Bielefeld. Große Namen in der Vita zu haben kann für die eigene Musikerinnen-Karriere Fluch und Segen zugleich sein. Als Backgroundsängerin für Musiklegenden wie Michael Jackson, Stevie Wonder und Elton John, begann für die 41 Jahre alte US-amerikanische Sängerin und Songwriterin Judith Hill 2009 der Einstieg in das Showbiz. Ihre enge, kreative Partnerschaft zu Prince, der für sie Freund, Mentor und Produzent zugleich war, endete 2016 abrupt mit dem Tod des Musikstars. Hill gelang es, den schmerzhaften Verlust und die Trauer zur Quelle ihrer Kreativität und Selbstfindung zu wandeln. Aus dem Schatten ihres Förderers heraustretend entwickelte Judith Hill ihre eigene musikalische Identität mit autobiografischen Songs, durchdrungen von spiritueller Tiefe und feministischem Bewusstsein.

In vielen Interviews wirst Du immer wieder auf Deine Zusammenarbeit mit Michael Jackson und Deine Beziehung zu Prince angesprochen. Inwieweit hast Du das Gefühl, dass Du deshalb nicht als eigenständige Künstlerin gesehen wirst? Und ist Dein aktuelles Album bzw. Deine Tournee Deine Art, aus dem Schatten dieser Größen herauszutreten bzw. sich selbst zu befreien?

Judith Hill: Ja, es kann schwierig sein, durch all die Fragen über Michael und Prince zu navigieren, weil ich respektiere, dass die Leute wirklich daran interessiert sind, mehr über diese beiden Ikonen zu erfahren, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass ich ständig in diesen Kontext gestellt werde und nicht in meinen eigenen. Bei meinem letzten Album ging es mehr darum, mich von der Zensur zu befreien und frei über mein Trauma zu sprechen, auch wenn es manchmal unangenehm sein kann.

Dein Album „Letters from a black Widow“ ist sehr persönlich. Inwieweit hast Du Deine eigenen Erfahrungen und Gefühle in diesem Werk verarbeitet?

Die Aufnahme des Albums war meine Chance, einen Teil des Schmerzes zu verarbeiten. Das kreative Arbeiten gibt ihm einen Platz außerhalb des Chaos in meinem Kopf. Es war also eine sehr heilende Erfahrung.

Wie heilend ist dieser Prozess (falls er noch andauert)? Und ist die kreative Arbeit für Dich ein Ventil, um wieder Zugang zu Deinem Leben zu finden?

Er ist definitiv noch nicht abgeschlossen. Die kreative Arbeit ermöglichte es mir, weiterzuleben. Als ich stumm war, war die Energie stagnierend und giftig. Wenn ich Kunst machte, fühlte ich mich wieder flüssig. So konnte ich weitermachen und die Dinge hinter mir lassen.

Du hast in einem Interview erwähnt, dass Du viel für Deine Karriere geopfert hast, vielleicht zu viel. Stellst Du Dir die Sinnfrage als Musikerin immer wieder neu oder stellst Du sie auch manchmal grundsätzlich in Frage?

Künstler zu sein ist eine Lebenseinstellung. Ja, es ist mit Entbehrungen verbunden, vor allem als tourende Musikerin, aber ich versuche, es weniger als „Karriere“ zu sehen, sondern mehr als eine Art zu leben. Ich habe mich für etwas sehr Spirituelles und Intensives entschieden, und ich würde es nicht anders haben wollen.

In „Letters from a black widow“ feierst Du die weibliche Stärke. In dem Stück „Dame de la Lumière“ singst Du z. B. davon, dass „schlechte Zeiten starke Frauen machen“ – was genau meinst Du damit?

Wenn man auf die Zyklen der Menschheit zurückblickt, haben Krisen immer starke Menschen hervorgebracht, die eine bessere Welt und eine gute Zukunft für ihre Kinder schaffen wollten. Aber sie haben schwere Zeiten durchmachen müssen, um dorthin zu gelangen. In Bezug auf uns Frauen sehe ich unsere Widerstandsfähigkeit und unseren Mut, den wir haben.

