1. 30 Jahre „299“ – wie Sony den Konsolenmarkt umkrempelte

„Ich bitte nun den Präsidenten von Sony Computer Entertainment, Steve Race, für eine kurze Präsentation zu mir“ sagte Sony-Manager Ólafur Ólafsson am 11. Mai 1995, dem ersten Tag der Messe E3 in Los Angeles. Und kurz sollte die Rede von Race auch werden: Er trat ans Mikrofon, sagte „299“ – und ging wieder. Das Publikum brach in Jubel aus.

Was war passiert? Sony, das bis dahin auf dem größten Spielemarkt der Welt, den USA, nicht groß mitreden konnte, hatte gerade den Preis des Konkurrenten Sega um ein Viertel unterboten. Der hatte nämlich nur einige Stunden zuvor seine neue Konsole „Sega Saturn“ für 399 US-Dollar angekündigt, samt angeblich sofortiger Verfügbarkeit. Das war ein großer strategischer Fehler, wie sich noch zeigen sollte. Man wollte Sony unbedingt in „time-to-market“ schlagen.

Von langer Hand vorbereiteter Marktstart

Ohne also überhaupt schon eine Konsole auf dem US-Markt anbieten zu können, nahm Sony dem früher verfügbaren Gerät den Wind aus den Segeln. Ob man da schon wusste, dass die Saturn monatelang schlecht verfügbar sein sollte, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Wohl aber, dass Sony in der gleichen Pressekonferenz auch den US-Markstart für den 9. September 1995 in über 12.000 Läden ankündigte. Das Unternehmen hatte sein für Audio- und Video-Elektronik großes Vertriebsnetz auch für die Playstation vorbereitet. Bis dahin waren Konsolen bei großen Händlern oft noch in der Spielzeugabteilung versteckt worden.

Man musste die Spieler aber noch vier Monate warten lassen und vom Kauf der Saturn abhalten, was neben dem Preis auch nur dadurch gelang, dass die Konsole in Japan schon verfügbar und erfolgreich war. Wie Ólafsson am 11. Mai auch sagte, waren dort seit dem Start am 3. Dezember 1995 bereits knapp eine Million Playstations und vier Millionen Spiele verkauft worden. Die Konsole kostete zu Beginn 35.820 Yen, was 1995 über 400 US-Dollar entsprach. Die Geräte waren auch international heiß begehrt, manche Fans zahlten für einen Import nach Deutschland mehrere tausend D-Mark, wie auch unser Report zu 30 Jahren Playstation zeigt. In Europa erschien das Gerät offiziell erst Ende September 1995.

1995 als Jahr des Umbruchs der Spielebranche

An diesen 400 Dollar wird sich wohl auch Sega orientiert haben und tappte so in Sonys Falle: Es ist eben nicht unbedingt von Vorteil, den ersten Termin für eine Pressekonferenz auf einer Messe zu buchen, wenn der Konkurrent direkt danach kontern kann. Nintendo hatte im Übrigen auf dieser E3 nicht viel anzukündigen, denn deren N64 befand sich noch in Entwicklung, das schon ziemlich angegraute Super Nintendo (SNES) hatte keine Chance: Der wahre Kampf um die fünfte Generation der Spielekonsolen wurde vor dreißig Jahren zwischen Sega und Sony ausgetragen, auch wenn 3DO und CD-i kurz mitspielten.

Mit dieser Generation zogen 3D-Grafik aus Polygonen und optische Speichermedien als fester Bestandteil digitaler Unterhaltung in die Geräte ein. Auch der Ton verbesserte sich sprunghaft, weil unter anderem echte Musikstücke von CD parallel zum Spiel abgespielt werden konnten. Die Spielebranche machte sich diese Innovationen häufig zuerst auf den Konsolen zunutze, denn Microsofts universelle Multimedia-API DirectX sollte erst im September 1995 für Windows 95 erscheinen. Auf PCs herrschte damals für 3D-Grafik ein Wirrwarr an herstellerspezifischen Treibern und APIs für die 3D-Chips von Firmen wie 3dfx und S3 vor – alle längst verschwunden. Und sowohl eine Grafikkarte wie auch eine bessere Soundkarte konnten leicht so viel kosten wie eben eine komplette Playstation.

Keine einmalige Aktion

Der vergleichsweise niedrige Preis für Sonys erste Konsole war zudem nicht nur eine einmalige Notmaßnahme im Rahmen der ersten „Electronic Entertainment Expo“, E3, um Sega zu unterbieten. Bereits ein Jahr später senkte man den Preis in den USA auf 199 US-Dollar, was endgültig den Massenmarkt eröffnete. Bereits auf der legendären Pressekonferenz von 1995 hatte Ólafur Ólafsson „aggressive Preisgestaltung“ als ein Instrument zur Eroberung des Marktes benannt.

Der „299“-Ausschnitt von Steve Race kursiert seit Jahren in mehreren Versionen auf YouTube, eine der meistgeklickten dürfte diese hier sein. Darin wirkt die Aktion wie ein losgelöster Teil, gar wie eine eigens dafür einberufene Pressekonferenz. Tatsächlich war die Ankündigung aber Teil einer größeren Inszenierung, die auch das Marktumfeld und die Technik der Playstation erklärte. Zum Glück gibt es seit 2017 eine Art Amateur-Dokumentation der gesamten ersten E3 des damaligen Spielehändlers Anthony Parisi, welche auch lange Ausschnitte der Pressekonferenzen von Sega wie Sony enthält. Der relevante Vorlauf zum Mic-Drop-Moment von Steve Race beginnt darin bei 59:20 Minuten.

(nie)