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Wer hat Angst vor Milliardären?
Die Schweiz weist nun den tiefsten Zoll gegenüber den USA auf. Die Kritik am Einsatz der Schweizer Geschäftsmänner, die bei Trump vorstellig wurden, ist haltlos.
«Sechs private Unternehmer kümmerten sich um unser Land»: Markus Somm über den Besuch der Schweizer Milliardäre bei US-Präsident Donald Trump im Oval Office.
Ich schätze Anne Applebaum ausserordentlich. Mit ihren Werken über die russische Geschichte, insbesondere den Holodomor in den 1930er-Jahren, als Stalin, der sowjetische Diktator, Millionen von Ukrainern systematisch verhungern liess, hat sie Massstäbe gesetzt. Ich habe viel von ihr gelernt.
Was die amerikanische Historikerin an Grauenhaftem zutage gefördert hat, wird nie mehr in Vergessenheit geraten. Ihr Verdienst wiegt schwer. Je mehr sie sich allerdings mit der Gegenwart befasst, desto weniger beweist sie jene Sachlichkeit, die ihre wissenschaftliche Arbeit kennzeichnet. Geht es um Donald Trump, verliert sie zwar nicht gerade den Verstand, doch die Fassung.
Wenn sie etwa wie neulich im «Tages-Anzeiger» behauptet, die Schweizer Unternehmer, die mit den USA in Sachen Zölle übereingekommen waren, hätten Trump dazu bestochen, als sie ihm bei dieser Gelegenheit eine Rolex-Tischuhr und einen Goldbarren überreichten, dann ist das Unsinn.
Bestechung gibt es nur im Geheimen
Ich habe in diesem Zusammenhang den Strafrechtler Marcel Niggli schon zitiert, ich berufe mich zum zweiten Mal auf ihn: Wenn ein Amtsträger in aller Öffentlichkeit ein Geschenk entgegennimmt, so Niggli, dann ist das gerade nicht Bestechung, diese müsste im Geheimen stattfinden, zumal sich der Amtsträger sonst gar keinen «nicht gebührenden Vorteil» verschaffen kann. «Wenn man vor laufenden Kameras ein Geschenk übergibt, ist das keine Bestechung, sondern schlicht Politik», sagte Niggli im «Nebelspalter». Kurz, Applebaum irrt – wie sie sich gerne irrt, so unterstelle ich, wenn sie damit Trump in ein trübes Licht rücken kann.
Für uns Schweizer steht etwas anderes im Vordergrund. Applebaum bedient jene nicht wenigen Trotzköpfe in unserem Land, die, eher links gewickelt, sich immer noch nicht damit abgefunden haben, dass sechs Unternehmer in Washington mehr erreicht haben als alle unsere Politiker und Diplomaten zusammen. Es wurmt sie – Etatisten, Euroturbos und Sozialdemokraten –, dass die Privatwirtschaft bei uns nach wie vor bessere Resultate erzielt als der Staat – oder die EU. Ohne den beachtlichen Beitrag von Parmelin & Co. in Abrede stellen zu wollen: Entscheidend war der Eindruck, den die Milliardäre aus Genf und Zug beim Milliardär aus New York hinterlassen hatten, der schweizerische Kapitalismus siegte, nicht das politische Federgewicht des Zwergenstaates Schweiz.
Politiker werden an den Rand geschoben
So war es schon immer. Was den linken Kritikern und linksbürgerlichen Nörglern natürlich doppelt wehtut. Wenn es brennt, fährt die Privatwirtschaft mit ihren erprobten Feuerwehrautos vor, und die Politiker, die auf ihren Schläuchen stehen, werden an den Rand geschoben.
Das war im Ersten Weltkrieg der Fall, als wir einen Unternehmer nach Washington schickten (Hans Sulzer), um die zu jenem Zeitpunkt bislang ärgste Verstimmung zwischen Amerika und der Schweiz zu heilen (was ihm bravourös gelang), das war in der Auseinandersetzung um die nachrichtenlosen Vermögen so, als ein Bankier (Rainer E. Gut) einsprang, um mit den amerikanischen Juden einen Vergleich auszuhandeln und damit die gefährlichste aussenpolitische Krise der jüngeren Vergangenheit zu entschärfen – und so war es seit dem 1. August geschehen, nachdem Trump unsere Industrie mit 39 Prozent Zoll in die Hölle gestossen hatte. Sechs private Unternehmer kümmerten sich um unser Land – ohne Hintergedanken, ohne persönlichen Vorteil, allein aus Patriotismus (und etwas politischem Kalkül, siehe EU): Sie retteten die Schweiz.
Wie durchschlagend ihr Erfolg war, ist dabei den meisten Schweizern immer noch nicht bewusst. Nachdem sich nämlich auch die Pharmaindustrie mit Trump ins Einvernehmen gesetzt hat und ihre Exporte kaum von Zoll belastet werden, ist die Bilanz der Schweiz noch besser. Wenn man die verschiedenen Tarife je nach Branche gewichtet, kommt unser Land nun gemäss Berechnungen der britischen Bank HSBC auf den tiefsten Wert: rund 4 Prozent. Das ist tiefer als Australien, Grossbritannien, Hongkong oder die EU, nicht zu reden von China oder Brasilien.
Wer hat da Angst vor Milliardären?
Markus Somm ist Chefredaktor des «Nebelspalters».
Der Zoll-Deal der Schweiz mit den USA
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