Du sprichst offen über die Herausforderungen, als Frau in der Musikindustrie ernstgenommen zu werden. Welche Erfahrungen hast Du selbst in dieser Hinsicht gemacht? Welchen Rat würdest Du jungen Musikerinnen geben?

Nun, die Musikindustrie krönt immer die Frau zur aktuellen Königin, weil sie neu, jung und die Beste im Spiel ist. Diese Art der Krönung basiert immer auf Verknappung. Es kann immer nur eine auf einmal geben. Mein Rat an Musikerinnen ist, ein weibliches Ökosystem der Macht und Freiheit zu schaffen und uns gegenseitig zu unterstützen, damit wir keine Einzelkämpferinnen bleiben.

Du hast Dich entschieden, Deine Alben selbst zu produzieren. Welche Vorteile siehst Du darin? Welche Nachteile nimmst Du in Kauf?

Es macht mir einfach Spaß und ich mag es, mich voll und ganz ausdrücken zu können. Ich mag auch Kollaborationen, es kommt immer auf das jeweilige Projekt an und darauf, was es erfordert.

Wie erlebst Du die Reaktionen des europäischen Publikums im Vergleich zu den USA, insbesondere in Bezug auf die Themen Deiner Musik?

Das europäische Publikum ist offener für die Erkundung dunklerer Emotionen, wie sie in „Letters from a Black Widow“ dargestellt werden. Insgesamt ist man in Europa offener, wenn es um genreübergreifendes und unkonventionelles Denken geht. Aber in den USA fühlt es sich immer wie eine warme Umarmung an, wenn es um spirituelle Soulmusik geht, die die Erfahrung der Kirche widerspiegelt.

Deine Eltern sind beide professionelle Musiker – Deine Mutter eine klassische Pianistin japanischer Herkunft, Dein Vater ein Funk-Bassist aus Kalifornien. Inwieweit hat dieses musikalische Erbe Deine eigene musikalische Entwicklung beeinflusst?

Ich habe das Glück, sie in meinem Leben zu haben. Ich glaube, dass ich durch sie ein so vielfältiges Verständnis von Musik und eine Vorliebe für so viele verschiedene Grooves und Texturen entwickeln konnte.

Was bedeutet es für Dich persönlich, mit Deinen Eltern auf Tournee zu gehen und als Familie gemeinsam auf der Bühne zu stehen?

Für mich ist das etwas ganz Besonderes, das ich nie als selbstverständlich ansehe. Und mir gibt der familiäre Zusammenhalt auf der Bühne eine wahnsinnige Kraft. Leider sieht man es zu wenig, dass Generationen gemeinsam auf der Bühne stehen.

Wie hat sich die Beziehung zu Deinen Eltern verändert, seit ihr gemeinsam Musik macht – sozusagen als gleichberechtigtes Team? Entsteht durch die Familiengemeinschaft ein eigener Sound, der euch vielleicht überrascht und den ihr nicht für möglich gehalten hättet?

Ja, wir sind zu einer klanglichen Einheit geworden, und wir sind auf eine besondere Art und Weise in Grooves verwickelt, weil wir schon so lange zusammen Musik machen. Ich liebe die Synergie und die tiefe Verbindung, die entsteht, wenn wir uns auf einen Song einlassen.

Zum Schluss noch ein kleiner Bielefeld-Bezug. Was können die Besucher deines Konzerts in Bielefeld erwarten, und welche Botschaft möchtest du ihnen mit auf den Weg geben?

Ich möchte den Zuhörern das Gefühl geben, dass sie mit mir Momente erschaffen. Ich ermutige jeden, mit mir zu musizieren. Es gibt so viel Energie, wenn wir alle zusammen einsteigen. Ich singe viel über Hoffnung und Freiheit, und möchte diese Kraft und Energie, die daraus entsteht, für jeden spürbar machen.

Judith Hill & Family Affair live in Bielefeld

Samstag, 17. Mai, 20 Uhr, Rudolf-Oetker-Halle, Bielefeld;

Karten (38,50 €): NW und hier.