Was passiert in unserem Körper, wenn wir zu wenig schlafen?
Schlafmangel bringt den ganzen Stoffwechsel durcheinander. Welche Folgen das für die Gesundheit hat, legt ein US-Forschungsteam in einer neuen Studie dar.
Einschlaf- und Durchschlafstörungen betreffen jede dritte Person in der Schweiz.
Symbolbild: Getty
Wer zu wenig schläft, fühlt sich miserabel. Schlafmangel schlägt auf die Stimmung, schwächt das Gedächtnis, mindert die Konzentration, erschwert das Lernen. Er begünstigt Übergewicht, fördert Entzündungen, erhöht das Risiko für Diabetes sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Schlaganfälle oder Herzinfarkte. Manche Forschende vermuten sogar einen Zusammenhang mit Demenz und Parkinson.
Ein Team um Jennifer Tudor, Biologieprofessorin an der Saint Joseph’s University in den USA, hat all diese bekannten Folgen aus einem neuen Blickwinkel betrachtet. Im Fachmagazin «Science Signaling» berichten die Forschenden, was Schlafmangel auf zellulärer Ebene auslöst und wie sich die Kommunikation zwischen den Zellen verändert.
Körperzellen laufen auf Sparflamme
Schon vor über dreissig Jahren stellten Fachleute die Hypothese auf, dass Zellen bei Schlafmangel in eine Art Energiekrise geraten und in den Sparmodus schalten. Tatsächlich läuft das Gehirn im Wachzustand auf Hochtouren und verbraucht viel Energie. Der Schlaf dient als Ladepause: Der Körper tankt Energie, reguliert Entzündungen, stärkt das Immunsystem, stösst Reparaturprozesse an. Bleibt diese Regenerationsphase aus, stellt der Körper auf Notbetrieb um. Komplexere Aufgaben bleiben liegen, der Hormon- und Energiehaushalt gerät aus dem Takt.
Schon eine einzige Nacht mit zu wenig Schlaf reicht aus, um messbare Effekte hervorzurufen: Schlaflaborstudien zeigen, dass man bei Schlafmangel mehr Appetit und Hunger hat. Denn das Hungerhormon Ghrelin wird vermehrt ausgeschüttet, das Sättigungshormon Leptin gehemmt. Zudem gerät der Fettstoffwechsel durcheinander, wodurch Entzündungsstoffe im Blut zunehmen, was Blutgefässe langfristig schädigt. Ausserdem reagieren Körperzellen nach nur einer Nacht schlechten Schlafs weniger empfindlich auf Insulin.
Für Jennifer Tudor und ihr Team ist klar: Schlafmangel ist eine Stoffwechselstörung – mit ähnlichen gesundheitlichen Folgen wie bei einem metabolischen Syndrom oder Diabetes.
«Das ist eine spannende Perspektive», sagt Christine Blume, Psychologin, Schlafforscherin und -therapeutin an der Universität Basel. Doch sie merkt an: Viele Studien, auf die sich Tudor und ihre Kollegen stützen, seien an Mäusen durchgeführt worden. «Einige Ergebnisse lassen sich sicher auf den Menschen übertragen – aber unklar bleibt, bis zu welchem Grad das möglich ist.» So verlieren Mäuse bei Schlafmangel Gewicht, Menschen hingegen nehmen eher zu. Auch der Bewegungsdrang verhalte sich umgekehrt: Mäuse werden aktiver, Menschen oft träger.
Dr. Christine Blume
Schlafforscherin
Bild: zvg
Kausalität ist oft unklar
Hinzu kommt, dass Menschen nicht im Käfig oder in einem Schlaflabor leben. Und Schlafmangel wirkt sich nicht nur auf den Stoffwechsel aus, sondern auch auf das Verhalten: Wer zu wenig schläft, greift zu mehr, vor allem zu kalorienreichem Essen. «Die Stoffwechselveränderungen sind also teils biologisch bedingt, teils durch das Verhalten», sagt Blume.
Was die Forschung zusätzlich erschwert: Ursache und Wirkung sind schwer zu trennen. Führt schlechter Schlaf zu Depression – oder ist es umgekehrt? Sind Schlafprobleme ein Vorbote von Demenz – oder ein Mitverursacher? Wahrscheinlich ist es immer eine Mischung von beidem.
Klar ist hingegen: Die Zahl der Menschen mit Schlafstörungen nimmt in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik (BFS) zu. Rund ein Drittel der Bevölkerung leidet darunter. Besonders stark betroffen sind junge Frauen. Zwischen 1997 und 2022 hat sich die Häufigkeit krankhafter Schlafstörungen bei ihnen von 3 auf 8 Prozent fast verdreifacht.
Woran das liegt, ist nicht abschliessend geklärt. Zumindest zeigt die Statistik des BFS, dass Personen, die mehr als zwei Stunden täglich vor Bildschirmen verbringen, häufiger unter Schlafstörungen leiden. Möglich ist, dass der damit einhergehende Bewegungsmangel, die ständige Erreichbarkeit, der ununterbrochene Nachrichtenfluss, insbesondere von schlechten Nachrichten, sich auf den Schlaf auswirken.
Christine Blume vermutet noch einen weiteren Grund: eine gestiegene Sensibilität. «Betroffene suchen heute womöglich schneller Hilfe.» Was an sich erfreulich sei. Wenn es nur genügend Angebote gäbe. Derzeit mangele es an Fachpersonen.
Besser schlafen dank Schlaf-Apps
In Deutschland können sich Patientinnen und Patienten inzwischen eine Schlaftherapie-App verschreiben lassen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten. «Es gibt geprüfte Apps, mit denen sich in Studien ähnlich gute Erfolge erzielen lassen wie mit klassischer Therapie», sagt Blume. Solche digitalen Lösungen könnten helfen, die Wartezeit bis zu einem Therapieplatz zu überbrücken. «Ich finde das sehr sinnvoll und sehe keinen Grund, warum das nicht auch in der Schweiz möglich sein sollte.»
Zentral sei aber auch, sich nicht verrückt zu machen. Viele Menschen mit Insomnie unterschätzen ihre Schlafdauer. Und: Acht Stunden Schlaf pro Nacht seien kein Muss für jeden Menschen, die benötigte Schlafdauer sei individuell. Ein gewisser Schlafmangel lasse sich auch ausgleichen. Der Körper mache das ganz automatisch, erklärt Blume: «Er vertieft den Schlaf, reduziert leichtere Phasen, und vielleicht schlafen wir auch etwas länger.» Dennoch betont sie: «Im Idealfall schlafen wir in den meisten Nächten ausreichend.»
Und sie sagt auch: «Schlaf ist ein Mosaikstein. Ein wichtiger, aber eben nicht der einzige.» Ernährung, Bewegung, Genetik – all das trägt wesentlich zur Gesundheit bei.