Es ist still im Säulensaal des Roten Rathaus. Nur gelegentlich ist das Klicken des Kugelschreibers zu hören. Zwischen den Büsten der bekannten deutschen Philosophen und Autoren steht seit Dienstag nun auch ein Schwarz-Weiß-Porträt von Margot Friedländer. Davor liegt ein Buch im schwarzen Einband auf einer schwarzen Tischdecke. Es ist das Kondolenzbuch für Friedländer, die am vergangenen Freitag im Alter von 103 Jahren verstorben war.

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Dort trägt sich auch Kesshrin Albert ein. Als sie den Stift ablegt, hat sie Tränen in den Augen. „Dass sie nach allem, was sie erlebt hat, trotzdem noch zurück nach Deutschland kam, hat mich immer tief berührt“, sagt die 62-Jährige. Sie kenne keinen Menschen, der so über sich hinausgewachsen sei wie Friedländer.

Margot Friedländers Liebe zu Berlin berührt die Menschen

Albert, die als Schulsozialarbeiterin in Berlin arbeitet, war beeindruckt davon, wie Friedländer zu Kindern und Jugendlichen sprach. Gerade in diesen Zeiten sei das besonders wichtig, sagt sie. Das findet auch Bernhard Thévoz. Er ist heute extra mit dem Fahrrad aus dem Grunewald gekommen. „Das hätte ihr sicher Freude bereitet“, sagt er lächelnd, mit seinem Fahrradhelm unter den Arm geklemmt.

Bernhard Thévoz ist ein Nachfahre von Moses Mendelssohn. Er ist mit dem Fahrrad aus dem Grunewald zum Roten Rathaus gefahren.

© Nick Wilcke

Er sei ein Nachfahre des deutschen Philosophen Moses Mendelssohn, erzählt er. Alleine deshalb liege es ihm am Herzen, sich heute einzutragen. „Es ist wichtig, dass wir jetzt Flagge zeigen, die Menschlichkeit und das Miteinander hochhalten“, erklärt der 73-Jährige. Wie Friedländer habe auch er in New York gelebt, ehe er seine Liebe zu Berlin wiederentdeckte. Auch deshalb fühle er sich ihr so nahe. „Diese Liebe zu Berlin zu behalten, gerade nachdem, was ihr angetan wurde, ist etwas ganz Besonderes“, sagt er.

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Kondolenzbuch

Das Kondolenzbuch liegt bis Freitag, 16. Mai, von 9 bis 18 Uhr im Roten Rathaus (Zugang Hauptportal) aus.

Für Christiane Fischer war die 103-Jährige immer das größte Beispiel für Mut. Ihre Mutter ist 89 und somit nur ein Jahr älter als Margot Friedländer, als diese nach Deutschland zurückkehrt war. „Für mich steht sie auf einer Stufe mit Gandhi und ich bin immer davon ausgegangen, dass sie 110 wird. Mindestens“, sagt sie. Die 64-Jährige arbeitet an einer Hamburger Hochschule und weiß deshalb, wie wichtig der Kontakt zur jüngeren Generation ist.

Friedländer war ein Vorbild

Das sieht Wiltrud Karius genauso. Die 67-Jährige halte nichts von dem Vorurteil, dass die jungen Generationen nicht mehr taugten. Sie habe größten Respekt davor, wie Friedländer mit Schülern sprach und immer daran erinnerte, die Geschichte nicht zu ignorieren. „Sie war nie besserwisserisch, sondern hat immer liebevoll gemahnt, dass wir die Gräueltaten nicht vergessen. Es gibt keinen besseren Geschichtsunterricht. Das wird jetzt fehlen“, so Karius.

Nun will sie sich das Vogue-Cover kaufen, auf dem Friedländer im vergangenen Juli abgebildet war, es sich einrahmen lassen und im Wohnzimmer aufhängen. Auch Maximilian Nitzschke-Stockmann möchte Friedländer ehren, aber auf eine andere Weise. Der 43-Jährige wohnt in Weißensee und wenn Friedländer dort auf dem Jüdischen Friedhof beigesetzt wird, möchte er regelmäßig zum Grab gehen. „Gerade als schwuler Mann mache ich mir Gedanken, ob ich in diesen Zeiten Angst haben muss. Sie hat mir immer Mut gemacht“, sagt er.

Maximilian Nitzschke-Stockmann macht sich als schwuler Mann in Deutschland Sorgen um seine Sicherheit. Friedländer aber machte ihm immer Mut.

© Nick Wilcke

Für Nele Grehn fehlt nun jemand, der sich so sehr engagiert, wie es Friedländer tat. „Sie hinterlässt eine klaffende Lücke“, sagt die 26-jährige Rechtsreferendarin. Sie habe immer zu ihr aufgeschaut: „Mit diesen Erfahrungen und diesem Schicksal noch so positiv zu sein, hat sie für mich zu einem Vorbild gemacht.“

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Auch für Claudia M. war Friedländer immer ein Idol. Sie steht nervös in der Schlange und weiß nicht, was sie schreiben soll. Sie habe eine psychische Erkrankung und sei dankbar gewesen, dass es einen prominenten Menschen gab, der sich gegen Ausgrenzung stark gemacht habe. „Sie hat sich unermüdlich für Benachteiligte eingesetzt und ich würde mir wünschen, dass ihr Erbe weitergelebt wird“, sagt die 46-Jährige.

Dann ist sie an der Reihe. Nervös nimmt sie sich den Kugelschreiber, setzt an und schreibt nur einen einzigen Satz: „Liebe Frau Friedländer, vielen Dank für Ihre Arbeit, Ihre Claudia.“