Nach einem Besuch im Berliner Privatclub Soho House kehrt ein deutsch-chilenischer Geschäftsmann in sein Hotelzimmer zurück – und wird anschließend nie wieder gesehen. Während die Ermittler seine Ausweise und Handys finden, startet die Mutter des Vermissten eine eigene Suchaktion.

Marisol Palma Behnke ist ausgelaugt. Vor rund drei Wochen stieg die Historikerin aus Chile Hals über Kopf ins Flugzeug und reiste nach Berlin. Schlaf bekommt sie seitdem kaum, Verzweiflung und Hoffnung bestimmen im Wechselschritt ihren Alltag. Den verbringt die 54-Jährige größtenteils auf den Straßen der Hauptstadt: Bis zu 14 Stunden am Tag zieht sie durch die Bezirke, befragt Passanten, klappert Notaufnahmen, Obdachlosenunterkünfte und Spätis ab. Etliche Flugblätter hat Palma Behnke bereits verteilt, tausende Plakate hängen mittlerweile in Berlin. „Missing“ steht darauf ganz oben in weißer Schrift auf rotem Untergrund. Darunter sind drei Fotos eines jungen Mannes zu sehen.

"MISSING" ("Vermisst"): Mit diesem Plakat sucht Marisol Behnke Palma berlinweit nach ihrem Sohn.

„MISSING“ („Vermisst“): Mit diesem Plakat sucht Marisol Behnke Palma berlinweit nach ihrem Sohn.

(Foto: Solveig Bach)

Der vermisste Mann ist Palma Behnkes Sohn. Aleph Christian von Fellenberg Palma kam am 15. April für eine Geschäftsreise nach Berlin. Der 33-Jährige betreibt eine Personalvermittlung in Chile und Kolumbien, um Arbeitskräfte nach Europa zu vermitteln. Zwei Wochen wollte der Deutsch-Chilene in der Hauptstadt bleiben, dann sollte es für ihn weiter nach London gehen, wie seine Mutter ntv.de erzählt. Doch von Fellenberg Palma reiste nie nach England. Vor gut drei Wochen, in der Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag, verschwand der 33-Jährige. Das letzte Mal gesehen wurde er in seinem Hotel in Berlin-Mitte, die letzte Nachricht verschickte er gegen 23 Uhr. Seitdem fehlt von dem 33-Jährigen jede Spur.

„Wir haben am 20. noch einmal telefoniert“, sagt Palma Behnke über den letzten Kontakt zu ihrem Sohn. Sie habe nichts Ungewöhnliches bemerkt, im Gegenteil, von Fellenberg Palma sei es gut gegangen, er habe wie immer gescherzt. Das Telefonat habe zu ihrer Mittagszeit stattgefunden. In Berlin war es bereits Nachmittag. Anschließend sei der 33-Jährige allein im Privatclub Soho House in Berlin-Mitte gewesen. Nach einem kurzen Abstecher in seinem Hotel, das Hilton am Gendarmenmarkt, habe er in einem Fitnessstudio in der Nähe trainiert. Er habe noch kurz etwas zu essen bestellt und sei schließlich in sein Hotelzimmer zurückgekehrt. So rekonstruiert die Polizei Berlin die letzten Stunden vor dem Verschwinden des 33-Jährigen. Auch Palma Behnke hat bis zu diesem Punkt keine Einwände.

Handys und Rolex im Hotel

Was im Folgenden passierte, ist hingegen weitaus schwammiger. Um 23 Uhr habe von Fellenberg Palma das letzte Mal mit einem Freund über Whatsapp geschrieben. Doch schon die Frage, wo er zu diesem Zeitpunkt war, ist ungeklärt. Man wisse nicht, wann der Vermisste sein Hotelzimmer verlassen habe, erklärte die Berliner Polizei gegenüber Medien. Auch ein möglicher Grund bleibt bisher im Dunkeln. Denn: Ihr Sohn hatte laut Chatverlauf keine weiteren Verabredungen an jenem Tag, so seine Mutter.

