52.435 Einzelfotos in einem 208 Seiten starken Buch – das ist schon eher unüblich. Wer jedoch auf das Cover des Buches „Von Angesicht zu Angesicht – Auf Augenhöhe mit heimischen Insekten“ blickt, wird es verstehen. Darauf zu sehen ist ein Zangenbock und das in einer Größe, die Details zeigt, die das bloße Auge überhaupt nicht erkennen kann. Alle Aufnahmen des Buches führen in die magische Welt der Insekten. Dafür bewegt man sich in einem Hundertstelmillimeter-Bereich, den die wenigsten so schon einmal erlebt haben. Die erste Auflage von 8000 Exemplaren ist nun fast ausverkauft.

„Es ist dieser kleine, gerade einmal 1,5 Zentimeter große Käfer, den wir hier sehen“, sagt Thomas Hörren vom Entomologischen Verein Krefeld. Dabei hält der Insekten- und Biodiversitätsforscher eine Plexiglasbox in die Höhe, in der sich das Präparat des Zangenbock befindet, der auf dem Buchcover zu sehen ist. Für die Aufnahmen ist das sogenannte Stacking von Nöten. Das heißt, es werden mehrere Bilder mit unterschiedlichen Fokuspunkten aufgenommen, die später zu einem einzigen durchgehend scharfen Bild zusammengefügt werden. „Allein für das Coverbild haben wir rund 100 Fotos benötigt. Dafür wurde mit einem Kameraschlitten gearbeitet, der entlang des Käfers gefahren wurde“, sagt Hörren, der zusammen mit dem Fotografen Thorben Danke und dem Ökologen und Musikproduzenten Dominik Eulberg das dreiköpfige Autorenteam des Buches bildet.

Die Idee, die heimische Insektenwelt einmal auf eine ganz andere Art und Weise für den Betrachter erlebbar zu machen, hatten die drei, die sich schon seit Jahren kennen und die durch die Liebe zur Natur verbunden sind, schon seit einiger Zeit im Kopf. Die ungewöhnlichen Fotos von Danke sind so auch über Jahre hinweg entstanden. „Dominik hat Thorben auf das Thema Insektenfotografie gebracht. Alles fing mit einer toten Goldfliege auf der Fensterbank an“, erzählt der Insektenforscher. Danke fotografierte und Hörren bestimmte die Tiere, wobei der Fotograf immer mehr Details sichtbar machen wollte. Es wurden mehr und mehr Insekten, und dann war der Punkt erreicht, an dem das Buchprojekt an den Start ging.

Das Projekt lief über ein Jahr. „Wir wollten keine schwere Kost machen, sondern ein lustvolles Buch. Ein Buch, mit dem der Leser auf eine ungewöhnliche Entdeckungsreise gehen kann, ohne dass das fachliche Wissen verloren geht. Dabei ist aber alles ansprechend und auch für den Laien leicht verständlich geschrieben“, sagt Hörren, der textete. Im September vergangenen Jahres erschien von „Angesicht zu Angesicht“ im Buchhandel und schlug ein. „Im Moment befinden wir uns in Gesprächen für die zweite Auflage“, sagt Hörren.

Das Buch punktet durch seine gelungene Art, außergewöhnliche Fotografie mit wissenschaftlich fundierten Texte, die neuste Erkenntnisse beinhalten und nichtsdestotrotz für jeden zugänglich geschrieben sind, zu kombinieren. „Dominik als unser Künstler hat es geschafft, dies perfekt hinzubekommen“, lobt Hörren. Der Betrachter erlebt die heimische Vielfalt der Insekten so nah, wie er sie noch nie gesehen hat. „In Sachen tropischer Insekten gibt es viel. Wir haben uns rein auf die Heimat konzentriert, die nicht minder vielfältig ist“, sagt Hörren. Da gibt es Detailaufnahmen wie den Flügel eines Taubenschwänzchens, dessen einzelne Schuppen in den unterschiedlichen Grautönen zu sehen sind. Dazu kommen gelbe Pollen auf dem Flügel, die zuvor gar nicht erkennbar waren und erst durch das Stocking sichtbar gemacht werden konnten. Fotos, die den Kopf von der Seite präsentieren, zeigen den aufgerollten Rüssel, mit dem der Schmetterling zur Nektaraufnahme schreitet. Der Betrachter erkennt einzelne Querriefen des Rüssels.

Wie eine von Monet gemalte Blumenwiese erscheint der Flüge des Oleanderschwärmers. Der Kleine Weinschwärmer kommt im intensiven Pink daher. Der Flügel einer Bernsteinwaldschabe in den Farben eines Regenbogens wirkt wie ein abstraktes Gemälde. Dass der Ohrenkneifer über fächerartige Flügel verfügt, die Augen einer Eintagsfliege wie ein Turban aussehen oder dass die Hornfliege Augen mit bunten Streifen hat – die Aufnahmen zeigen es. Der Leser erlebt die Häutungen von Wanzen, kann die Entwicklung des Wiener Nachtpfauenauges in den verschiedenen Raupenstadien beobachten, sieht die Fangklauen des Dünensandlaufkäfers und blickt in die Facettenaugen von Insekten. Jedes Bild ist dabei mit den entsprechenden Erklärungen versehen.

„Wenn man sich mit dem Buch beschäftigt, beginnt man Insekten mit anderen Augen zu sehen“, sagt Hörren. Dem Betrachter erschließt sich eine völlig andere Welt. Hörren gibt dazu allgemeine Informationen zu den Insekten und stellt die verschiedenen Ordnungen, angefangen von Käfern über Schmetterlinge bis hin zu Zwei- und Hautflüglern, vor. Er vermittelt Wissen, dass die Insektenwelt noch interessanter macht. Ganz wichtig ist den Autoren der Hinweis, dass für die Aufnahmen in dem Buch kein Insekt getötet wurde. Es handelt sich allesamt um Präparate aus den Sammlungen des Entomologischen Vereins Krefeld beziehungsweise um tote Insekten, die Danke für seine Aufnahmen sammelte.