher ableiten, wie man Putins aggressivem Vorgehen begegnen kann: mit einer Politik der Stärke, also mit militärischem Abschreckungspotenzial bei gleichzeitiger Verhandlungsbereitschaft.