Außerdem dürfte der 33-Jährige kaum mehr als sein Portemonnaie bei sich gehabt haben. Seine beiden Handys, seine Rolex und auch seinen deutschen sowie chilenischen Pass wurden im Hotelzimmer gefunden, sagt Palma Behnke. Ebenso rund 1000 Euro Bargeld und die Zimmerkarten für sein Hotel.

Die Durchsuchung des Zimmers im Hilton gehört zu den Maßnahmen des Berliner Landeskriminalamtes im Fall von Fellenberg Palma. Die Ermittler können nicht ausschließen, dass sich von Fellenberg Palma „in einer Notlage“ befindet – die Fahndung nach dem Vermissten wurde daher prompt eingeleitet. Zeugen seien vernommen worden, weitere „Absuchen“ in Berlin fänden statt. Außerdem setzen die Ermittler auf die Hilfe der Bevölkerung: Seit der Veröffentlichung von mehreren Fotos und einer genauen Personenbeschreibung des Vermissten gingen ein paar Dutzend Hinweise ein, heißt es. Die Ermittler seien jedem einzelnen nachgegangen – zu einem Durchbruch konnten sie jedoch nicht führen.

Die Smartwatch an der Siegessäule

Behnke Palma sieht das Vorgehen der Beamten mittlerweile auch kritisch. „Warum haben sie das Zimmer zum Beispiel nicht als Tatort behandelt?“, fragt sie. „Immerhin könnte es sein, dass meinem Sohn schon im Hotel etwas passiert ist.“ Die Mutter des Vermissten will auf einen bestimmten Punkt hinaus: „Man darf nichts ausschließen, weil wir bisher nichts wissen.“ Zu dünn sei die derzeitige Beweislage.

So gehe die Polizei „vor allem wegen der Uhr“ davon aus, dass ihr Sohn das Hotel verlassen habe. Behnke Palma spielt auf ein zunächst vielversprechendes Indiz an: Knapp zwei Wochen nach dem Verschwinden fand ein Ermittler die Smartwatch des Vermissten in einem Gebüsch nahe der Berliner Siegessäule. Dort soll sie sich zuletzt eingeloggt haben. Einen Hinweis auf den aktuellen Aufenthaltsort konnte die Uhr jedoch nicht liefern, wie der „Spiegel“ berichtete.

Behnke Palma sieht in dem Fund der Uhr zudem keinen eindeutigen Beweis dafür, dass ihr Sohn das Hotel verlassen hat. Nichts in seinem Zimmer habe auf ein Verlassen hingedeutet. Vor allem aber, so die 54-Jährige, gebe es bisher keine Beweise in Form von Aufnahmen einer Überwachungskamera oder Ähnlichem. „Die würden wirklich helfen, zu verstehen, wo mein Sohn hingegangen ist“, sagt sie. „Allerdings hilft das Hilton Hotel nicht wirklich. Die Aufzeichnungen der Kamera durften wir bisher nicht sehen.“

Kritik an Polizeiarbeit

Hilfreich könnten zudem die Kreditkarten des Vermissten sein. Immerhin gehören sie zu den wenigen Dingen, die nicht im Hotelzimmer gefunden wurden. Von Fellenberg Palma könnte sie also bei sich gehabt haben, sollte er das Hotelzimmer verlassen haben. Die Polizei habe ihr zwar mitgeteilt, dass es nach dem Verschwinden „offenbar keine Bewegungen gab“, so Behnke Palma. Wann ihr Sohn wie viel Geld abgehoben hat und ob es möglicherweise auffällige Bewegungen gab, habe sie jedoch noch nicht erfahren. „Das ist doch eigentlich etwas, was man ganz schnell recherchieren kann“, sagt sie. Die Ermittler hätten allerdings auf den Datenschutz verwiesen – das Einholen der genauen Kontobewegungen dauere entsprechend länger.

