Appartement in New York: Hier trifft Brutalismus auf Holz, Licht und Stoff.
Hat Brutalismus eine sanfte Seite? Eigentlich nicht – denn die schroffe, raue, wuchtige und einschüchternde Ästhetik macht den „béton brut“ ja schließlich aus. Seine Anfänge hat der Architekturstil in den Nachkriegsjahren: Wohnraum war dringend notwendig, und Le Corbusier nutzte Beton als kostengünstige Ressource. Auch Alison und Peter Smithson arbeiteten in England bereits in den 50ern mit Sichtbeton. Und in New York entwarfen und bauten die Architekten I.M. Pei und S.J. Kessler mit James Ingo Freed bis 1965 die Manhattaner Kips Bay Towers in brutalistischem Stil par excellence. Seit den 80ern sind dort Eigentumswohnungen untergebracht. Eine davon renovierte und richtete Innenarchitekt Uli Wagner kürzlich für ein Ärztepaar ein, dessen Praxis nahe der NYU liegt. Die 175-Quadratmeter-Wohnung sollte ihr Rückzugsort sein und darüber hinaus auch ihren drei Kindern, die alle ihr eigenes Leben leben, die Möglichkeit geben, jederzeit nach Hause kommen zu können. Uli Wagner und sein Team nahmen behutsame Änderungen am Grundriss vor, brachten mit ein paar cleveren Handgriffen viel natürliches Licht in die nach Norden ausgerichtete Wohnung – und sorgten mit eleganten Einbauten in Esche für maximalen Stauraum, der sich ganz natürlich in die Räumlichkeiten einfügt. Licht, helles Holz, cremefarbene Polstermöbel und elfenbeinfarbene Teppiche zeigen, dass, auch wenn die Hülle brutalistisch ist, der Kern warm, weich, elegant und gemütlich sein kann.
Brutalistisch: die Fassade der Kips Bay Towers in Manhattan, New York
Courtesy of Uli WagnerDie sanfte Seite des Brutalismus – in einem Appartement in New York
Die kastenartige Fassade mit erheblicher Tiefe steht ganz im Kontrast zum Interior der Wohnung – doch auf die beste Art und Weise. Und das war natürlich Absicht: „Der Fülle und Härte des Betons wollten wir subtile Beleuchtung, weiche und warme Oberflächen, viel Stoff und Holz, entgegensetzen“, sagt Uli Wagner. „Dazu haben mich Louis Kahns Exeter Library und sein Yale University Art Center inspiriert. So hat das Appartement nun einen hohen Anteil an Holzeinbauten und viele Wandpaneele – Holz wiederum sieht nur dann gut aus, wenn es von ideal ausbalancierten Lichtverhältnissen in Szene gesetzt wird.“ Deshalb entschied sich der Innenarchitekt für ein weiches, abschirmendes und Licht filterndes Beschattungssystem der Firma Hunter Douglas.
Damit waren die Lichtverhältnisse aber noch längst nicht geklärt. „Als wir die Wohnung das erste Mal sahen, fiel uns sofort auf, wie dunkel sie war“, erzählt Uli Wagner. „Das lag zum einen an den vorher verwendeten Oberflächenmaterialien, doch auch daran, dass das Appartement aufgrund der Fassade relativ tief liegt – und nach Norden ausgerichtet ist.“ Also vergrößerten Uli Wagner und sein Team den Eingangsbereich, öffneten die Übergänge von den Zimmern zum Flur, versahen sie mit Schiebetüren aus Milchglas und nutzten sowohl die Decke neben den Fenstern als auch alle dazu senkrecht stehenden, weißen Wände als Reflektoren, um das einfallende Licht möglichst weit ins Innere zu transportieren. „Wir haben versucht, den Raum so großzügig und luftig wie möglich zu gestalten.“