Liebe Leserin, lieber Leser,

seit dem Wochenende
befindet sich eine Wolke in der Marktkirche in Blankenese. Sie steigt die
Stufen zum Altar hoch, wickelt sich um die Kanzel, klettert bis auf die Empore.
Eine zweite Babywolke hängt an einem Seil von der Decke und versperrt Jesus am
Kreuz die Sicht. Aber keine Bange. Kein seltenes Naturphänomen hat das
Gotteshaus in Beschlag genommen, sondern eine Kunstaktion.

The Cloud wurde 2020 von dem japanischen Architekten
Kengo Kuma und der Fakultät für Architektur und Bildende Künste an der Uni in
Krakau entwickelt. Die Wolke ist nicht so fluffig wie ihre Verwandten am
Himmel, sondern aus Holz konstruiert.

Als ich
Freitag hinfuhr, war erst wenig zu sehen. Stattdessen herrschte ein Höllenlärm.
Zehn Architektur-Studierende von der HafenCity Universität (HCU) bauten die
Wolke auf, kloppten mit Gummihammern Holzteile fest. Ich lerne, dass bei der
Entwicklung der Wolke mit Techniken
aus dem traditionellen japanischen und polnischen Handwerk experimentiert wurde
– wie Schrägverbindungen und Schwalbenschwanzverbindungen. Es gibt zwei Bauelemente, die auf vierfache Weise
ineinandergesteckt werden können.

Anne Tsega,
im vierten Semester an der HCU, erzählt mir, dass sie bis vor wenigen Tagen
noch keine Ahnung hatte, dass sie hier heute das Werk des weltberühmten
Architekten zusammenpuzzeln würde. Am Vortag erst habe sie eine Einführung
bekommen. Der Aufbau sei „schon ein bisschen wild“.

Da Kengo Kuma seit gestern eine Werkschau im AIT-ArchitekturSalon
zeigt
, holte man etwas holterdiepolter vorige Woche auch seine Cloud
nach Hamburg. Sie passte nicht mehr in die Ausstellungsräume des ArchitekturSalons, aber deren Leiterin Kristina Bacht kennt
Pastor Frank Engelbrecht aus Blankenese, und der ließ freundlicherweise die
Wolke einziehen. Bei einem zugestellten Kirchenaltar schreit nicht jeder in der
Gemeinde „Hallelujah“, aber Engelbrecht legte ein gutes Wort ein. Weil ihn das
Werk des Architekten rühre, sagt der Pastor: „Kuma fühlt sich mit seinen
Arbeiten in Landschaften und Menschen ein.“

© ZON

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Bislang
schwebte The Cloud in Krakau von einer Decke. Um sie aufzuhängen, fehlt
der Kirche in Blankenese jedoch das notwendige Gebälk, also liegt sie am Boden.
Eigentlich gibt es einen festen Bauplan. Weil der nicht zu den Gegebenheiten
der Kirche passt, müssen die Studierenden improvisieren. Sie verarbeiten zudem nur
ein Drittel der Originalteile, immerhin auch schon 800 Kilo schwer.

„Es ist
schon ein bisschen verrückt, was wir hier machen“, sagt Piotr Urbanowicz. Der
Architekt aus Krakau leitet gemeinsam mit seinem Kollegen Bartłomiej Bogucki das Projekt und betreut die Studierenden.
Normalerweise würden sie für so einen Aufbau eine bis zwei Wochen einplanen, „jetzt
haben wir gerade mal zwei Tage Zeit“.

Was er
davon halte, dass die Wolke nun ausgerechnet in einer Kirche ausgestellt wird? Metaphorisch finde er das sehr schön, sagt Urbanowicz.
Kengo Kuma sei dem traditionellen Handwerk verbunden. „Und Jesus war Zimmermann.
Das passt doch!“

Zum Glück (oder
Gott sei Dank) wurde The Cloud rechtzeitig fertig. Noch bis Ende Juni
kann sie angeschaut werden.

Ich wünsche Ihnen einen ansonsten
wolkenfreien Tag,

Ihre Viola Diem

Wollen Sie uns Ihre Meinung sagen,
wissen Sie etwas, worüber wir berichten sollten? Schreiben Sie uns eine E-Mail
an hamburg@zeit.de.

WAS HEUTE WICHTIG IST

Innensenator Andy Grote (SPD) hat sich zum AfD-Verbotsverfahren (Z+) geäußert,
das SPD und Grüne auch in der Bürgerschaft prüfen wollen. Grote befürworte den
Schritt, wenn er unbedingt erforderlich sei, warnte aber auch vor Gefahren:
Würde das Verfahren etwa scheitern, wäre das ein „Konjunkturprogramm für die
AfD, von dem sich das Parteienspektrum der demokratischen Mitte wahrscheinlich
so schnell nicht erholen würde.“

Laut einer Umfrage des Verbands
Norddeutscher Wohnungsunternehmen, die unter anderem die Saga vertritt, haben soziale
Konflikte unter Mietern in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen,

besonders in Wohngebieten mit günstigen Mieten. Es mangele zunehmend an
Toleranz, Rücksicht und Engagement, während Kommunen sich aus der Verantwortung
zurückziehen. Der Verband fordert mehr staatliche Unterstützung und einen
ehrlicheren Umgang mit den Herausforderungen, etwa durch Zuwanderung.