Mögliche Überweisungen, Bargeldabhebungen und die Aufnahmen aus dem Hotel – „all dies könnte vielversprechende Hinweise liefern“, fährt Behnke Palma fort. Dass diese Informationen allerdings auch drei Wochen nach dem Verschwinden ihres Sohnes nicht vorliegen, sei frustrierend. „Ich frage mich einfach: Nimmt die Polizei das ernst?“

Während die Beamten erklären, „alle relevanten Ermittlungsschritte“ auszuschöpfen, kann Behnke Palma nicht untätig bleiben. Sie ist sich sicher, dass ihrem Sohn etwas zugestoßen ist. Auf die Frage, ob ihr Sohn möglicherweise aus freien Stücken untergetaucht sein könnte, antwortet sie so prompt und bestimmt wie auf keine Frage zuvor: „Nein. Auf keinen Fall.“ Ihr Sohn habe gerne gearbeitet und zudem Pläne für die Zukunft geschmiedet. Außerdem sei er ein zuverlässiger Mensch. Beinahe täglich standen Mutter und Sohn in Kontakt. Gerade aus diesem Grund handelte die Chilenin ohne zu zögern: Als sie nach Ostern zwei Tage lang keine Antwort auf Whatsapp erhielt, buchte sie ihren Flug nach Berlin.

Die eigene Suchaktion

Seitdem läuft ihre selbst organisierte Suchaktion beinahe pausenlos. Plakate kleben, Freiwillige organisieren, Aufmerksamkeit generieren – und am nächsten Tag von vorn. Mittlerweile weiß Behnke Palma, wo sie ihre Flugblätter am besten platzieren kann. „Die kleinen Läden sind am hilfsbereitesten“, berichtet sie. „Die Ketten machen da nicht mit. Und die Deutsche Bahn auch nicht.“

Am Wochenende steht die 54-Jährige besonders unter Strom. „Die Beamten arbeiten von montags bis freitags um 15 Uhr. Also bleibe ich auch das Wochenende 24 Stunden am Telefon, falls sich irgendjemand mit Hinweisen meldet.“ Zwischendurch muss das eigene, auf Pause gestellte Leben organisiert werden. „Es ist alles sehr, sehr anstrengend, doch es hilft nichts. Wir dürften keine Zeit verlieren.“

Ein paar Mal schon schienen sich die Bemühungen auszuzahlen. Mitarbeitende eines Bio-Ladens in Prenzlauer Berg glaubten etwa, von Fellenberg Palma gesehen zu haben. Doch die Aufnahmen der Überwachungskamera des Marktes zeigten schließlich einen anderen Mann. Behnke Palma legt nun viel Wert auf Hinweise mit Fotos.

Der Verdacht

Sie könne sich jedoch vorstellen, dass ihr Sohn amnestisch durch die Stadt laufe. Möglicherweise im Stadtteil Prenzlauer Berg, denn dort lebten Mutter und Sohn in der Vergangenheit gemeinsam. Überhaupt kenne sich der 33-Jährige gut in der Stadt aus. Immer wieder lebte er in Berlin, zuletzt bis Mitte vergangenen Jahres, als er bei einem Solarunternehmen arbeitete.

„Vielleicht wurde er überfallen und hat einen Schlag bekommen, sodass er sich an nichts mehr erinnern kann.“ Freiwillig habe ihr Sohn nichts mit Drogen zu tun, „aber er könnte K.O.-Tropfen verabreicht bekommen haben“, sagt Behnke Palma. „Vielleicht steckt er auch irgendwo mit Leuten, die Drogen nehmen und ihn möglicherweise entführt haben.“

Behnke Palma weiß, dass es bisher keine Beweise für diesen Verdacht gibt. Die Hoffnung, dass ihr Sohn am Leben ist, treibt sie trotzdem jeden Tag wieder auf die Straße. „Ein Mensch kann in dieser Stadt doch nicht einfach so verschwinden.“ Irgendwann, so sagt die Mutter, könnte er in einem Krankenhaus landen, in einen Zug einsteigen oder einfach über die Straße laufen. Dann tun die vielen Plakate und Flugblätter hoffentlich ihr Übriges, „und irgendjemand hält ihn fest“.