Seit inzwischen vier Tagen ist der Amerikaner Robert Francis Prevost neuer Papst. Bei seinem ersten Sonntagsgebet brach Leo XIV. mit Traditionen. Das ist nicht der einzige sichtbare Unterschied zu seinem Vorgänger Franziskus. Worauf sich die Weltöffentlichkeit beim neuen Kirchenoberhaupt einstellen kann, warum ein US-amerikanischer Papst über Jahrhunderte hinweg unvorstellbar war, gerade in diesen Zeiten aber einen Unterschied machen könnte und wie es ist, live dabei zu sein, wenn weißer Rauch aus der Sixtinischen Kapelle aufsteigt, erzählt Domradio-Chefredakteur Renardo Schlegelmilch im ntv-Podcast „Wieder was gelernt“.
ntv.de: Wie ist es, bei einem „Habemus Papam“ live auf dem Petersplatz dabei zu sein?
Renardo Schlegelmilch: Mir sind die Tränen gekommen. Ich halte mich wirklich für einen relativ nüchternen Reporter und eigentlich passiert mir so etwas nicht, aber persönlich zu sehen, wie da dieser weiße Rauch kommt, das hat mich überwältigt. Der konkrete Moment war ein bisschen lustig. Der größte Star vom Konklave war die weiße Möwe, die sich immer wieder vor den Schornstein gesetzt hat. Auf dem Petersplatz hatte sich schon seit Mittwoch ein ironisches Jubeln entwickelt, immer wenn die Möwe sich vor den Schornstein gesetzt hat. Knapp eine Minute, bevor es am Donnerstag losging, hat sich dann plötzlich eine ganze Möwenfamilie dahin gesetzt und es brandete wieder Jubel auf. Aber dann haben die Leute verstanden, jetzt passiert noch viel mehr und der Jubel ist angeschwollen auf das Zehnfache. Zu dem Zeitpunkt waren aber nur die Hardcore-Fans da. Die meisten saßen auf dem Boden.
Weißer Rauch: Im vierten Wahlgang war die Papstwahl entschieden.
(Foto: Renardo Schlegelmilch)
Dann wurde es schnell voller.
Genau, dann sind erstmal alle aufgestanden und die Leute aus den Straßen drumherum sind auf den Petersplatz geströmt. Die Masse hat dann versucht, sich immer weiter nach vorne zu bewegen. Bis der Papst aufgetaucht ist, dauerte es noch etwa eine Stunde.
Wie groß war die Überraschung, als bekannt wurde, dass Kardinal Robert Francis Prevost zu Papst Leo XIV. wird?
Als der Name genannt wurde, gab es eine Art Höflichkeitsjubel. Klar, die Leute waren begeistert, dass es einen neuen Papst gibt, aber vielen war der Name nicht bekannt. Einige Leute sind dann auch relativ schnell enttäuscht wieder gegangen. Ich habe ein amerikanisches Ehepaar angesprochen und sie beglückwünscht, dass sie jetzt einen amerikanischen Papst haben. Der Mann guckte mich nur an und wirkte nicht gerade begeistert. In der amerikanischen Kirche gibt es eben viele Konservative, die mit der Franziskus-Linie nicht glücklich waren und mit der Wahl von Leo offensichtlich auch nicht.
Warum hatte kaum jemand Kardinal Prevost auf dem Zettel?
Es war für mich unvorstellbar, dass wir einen amerikanischen Papst bekommen. Auch viele andere Berichterstatter haben immer wieder das Argument gebracht: Es gab noch nie einen amerikanischen Papst und es wird auch niemals ein Amerikaner zum Papst gewählt, weil die USA politisch und wirtschaftlich so einflussreich sind, dass man ihnen nicht auch noch einen Papst geben kann. Deshalb haben wir im Vorfeld nicht intensiv über Prevost nachgedacht.
Wie wurden die Zweifel aus dem Weg geräumt?
Offenbar hat Kardinal Prevost im sogenannten Vorkonklave, diesen Konferenzen in der Woche vor der großen ritualisierten Abstimmung, einen sehr guten Eindruck gemacht. Da geht es um verschiedene Themen: Wie geht der Heilige Stuhl mit der schwierigen Finanzlage des Vatikans um? Wie geht man das Thema Missbrauch an? Wie können die Menschen in der westlichen Welt wieder mehr für die Kirche begeistert werden?
Als ich mich nach seiner Wahl stärker mit Prevost beschäftigt habe, ist mir klar geworden, dass seine Wahl total Sinn ergibt. Wir Berichterstatter vor Ort haben uns gefragt: Warum haben wir nicht früher verstanden, dass Prevost alles vereint, was es für das Papstamt braucht?
Was genau qualifiziert Prevost, was bringt er mit?
Was bei bisherigen Papstwahlen ein Ausschlusskriterium war, könnte Prevost sogar geholfen haben. Dass der neue Papst Amerikaner ist, ergibt aus katholischer Logik in dieser weltpolitischen Lage durchaus Sinn. Ich gehe nicht davon aus, dass das der Hauptgrund für seine Wahl war, aber seine amerikanische Staatsbürgerschaft kann nützlich sein.
Renardo Schlegelmilch ist Chefredakteur von Domradio.de, dem Multimediaportal des Erzbistums Köln
(Foto: Nicolas Ottersbach/DOMRADIO.DE)
Inwiefern?
