Was sich derzeit in der EU abspielt, wirkt in Teilen kurios: Die EU-Kommission arbeitet intensiv daran, viele Gesetze, die sie in den letzten Jahrzehnten selbst vorgeschlagen und abgesegnet hat, abzuschwächen beziehungsweise zu entschlacken. Insbesondere will man bürokratischen Aufwand für die heimische Wirtschaft und die Bürger reduzieren. Wie so oft zuvor verpasste man auch diesem Großprojekt einen sperrigen Namen und nennt es „Simplifizierungsagenda“.
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Diese Vereinfachungen setzt die Kommission derzeit mit diversen Gesetzesvorschlägen um, die eines eint: Sie kommen als sogenannte Omnibusgesetze auf den Verhandlungstisch. Das Omnibusverfahren wählen Gesetzgeber, wenn sie mehrere bestehende Gesetze ohne viel Gegenwehr in einem Rutsch ändern beziehungsweise miteinander kompatibel machen wollen. Im laufenden Jahr 2025 hat die Kommission bereits sechs solcher Vorschläge gemacht, beispielsweise zur Agrarregulierung und zu Nachhaltigkeitsregeln im Rahmen des Green Deals.
Die EU-Kommission will mit einer Änderungsverordnung die Digitalregulierung vereinfachen, vor allem beim Datenschutz.Kritiker befürchten, dass geplante Änderungen an der DSGVO Bürgerrechte schwächen könnten.Gegenwind muss die EU-Kommission nun vor allem vom EU-Parlament als Co-Gesetzgeber befürchten.
Am 19. November 2025 stellte sie ihren Vorschlag zur Verordnung 2025/837 vor, den sie „Digital-Omnibus“ nennt, der in der bisherigen Nomenklatur aber als „Omnibus VII“ auf die Strecke geht. Dieser Omnibus läutet einen Kurswechsel bei der Digitalregulierung ein. Offensichtlich beschäftigte man sich mit der Frage, wie kompliziert Regulierung sein darf und wie einfach sie sein muss, wenn sie etwas so Umfassendes wie die Spielregeln für das digitale Miteinander und Geschäftemachen in Europa betrifft.
Die Antwort, die die EU in den vergangenen 30 Jahren darauf gab, war fast immer: Irgendetwas fehlt noch. Jetzt will die Kommission den Rückwärtsgang einlegen. Sie schlägt vor, Vorschriften anzupassen, zu lockern, auszusetzen und sogar zu streichen. Tief in den Unterlagen, mit denen die Kommission den Digital-Omnibus vorgestellt hat, findet sich ein brutales Eingeständnis: Die „Platform-to-Business-Regulation“, zu Deutsch die „Verordnung zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten“, aus dem Jahr 2019 sei weitgehend unbekannt geblieben. Die darin formulierten Rechte habe kaum jemand wahrgenommen. Wenn Sie also noch nie von diesem Gesetz gehört haben: Sie sind damit nicht allein.
Fehlender Durchblick
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Und das ist nicht das einzige Gesetzeswerk zur Digitalregulierung, das zum Entstehungszeitpunkt irgendwie wichtig und richtig schien, sowohl für die EU-Kommission als Initiator als auch für die Mitgliedstaaten der Union und das Europaparlament als Mitverhandler. Dennoch haben fast alle dieser Gesetze neue Anforderungen an Unternehmen mit sich gebracht. Hinzu kommen stets Wechselwirkungen mit anderen Gesetzen und Querbezüge. Ein Regulierungswust, bei dem auch Experten den Überblick zu verlieren drohten. Sogar die EU-Kommission selbst scheint sich da mal zu vertippen: Im vorgeschlagenen Verordnungspaket zum Digital-Omnibus bezog sie Passagen irrtümlich auf eine Verordnung zu Fischfangverboten (2016/1679) statt auf die gemeinte Datenschutz-Grundverordnung (2016/679).
Vieles an dem Paket scheint mit heißer Nadel gestrickt, und das ist kein Wunder. Seitdem im Dezember 2024 Ursula von der Leyens zweite Amtsperiode begann, steht die Kommissionspräsidentin unter massivem Druck, vor allem aus den Mitgliedstaaten. Deutschland erhöhte diesen Druck nochmals, nach dem Friedrich Merz (CDU) seit Mai die Bundesregierung anführt. Brüssel soll die Regeln entbürokratisieren, so die Forderung. Politisch schiebt man sich den schwarzen Peter hin und her: Wer trägt Schuld am mäßigen Wirtschaftswachstum?
Für den konservativeren und wirtschaftsliberalen Teil des politischen Spektrums ist klar: Zu viele Regeln im digitalen Bereich würgen unternehmerische Initiative ab und führen dazu, dass diese anderswo auf der Welt stattfindet. Die günstigste Gegenmaßnahme kostet fast nichts. Man ändert einfach die Regeln. Der Digital-Omnibus soll Berechnungen der Kommission zufolge bis 2029 fünf Milliarden Euro an Wirtschaftskraft freisetzen, weil Unternehmen weniger bürokratischen Aufwand hätten.
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