In den kommenden sechs Monaten wird die Zypern-Frage die für Europa wichtigen Beziehungen überschatten. Denn am 1. Jänner übernimmt Nikosia den EU-Ratsvorsitz.

Das Jahr 2025 hat die Türkei und die EU enger zusammengebracht. Aufgeschreckt durch die Absage der USA an die traditionelle transatlantische Verbundenheit, besann sich Europa auf die Potenziale der Türkei als Regional- und Militärmacht. „An einer guten und vertieften Partnerschaft mit der Türkei“ führe kein Weg vorbei, sagte der deutsche Bundeskanzler, Friedrich Merz, im Oktober bei seinem Besuch in Ankara. Doch im neuen Jahr warten neue Stolpersteine. In den ersten sechs Monaten dürfte die Zusammenarbeit stocken.

Das liegt am ungelösten Zypern-Problem, einem chronischen Konfliktherd zwischen Türkei und Europa. Zypern ist seit 1974 in einen griechischen und einen türkischen Sektor gespalten. Ankara erkennt die zur EU gehörende griechische Inselrepublik nicht an und fordert, vor einer Normalisierung müsse es Verbesserungen für den international isolierten türkischen Inselteil geben. Das lehnt Nikosia ab. Schon bei der letzten zyprischen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2012 boykottierte die Türkei deshalb viele Kontakte mit Brüssel.

Diesmal könne es ähnlich laufen, heißt es bei europäischen Diplomaten. Sie warten gespannt darauf, ob Ankara mit einer offiziellen „Erklärung der Nicht-Zusammenarbeit“ im ersten Halbjahr 2026 auf stur schaltet. Das sei der „Lackmus-Test“ der türkischen Annäherung an die EU. Die Türkei ist in einer wesentlich stärkeren Position als 2012. Damals hatte das Land bei weitem nicht das politische Gewicht von heute, da sie als Vermittlerin im Ukraine-Krieg und in der Gaza-Krise auftritt, Kampfdrohnen in alle Welt verkauft und von Donald Trump als „fantastischer“ Partner gelobt wird.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wird deshalb ohne Gegenleistung nicht auf die griechischen Zyprer zugehen. Auch die Regierung in Nikosia dürfte nicht kompromissbereit sein. Sie steht wenige Monate vor den Parlamentswahlen im Mai unter dem Druck der rechtsgerichteten Elam-Partei. Kurz vor Jahresende verstärkte Zypern außerdem die Zusammenarbeit im Dreierbündnis mit Griechenland und Israel, das von der Türkei als Allianz gegen Ankara betrachtet wird.

„Die Türkei hat bereits erkennen lassen, dass sie im ersten Halbjahr keinen offiziellen Kommunikationskanal mit der EU-Ratspräsidentschaft unterhalten wird“, sagt Ebru Turhan, Professorin und Europa-Expertin an der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul. Insgesamt dürfte der Einfluss der Türkei in Brüssel sinken. Schließlich spielten die Ratspräsidentschaften „eine wichtige Rolle bei der Festlegung der Agenda und Prioritäten der EU – insbesondere in außen- und sicherheitspolitischen Prozessen“, sagte Turhan zur „Presse“.

Zypern will sich nach Regierungsangaben während seiner Präsidentschaft darauf konzentrieren, die europäische Wettbewerbs- und Verteidigungsfähigkeit zu verbessern und die Migration besser zu steuern. Laut Medienberichten hofft die Regierung in Nikosia zudem auf mehr EU-Engagement zur Lösung der Zypern-Frage während ihrer Präsidentschaft. Für 2027 plant Zypern den Beginn von Gasexporten nach Europa. Auch dabei zeichnet sich Streit mit der Türkei ab, die den türkischen Inselteil bei der Ausbeutung von Gasvorkommen benachteiligt sieht.

Probleme gibt es zwischen Ankara und Brüssel auch ohne den Zypern-Konflikt genug. Die Türkei fordert mehr Reisefreiheit für ihre Bürger, doch die EU verlangt als Vorbedingung eine Reform der drakonischen türkischen Anti-Terrorgesetze. Europa will auch wissen, warum so viele Türken mit Sonderpässen – so genannten Grünen Pässen – für visafreies Reisen ausgestattet werden, die eigentlich nur für hohe Beamte gedacht sind.

Erdogan will durchsetzen, dass das europäische Rüstungsprogramm SAFE mit einem Volumen von 150 Milliarden Euro für die türkische Waffenindustrie geöffnet wird. Deutschland gehört in der EU zu den größten Unterstützern des türkischen Wunsches. Aber nicht nur Zypern stemmt sich gegen eine türkische Beteiligung; auch Griechenland und Frankreich haben Bedenken.

Im Gebälk der türkisch-europäischen Beziehungen dürfte es im neuen Jahr also knirschen. Einen Rückfall in die Krisen der vergangenen Jahre mit aggressiven Vorstößen der Türkei im östlichen Mittelmeer und EU-Sanktionen gegen Ankara will aber niemand, wie Türkei-Expertin Turhan meint. Angesichts der vielen regionalen Krisen und Kriege und der transatlantischen Verwerfungen könnten sich weder Türken noch Europäer den Luxus erlauben, den Dialog vollständig abzuwürgen, sagt sie.

Hinter verschlossenen Türen könnte es deshalb neue Bewegung geben. Zypern erwägt eine Bewerbung um eine Aufnahme in die Nato, was ohne Zustimmung der Türkei unmöglich wäre. Türkischen Medienberichten zufolge könnte Zypern die EU-Präsidentschaft dazu nutzen, Ankara ein Entgegenkommen bei SAFE im Gegenzug für ein Ja Ankara zur Beteiligung Zyperns am Nato-Partnerschaftsprogramm PfP anzubieten.

„Über informelle Kanäle“ könnten Zyprer und Türken im ersten Halbjahr abseits der Kameras und ohne Erfolgsdruck über SAFE, die angestrebte Modernisierung der Zollunion zwischen Türkei und EU oder den Zypern-Konflikt selbst sprechen, meint Turhan. Als Vermittler, der Türken und Zyprer an einen Tisch bringen könnte, kommt Turhan besonders ein EU-Mitglied in Frage: „Solche Verhandlungen könnten über Schlüsselstaaten wie etwa Deutschland vermittelt werden.“

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