1. Mega-Fusionen: EU-Kommission will Industriechampions den Weg ebnen

Die EU-Kommission hat den Startschuss für eine Reform der vergleichsweise strengen europäischen Fusionsrichtlinien gegeben. Dazu hat sie am Donnerstag eine öffentliche Konsultation eingeleitet. Laut begleitenden Hinweisen und dem detaillierten Fragebogen will die Brüsseler Regierungsinstitution vor allem den Technologie-, den Telekommunikations- und den Rüstungssektor inklusive Luftfahrt als Bereiche anerkennen, in denen die seit Jahren beschworenen „europäischen Champions“ entstehen sollen. Dort seien Skaleneffekte erforderlich, heißt es. Gegebenenfalls könnten die EU-Wettbewerbsbehörden einer Konsolidierung in diesen Branchen künftig aufgeschlossener gegenüberstehen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) forderte ihre neue Wettbewerbschefin Teresa Ribera von den Sozialdemokraten schon im September auf, einen „neuen Ansatz für die Wettbewerbspolitik zu entwickeln“. Dieser müsse Unternehmen, „die auf den globalen Märkten expandieren, stärker unterstützen“.

Die Spanierin kündigte nun an, eine „umfassende und ehrgeizige Überarbeitung der EU-Fusionskontrollleitlinien“ anzustreben. Die geplante Novelle werde den Rahmen „für die Bewertung der Auswirkungen von Zusammenschlüssen auf den Wettbewerb“ modernisieren. Es gelte, „disruptiven Veränderungen“ wie der Digitalisierung Rechnung zu tragen. Nur so „können wir sicherstellen, dass unsere Fusionskontrollpolitik weiterhin den Menschen dient, Innovationen begünstigt und die Widerstandsfähigkeit und Führungsrolle Europas stärkt“.

Digitalisierung als Herausforderung

Die Kommission hat zusätzlich zu der Befragung sieben Themenpapiere veröffentlicht, in denen sie ein breites Spektrum an aktuellen Herausforderungen sowie die rechtlichen und wirtschaftlichen Parameter ihrer Wettbewerbspolitik erläutert. Dazu zählen Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz, Marktmacht, Innovation, Dekarbonisierung, Digitalisierung, Effizienzgewinne, Verteidigung und arbeitsrechtliche Erwägungen.

Hauptziel der Fusionskontrolle sei und bleibe es, „einen schwungvollen und wettbewerbsfähigen Binnenmarkt mit dynamischem Wettbewerb zu wahren“, versichert die Exekutivinstanz. Die Vorgaben für Zusammenschlüsse ermöglichten es Unternehmen, „zu wachsen, innovativ zu sein, zu investieren und bessere Produkte anzubieten“. Gleichzeitig verhinderten sie „die Konzentration von Marktmacht in den Händen eines oder einer geringen Zahl von Unternehmen“, was Verbrauchern und anderen Firmen schaden und die Produktivität und das Wirtschaftswachstum der EU beeinträchtigen könnte.

Die Konsultation läuft bis zum 3. September. Im Anschluss dürfte es noch einmal mindestens zwei Jahre dauern, bis die Reform unter Dach und Fach ist. Parallel bemühen sich Frankreich und Deutschland, ihre Beziehungen wiederzubeleben und dabei angesichts wachsender Sorgen über die technologische und sicherheitspolitische Abhängigkeit insbesondere von den USA und China einen neuen Vorstoß zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu machen.

Merz und Macron positionieren sich

„Wir werden daran arbeiten, auf EU-Ebene Wettbewerbsregeln zu etablieren, damit in Schlüsselsektoren europäische Champions von Weltniveau entstehen können“, schrieben der französische Präsident Emmanuel Macron und der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Donnerstag in einem gemeinsamen Meinungsbeitrag in der Zeitung Le Figaro. Der Tenor ist bekannt: schon voriges Jahr riefen Macron und Merz-Vorgänger Olaf Scholz (SPD) nach einer Anpassung der EU-Wettbewerbsregeln, um den Weg für Mega-Merger zu ebnen.

„Die Richtung ist klar: Der derzeitige Fokus auf kurzfristige Auswirkungen und Preise muss sich hin zu einer ganzheitlicheren Sichtweise ändern“, begrüßte Gerwin Van Gerven, Kartellrechtspartner bei der Kanzlei Linklaters in Brüssel, die Sondierung gegenüber dem Portal Politico. Auch Alessandro Gropelli von der Telekommunikationslobby Connect Europe lobt den veränderten politischen Blickwinkel: Der Sektor sei „kapitalintensiv und wir brauchen dringend Skaleneffekte, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit wieder anzukurbeln“.

Verbraucherschützer geben Kontra

Grundsätzlich setzt sich die Kommission seit über zehn Jahren dafür ein, einzelne europäische Unternehmen – vor allem im Infrastrukturbereich – für den globalen Wettbewerb zu stärken. Der Chef der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, bezeichnete es 2019 als Folge verfehlter Regulierungspolitik, dass das gängige europäische TK-Unternehmen eine Million Kunden versorge, während die Vergleichsgröße in China bei 400 Millionen liege. Ex-Zentralbankchef Mario Draghi schlug jüngst in seinem Wettbewerbsbericht vor, die Fragmentierung des europäischen Telekommunikationsmarktes zu reduzieren. Die hohe Anzahl von Anbietern in Europa erschwere Investitionen in wichtige Infrastrukturen wie 5G und 6G.

Die Kommission dürfe die Fusionskontrolle nicht in einer Weise schwächen, die den Verbrauchern schaden würde, hält Vanessa Turner, leitende Wettbewerbsberaterin beim EU-Verbraucherschutzverband Beuc, dagegen. Der TK-Sektor sei ein gutes Beispiel dafür, dass die Politik von etablierten Unternehmen massiv unter Druck gesetzt werde, eine stärkere Marktkonsolidierung zu ermöglichen. Die Begründung, dass dies zu höheren Investitionen in die Infrastruktur führe, bleibe vage.

(akn)