Die Vatikan-Politik war in den vergangenen Monaten ungewöhnlich kritisch gegenüber Donald Trump. Vor allem, wenn man diese Haltung mit der Position von Franziskus im Ukraine-Krieg vergleicht. Bis zum Schluss hat Franziskus keine Position zu Russland und der Ukraine bezogen. Beim Thema Trump und Vance hat sich Franziskus dagegen mehrfach kritisch geäußert, auch abseits von Worten, indem er kurz nach der Amtseinführung von Trump einen ausgesprochenen Trump-Kritiker zum neuen Erzbischof von Washington ernannt hat. Jetzt einen Papst zu haben, der die Sprache des US-Präsidenten, seiner Fans und Gegner spricht, kann sehr hilfreich sein.
Was sprach am Ende noch für die Wahl von Prevost?
Er hat jahrelang in Peru gelebt, in einem Entwicklungsland. Dadurch ist er gewissermaßen ein Outsider im Vatikan. Gleichzeitig ist er wiederum auch ein Insider, weil Franziskus ihn vor zweieinhalb Jahren nach Rom als Ministeriumsleiter geholt hat. Leo sieht sich in der Tradition von Franziskus, dass sich die Kirche für die Armen einsetzen soll. Auf der anderen Seite hat er im Gegensatz zu Franziskus die offiziellen Papstinsignien getragen, ein dunkelrotes Schultertuch und eine goldene Stola. Damit baut er eine Brücke zu den Konservativen.
Er ist weder ein totaler Reformer noch ein konservativer Hardliner, sondern irgendwas dazwischen?
Stand jetzt kann man das so sagen. Er ist mindestens grob auf Franziskus-Linie, sonst hätte ihn Franziskus nicht aus Peru in den Vatikan geholt. Jetzt sind die Medien gerade dabei, alle Zitate der letzten Jahre und Jahrzehnte auszugraben, um seine Position zu Fragen wie Homosexualität und Weihe von Frauen herauszufinden. Ich wäre aber vorsichtig, allzu viel Wert darauf zu legen, weil die Wahl zum Papst immer auch eine Neuerfindung der Person ist. Deshalb kann ich auch nicht konkret beantworten, wo sich Leo XIV. einsortieren wird. Wir müssen ihm die Chance geben, selbst zu definieren, wofür er stehen will.
Leo ist für Papst-Verhältnisse noch recht jung, zumindest deutlich jünger als es seine Vorgänger Benedikt XVI. (78 Jahre) und Franziskus (76 Jahre) bei ihrer Amtseinführung waren. Was bedeutet das?
Leo hat seinen ersten Gottesdienst mit einer Applewatch am Handgelenk gefeiert. Er ist eine Generation jünger als Franziskus, der nicht der riesengroße Versteher der modernen Welt gewesen ist. Wir wissen, dass Franziskus E-Mails gerne handschriftlich beantwortet hat.
Ich habe nach Leos Wahl in einem Kommentar gefragt: Was bedeutet der erste Boomer-Papst für die Welt? Prevost ist 1955 geboren, für seine Generation ist es selbstverständlich, fließend Englisch zu sprechen. Bisher konnte das noch kein Papst. Das könnte wertvoll sein.
Am Sonntag hat Papst Leo XIV. erstmals das traditionelle Sonntagsgebet abgehalten. Wie hat er sich geschlagen?
Sehr gut. Das Zitat, welches gerade überall herumgeht, ist „Nie wieder Krieg“. Das zeigt, er schafft es, in deutlichen Zitaten zu sprechen. Über 100.000 Leute waren da, der Jubel entsprechend groß. Sehr spannend finde ich, dass Leo Gebete gesungen hat. Das fand ich sehr beeindruckend. Franziskus hat das nie gemacht, weil er nicht singen konnte.
Spannend ist, dass er mit einer Tradition gebrochen hat, weil das Sonntagsgebet normalerweise im Apostolischen Palast, dem „Arbeitszimmer“ des Papstes, abgehalten wird. Hier im Vatikan war man überrascht, dass er das stattdessen vom Balkon des Petersdoms aus gemacht hat. Ich weiß nicht, ob man da zu viel hineininterpretiert, mein Gefühl ist aber, dass er gerade darüber nachdenkt, welche alten Traditionen Sinn ergeben und welche nicht. Das erste Treffen mit den Kardinälen fand auch nicht im prunkvollen Saal mit Deckengemälden statt, sondern in einem schlichten Konferenzsaal.
Was steht in den nächsten Tagen und Wochen konkret auf dem Plan für Papst Leo XIV.?
Spannend wird zu sehen sein, wohin seine erste Reise geht, welche Politiker Leo als erste empfängt. Das sind wichtige Signale. Natürlich auch die Frage, welche Minister er ernennt. Erstmal hat Leo gesagt, dass er die Leute auf ihren Posten lässt. Aber wir können davon ausgehen, dass es sehr schnell einen Austausch geben wird. Das hat jeder Papst so gemacht. Ich bin sehr gespannt, wer einen Posten bekommt, weil es zum Beispiel auch in den USA spannende Leute gibt, die für eine nach vorne gewandte Kirche stehen.
Mit Renardo Schlegelmilch sprach Kevin Schulte. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Interview können Sie sich im Podcast „Wieder was gelernt“ anhören.
„Wieder was gelernt“-Podcast
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