Der ehemalige Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat in seinen Memoiren „On My Watch” den „schmerzhaften Moment” im Februar 2022 beschrieben, als er die verzweifelte Bitte des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj um die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine ablehnen musste. Dies berichtet die britische Sunday Times.
Laut Stoltenberg fürchtete er, dass das Telefonat mit Selenskyj, der sich damals in einem Bunker in Kiew befand, dessen letztes Gespräch sein könnte. Der Westen habe um Selenskyjs Leben gebangt.
Selenskyj wollte Hilfe der Nato-Luftwaffe
Selenskyj habe argumentiert, dass die Nato schon in der Vergangenheit den Luftraum über bestimmten Ländern geschlossen habe, um Zivilisten zu schützen – etwa über Bosnien-Herzegowina und dem Nordirak zum Schutz der Kurden. Doch Stoltenberg lehnte ab.
Er erklärte, dass für eine Flugverbotszone zunächst die russischen Luftabwehrsysteme in Belarus und Russland hätten zerstört werden müssen, da westliche Kampfjets sonst nicht sicher über der Ukraine hätten operieren können. Zudem hätte die Nato jedes russische Flugzeug oder jeden Hubschrauber abschießen müssen, was einen umfassenden Krieg zwischen der Nato und Russland bedeutet hätte.
Veto von Joe Biden
US-Präsident Joe Biden habe es laut Stoltenberg so formuliert, dass man wegen der Ukraine keinen Dritten Weltkrieg riskieren werde.
Stoltenberg vertritt in seinen Memoiren die Position, dass die Nato der Ukraine zu spät und zu wenig geholfen habe. Hätte das Bündnis Kiew nach der Annexion der Krim 2014 mehr militärische Unterstützung gewährt, hätte Russlands Überfall 2022 möglicherweise verhindert werden können, so seine Mutmaßung.
Eine diplomatische Lösung mit Kiew und Moskau behandelt er de Quelle zufolge zunächst nicht.
Dann kam die Waffenhilfe und der Krieg
Stoltenberg plädiert vielmehr dafür, die Ukraine stärker auf dem Schlachtfeld zu unterstützen, um Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen. Präsident Selenskyj habe Gespräche und einen Waffenstillstand angeboten, was Putin bisher ablehne. Nur wenn sich die militärische Lage ändere, werde Putin seine Kalkulation ändern, so Stoltenbergs Mutmaßung, die sich mit dem vorherrschenden Nato-Narrativ deckt.
Eine Flugverbotszone ist ein Luftraum, in dem militärische oder zivile Flugzeuge nicht fliegen dürfen. Sie wird meist aus humanitären oder sicherheitspolitischen Gründen verhängt – etwa um Zivilisten in einem Konfliktgebiet vor Luftangriffen zu schützen.
Flugverbotszonen bergen Risiko der Eskalation
Die Durchsetzung einer solchen Zone ist jedoch militärisch heikel, weil sie mehr erfordert als eine bloße Erklärung: Sie muss aktiv überwacht und notfalls mit Waffengewalt durchgesetzt werden.
Dazu gehören der Einsatz von Radar, Kampfflugzeugen und gegebenenfalls der Abschuss feindlicher Maschinen. Damit wird eine Konfliktpartei de facto militärisch bekämpft – auch wenn das Ziel offiziell die Deeskalation oder der Schutz der Bevölkerung ist.