„Wenn es gegangen wäre, hätte ich meinen Bachelor in Viersen gemacht“, sagt Alicia. Sie studiert Sonderpädagogik auf Lehramt in Köln. Ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolvierte sie an der Franziskusschule in Süchteln-Vorst. Um den Beruf zu erlernen, blieb ihr keine andere Wahl als wegzuziehen, denn Viersen hat keine Hochschule. Dass sie sich in Köln inzwischen wohlfühlt, steht für sie außer Frage, aber wirklich losgelassen hat sie ihre Heimat nie. Jedes Wochenende kommt Alicia wieder zurück nach Viersen. „Ich habe einfach so viele Dinge, die mich hier halten“, sagt sie. Familie, Freunde, ihre Fußballmannschaft beim ASV Süchteln – und vor allem: die Ruhe. „Ich liebe einfach dieses heimelige Gefühl, spazieren zu gehen auf den Feldern – weit und breit nichts“, erzählt Alicia. „Ich glaube, das beste Beispiel dafür, wie wohl ich mich hier fühle, ist: Ich komme jedes Jahr am Rosenmontag aus Köln wieder nach Süchteln, um hier im Karnevalszug mitzulaufen“, sagt sie und lacht. Trotz der vielen Gründe zu bleiben war der Schritt in die Großstadt für ihre persönliche Entwicklung wichtig. „Der Schubser, in eine große Stadt ziehen zu müssen, war gut für mich“, sagt sie rückblickend. Doch sie weiß genau: „Wenn ich über eine Familie nachdenke, werde ich auf jeden Fall nach Viersen zurückkommen.“
Ganz anders Andrej: „Bei mir war das schon so eine kleine Flucht aus Viersen“, erzählt er. Für sein duales Studium im Hotelmanagement zog er nach Frankfurt, nach dem Abschluss führte ihn sein Weg weiter nach Wien – heute lebt er also sogar in einem anderen Land. „Ich hatte einfach schon immer eine große Affinität zum Reisen, wollte die Welt sehen“, sagt er. In Viersen habe ihm das Gefühl gefehlt, sich sowohl persönlich als auch beruflich entfalten zu können. „Ich glaube, ich brauchte einfach diese Distanz – für mich selbst, aber auch für meine Karriere.“ Große Hotelketten? Genauso wie eine Hochschule: in Viersen Fehlanzeige. Auch deshalb zog es ihn weg. Doch selbst wenn es all das gegeben hätte, sagt er, wäre er gegangen. „Die Herausforderung, mir neue soziale Kreise aufzubauen, eine neue Wohnung zu finden, neue Wege zu gehen – das hat mich unheimlich weitergebracht.“ Lachend fügt er hinzu: „Die Leute aus Viersen fehlen mir – aber das war’s dann auch.“
Merle ist in Dülken aufgewachsen. Statt für ihr Jurastudium sofort umzuziehen, blieb sie zunächst in Viersen wohnen und pendelte. Zwei Jahre lang fuhr sie täglich mit dem Auto zur Düsseldorfer Uni. „Wenn ich ehrlich bin, hatte das nicht viel mit Viersen selbst zu tun, sondern eher damit, dass es einfach praktisch war“, sagt sie. Düsseldorf ist gut erreichbar und Wohnungen sind teuer. Inzwischen ist sie umgezogen und froh über die Entscheidung. „Ich habe hier ein Studentenleben, das ich in Viersen niemals gehabt hätte“, sagt sie. Die kulturellen und sozialen Möglichkeiten der Großstadt weiß sie zu schätzen. Trotzdem bleibt auch bei ihr eine enge Verbindung zur Heimat. „Die Eisdiele Epoca in Dülken hat einfach mega Eis“, sagt sie schmunzelnd. Und sie vermisst anderswo das Gefühl von Vertrautheit. „Wenn ich ins Dülkener Büchereck gehe oder in die Wein Gang, werde ich mit einer Umarmung begrüßt.“ Diese Nähe zu den Menschen, die sie seit ihrer Kindheit kennt, fehlt in Düsseldorf. Und auch für Arztbesuche fährt sie regelmäßig zurück nach Viersen. „Ich habe hier Ärzte, denen ich vertraue, und ich bekomme schnell Termine. Das ist in der Großstadt fast unmöglich.“
Paulina hat sich nach dem Abitur für eine Zwischenlösung entschieden. „Ich finde es schade, dass es in Viersen keine Hochschule gibt. Denn ganz trennen wollte ich mich damals noch nicht.“ Sie studiert Soziale Arbeit dual – mit Theoriephasen in Düsseldorf und der Praxisstelle in Viersen. „Ich habe erstmal das Beste aus allen Welten mitgenommen“, sagt sie. Drei Tage in der Woche wohnt sie in Düsseldorf, die übrige Zeit verbringt sie zu Hause. Das funktioniert für Paulina gut. Sie genießt die Abwechslung: In der Stadt erlebt sie viel, in Viersen findet sie Ruhe. „Die frische Luft in Viersen ist besonders toll“, sagt sie. Langfristig zieht es Paulina allerdings in die Großstadt.