© Rolf Vennenbernd/​PA

Im Jahr 2024 meldeten in Hamburg
333 Versicherte der Techniker Krankenkasse einen vermuteten Behandlungsfehler

– mehr als im Vorjahr und ein neuer Höchststand. Die meisten Verdachtsfälle
betrafen die Chirurgie, gefolgt von Zahnmedizin und Gynäkologie. Bundesweit
ging die Zahl der gemeldeten Fälle leicht zurück. Nur etwa ein Drittel der
Verdachtsfälle bestätigt sich, doch es wird von einer hohen Dunkelziffer
ausgegangen.

In aller Kürze

Nadja Abd el Farrag ist gestorben. Die
Hamburger Moderatorin wurde 60 Jahre alt Fast fünf Jahre nach der
Gruppenvergewaltigung einer Jugendlichen im Stadtpark hat der Bundesgerichtshof
in Leipzig die Revisionen von sechs der jungen Täter verworfen
. Die Urteile
sind damit rechtskräftig. Das Landgericht hatte zuvor Jugendstrafen verhängt,
zwischen einem Jahr und zwei Jahren und neun Monaten, die großteils zur
Bewährung ausgesetzt wurden Das aktuelle Wetter führt zu Waldbrandgefahr
in Norddeutschland
. Laut Deutschem Wetterdienst sind weite Teile Hamburgs,
Schleswig-Holsteins und vor allem Mecklenburg-Vorpommerns zu trocken

THEMA DES TAGES

© Rio Touré

Anschnallen, Mund halten, zuhören

Bernard Yaw
Darko wurde in Ghana geboren, kam nach Hamburg und fährt seit 30 Jahren Taxi.
Eine neue Theaterperformance erzählt seine Geschichte – in einem fahrenden
Auto. ZEIT:Hamburg-Redakteur Oskar Piegsa ist mitgefahren; lesen Sie hier einen
Auszug aus seinem Artikel.

Als wir nach einer
Dreiviertelstunde wieder in Richtung Theater rollen, hat der Taxifahrer Bernard Yaw Darko weit mehr von sich preisgegeben, als man sonst bei der ersten
Begegnung von einem Menschen erfährt. Während draußen die Möbelhäuser und
Discounterparkplätze vorbeizogen, die kleinen Tabakläden und der Fachhandel für
Pumpenanlagen, erzählte Darko aus seinem Leben. Seine Stimme war über die
Lautsprecher des Taxis zu hören, und immer wieder wechselte er zwischen
Deutsch, Englisch und Twi, das ist die Sprache, mit der er vor vielen Jahren in
Ghana aufgewachsen ist. Manchmal flossen diese Sprachen auch ineinander.

Darko berichtete von
kulturellen Unterschieden zwischen Ghana und Deutschland: „In Africa, we
don’t feier our Geburtstag.“ Er äußerte sich zum Kolonialismus und
zur heutigen Lage in seinem Geburtsland. Vor allem aber erzählte er von seinem
Werdegang: die Kindheit in Armut, trotz der umtriebigen Mutter, einer
Markthändlerin. Die Auswanderung nach Nigeria Ende der Siebzigerjahre. Die
Vertreibung von dort. Der Neuanfang in der Bundesrepublik ab Mitte der
Achtziger.

Darko sprach auch über
die Arbeit als Taxifahrer, die er nun schon seit 30 Jahren in Hamburg ausübt,
obwohl es nicht das ist, was er mit seinem Leben mal vorgehabt hatte. „If
you are poor like me, you can only try to do your best“, sagte er. Und er
erzählte von seinen drei Töchtern, die alle in Deutschland geboren wurden. Die
älteste hat studiert, die jüngeren beiden sind auf dem Weg dahin. Darko sagte,
dies nun in makellosem Deutsch: „Bildung ist ganz, ganz wichtig.“

Wie das Stück in dem fahrenden Taxi umgesetzt wurde und
welche Schwierigkeiten es gab, lesen Sie weiter in der ungekürzten Fassung auf ZEIT ONLINE.

Zum vollständigen Artikel

DER SATZ

© Christian Charisius/​dpa

„Hier sollten eigentlich 1.300 Wohnungen stehen.“

ZEIT:Hamburg-Autor
Christoph Twickel verfolgt bereits seit langer Zeit, wie sich die Situation
rund um das brachliegende Holstenareal entwickelt. Nun könnte sich etwas
bewegen – mehr lesen Sie hier.

DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN

Das Hamburger
Kammerballett debütiert gemeinsam mit dem Komponisten und Pianisten Leon
Gurvitch und dessen Ensemble in der Elbphilharmonie. Musikerinnen und Tänzer aus
Deutschland und der Ukraine zeigen mit Silentium eine Uraufführung von
Gurvitch, auch Kintsugi wurde von ihm komponiert. Beide Stücke sind von
Edvin Revazov choreografiert.

„Kintsugi & Silentium“, 16.5., 20 Uhr;
Elbphilharmonie, Großer Saal, weitere Informationen und Tickets gibt es hier

MEINE STADT

Türkis © Hilke Suhr

HAMBURGER SCHNACK

Hafengeburtstag, lange Schlange am Empfang vor dem
Brauhaus an den Landungsbrücken.

„Ich will oben meinen Stammplatz!“ – „Na, dann
versuch dich mal durchzuboxen!“

Gehört von Barbara Gehrung

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