Europa und die Europäische Union. Das ist viel mehr als die sprichwörtliche Norm-Gurke oder die Debatte darüber, ob ein pflanzliches Produkt Burger heißen darf. „Europa hat ein Imageproblem“, sagt Andreas Wüste, Lehrer am Troisdorfer Heinrich-Böll-Gymnasium in Sieglar. Das Bild der Staatengemeinschaft zu verbessern und klarer zu machen, wofür Europa steht – das ist eine Aufgabe, der sich der Pädagoge seit zehn Jahren mit ganz besonderer Leidenschaft stellt.

In den ersten Jahren begegneten Troisdorfer Jugendliche Altersgenossen aus Spanien

2015 übernahm er die Koordination für das Europaseminar an „seiner“ Schule. Zum ersten Mal hatte die außergewöhnliche Schulfahrt aber schon 15 Jahre zuvor stattgefunden. In Straßburg trafen sich damals Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse mit Partnern aus Spanien, um Europa und seine Institutionen intensiv kennenzulernen. Nach nur zwei Jahren Testlauf fuhr erstmals die gesamte Jahrgangsstufe 10, heute die EF der Oberstufe. Auch in diesem Jahr waren 110 Schülerinnen und Schüler dabei, außerdem zehn Lehrerinnen und Lehrer.

Ein Mann vor einer roten Hauswand mit der Aufschrift Heinrich-Böll-Gymnasium, Troisdorf

Andreas Wüste betreut seit 2015 das Europaseminar des Heinrich-Böll-Gymnasiums in Troisdorf-Sieglar

Keine gewöhnliche Klassenfahrt liegt vor den Teilnehmenden, wenn sie ins Elsass aufbrechen. „Es ist eine Seminarveranstaltung“, betont Andreas Wüste, die Teilnahme für Schülerinnen und Schüler verpflichtend. Erste Station ist schon auf dem Weg das Hambacher Schloss bei Neustadt an der Weinstraße, eine Wiege der europäischen Demokratie. In Straßburg lernen die Reisenden die besondere Geschichte der Stadt und der Region kennen, die im Lauf der Zeit mal deutsch, mal französisch war.

Jugendliche aus Troisdorf besuchen auch KZ-Gedenkstätte

Ein halbes Jahr bereiten sich die Jugendlichen auf die Fahrt vor. Auch auf den Besuch der KZ-Gedenkstätte Natzweiler-Struthof. Dass hier die Schülerinnen und Schüler selbst Führungen erarbeiten und umsetzen können, ist übrigens einer der Gründe, weshalb das HBG nicht im deutlich näheren Brüssel Europa-Bildung betreibt.

Einer Familie aus Georgien mit einem behinderten Kind droht die Abschiebung, Merab Sharia mit seinem Sohn Bagrat

In den Monaten vor der Fahrt arbeiten alle Schülerinnen und Schüler zudem an Europa-Projekten, in denen Fächer wie Kunst oder Religion, Musik und Deutsch ebenso eine Rolle spielen können wie Geografie oder Sozialwissenschaften. Gemeinsam ist allen Projekten, dass sie einen Bezug zu Europa haben müssen. Stets geht es auch darum, Bezüge zur Lebenswirklichkeit der Jugendlichen zu zeigen. Für Andreas Wüste ist das „der Kern der Veranstaltung“, die Schüler identifizierten sich mit ihrem Projekt. 

Der Plenarsaal eines Parlaments.

Auch der Besuch des EU-Parlaments steht natürlich auf dem Programm der Fahrt nach Straßburg.

Natürlich stehen Besuche von Europa-Parlament und Europa-Rat auf dem Programm der fünftägigen Fahrt; Begegnungen mit Europaabgeordneten wie Axel Voss, einem CDU-Vertreter der Region. In einem Planspiel sollen die jungen Menschen in der Rolle von EU-Parlamentariern erfahren, wie schwierig und kompliziert die Entscheidungsfindung sein kann. Er wolle aber auch zeigen, sagt Wüste, „dass wir gemeinsam etwas Tolles aufbauen können.“

Derzeit herrsche die Perspektive vor, „was kann Europa für uns tun?“ sagt der Pädagoge mit Bedauern. Die Sichtweise „gemeinsam geht es besser“ sei weniger verbreitet. Ein Beispiel ist für ihn das Solidarsystem, das zur Verteilung Geflüchteter in den EU-Staaten nach jahrelangen Verhandlungen 2024 installiert wurde. Vielleicht sei der Besuch im EU-Parlament der einzige jemals für die jungen Leute. Aber, so seine Hoffnung, „bei jungen Erwachsenen können wir noch etwas erreichen.“