Liebe
Leserin, lieber Leser,

vor zweieinhalb Jahren bat mich Maike Bruhns zum
ersten Mal auf den Glockenturm von St. Nikodemus. Die Kirche ist ein
Nachkriegsbau am Rande des jüdischen Friedhofs in Ohlsdorf, verborgen hinter einem
kantigen Turm aus gelbem Klinker. Ganz oben unter der Turmspitze befindet sich
die Glockenkammer. In meiner Erinnerung ist sie eng, düster und verstaubt. Ich
sehe noch das Gebälk vor mir, das die drei schweren Glocken hielt, und die
Männer, die sie damals aus der Aufhängung hebelten. Ein Kraftakt.

Gestern durfte ich noch einmal auf den Turm. Und
was für eine Verwandlung! Die einstige Glockenkammer ist heute hell und offen.
Von zwei Seiten flutet Tageslicht den Raum, man schaut hinab auf das Grün des
Friedhofsparks. 

Seit einigen Jahren gibt es in der Architektur ein
Umdenken. Neubauten verbrauchen viele Ressourcen und stoßen Klimagifte aus. Deshalb
wird darüber geredet, dass man bestehende Gebäude lieber umbauen sollte, statt
sie abzureißen. So kam ich in die Nikodemuskirche, ich habe hier darüber berichtet (Z+).

Zu Pfingsten 2022 wurde der letzte Gottesdienst
gefeiert, das Kirchengebäude seitdem entwidmet und umgebaut. Ab sofort trägt es
den Namen „Parabel“ und ist ein Ausstellungshaus für moderne Kunst. Die
Hausherrin Maike Bruhns ist Kunsthistorikerin. Sie erforscht und sammelt Werke
aus Norddeutschland, unter anderem von Künstlerinnen und Künstlern, die im
Nationalsozialismus verboten, vertrieben, ermordet und anschließend fast
vergessen wurden.

© ZON

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Elbvertiefung – Der tägliche Newsletter für Hamburg

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Der Name „Parabel“ ist der Architektur von Henry
Schlote zu verdanken. Denn im Kirchenschiff, also dem Raum, in dem die Gemeinde
zum Beten und Singen zusammenkam, wölben sich die Außenwände parabelförmig bis
zur Decke.

Seit meinem ersten Besuch wurde an diesen Wänden
der Ruß von zahllosen Kerzen entfernt und zudem der dunkle Fliesenboden durch
einen helleren ersetzt. Der einstige Kirchenraum wirkt jetzt technisch und
clean, wie ein Museum, aber zugleich auch interessanter als viele
konventionelle, eckige Museumsräume. Fotos davon können Sie auf der Website des Architekturbüros sehen, das den Umbau für die Familie
Bruhns umgesetzt hat (das zweite Foto von unten zeigt die Glockenkammer).

Noch besser ist aber, Sie gehen selbst hin. Am 24.
und 25. Mai 2025 laden Maike Bruhns und ihre Familie die Hamburgerinnen und
Hamburger in ihr neues Ausstellungshaus an der Fuhlsbüttler Straße 656 ein. Von
10 bis 17 Uhr ist die „Parabel“ geöffnet, der Eintritt ist frei. Zu sehen gibt
es – neben der Architektur – eine Zusammenstellung von 60 Kunstwerken von Rolf
Nesch, Anita Rée und vielen wenig bekannten Namen. Im Juni startet dann der
reguläre Museumsbetrieb mit zwei Ausstellungen zur Kunst der Nachkriegsjahre
und der Schoah. 

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Ihr Oskar Piegsa

Wollen Sie uns Ihre Meinung sagen,
wissen Sie etwas, worüber wir berichten sollten? Schreiben Sie uns eine E-Mail
an hamburg@zeit.de.

WAS HEUTE WICHTIG IST

© Marcus Brandt/​PA

Die Kritik am neuen
Ballettintendanten Demis Volpi beim Hamburg Ballett wächst
: Nun berichteten
dem NDR auch Tänzerinnen und Tänzer aus Düsseldorf, wo Volpi zuvor tätig
gewesen war, von einem belastenden Arbeitsumfeld. In Hamburg hatten mehrere
Solisten gekündigt und von einem toxischen Klima gesprochen, rund 30
Ensemblemitglieder wandten sich in einem offenen Brief an die Kulturbehörde.
Senator Carsten Brosda (SPD) teilte im NDR mit, dass man die Vorwürfe sehr
ernst nehme.

Nach der geplanten Schließung des Hamburger
Instituts für Sozialforschung (HIS) im Sommer 2028 soll sein Archiv in das
Bundesarchiv in Koblenz übergehen.
Das gaben die Leitungen von HIS und
Bundesarchiv gestern bekannt. Zuvor hatte der Senat mit Institutsgründer Jan
Philipp Reemtsma über einen Verbleib des Archivs in Hamburg verhandelt. Das
misslang. Immerhin: Das Bundesarchiv bietet an, einige Teilbestände dem
hiesigen Staatsarchiv zu überlassen, darunter der Nachlass von Peggy Parnass
und das Firmenarchiv Reemtsma.

Der Grund für
eine eineinhalbstündige S-Bahn-Streckensperrung am Montagabend in Altona war
eine Entenfamilie,
die sich in den Gleisen niedergelassen hatte. Die
Polizei sperrte die Strecke und schaltete den Strom ab, um die Tiere zu retten.
Während sich die Küken relativ leicht eingefangen ließen, leisteten die
Enteneltern zunächst Widerstand. Schließlich wurden alle Tiere unverletzt in
einem Park freigelassen.

In aller Kürze

Die rot-grüne Koalition plant, dem
Wissenschaftler Thomas Großbölting, der im Februar bei dem ICE-Unglück in
Hamburg-Rönneburg ums Leben kam (Z+)
, einen Preis oder ein Stipendium zu
widmen
. Großbölting prägte die religionswissenschaftliche und
zeitgeschichtliche Forschung in Hamburg maßgeblich Der Filmtheaterkongress
KINO, Deutschlands wichtigster Branchentreff der Kinowirtschaft, wird ab 2026
in Hamburg ausgerichtet
. Der Umzug stärkt die Position der Stadt als
bedeutender Film- und Medienstandort. Der Kongress bringt jedes Jahr zahlreiche
Kinobetreiber, Verleiher und Branchenvertreter zusammen Trotz sonnigem
Wetter bleiben die Bäderland-Freibäder diese Woche noch geschlossen. Man
habe sich wegen der sehr kühlen Temperaturen in der Nacht noch dagegen
entschieden, so ein Sprecher. Sobald die Freibäder einmal geöffnet sind, soll
der Betrieb dann dauerhaft aufrechterhalten werden

THEMA DES TAGES

© Julia Sang Nguyen für DIE ZEIT

„Voll rein ins Leben. Aber scheiße: Was mache ich denn jetzt?“

Jule, Nia, Adrian und Kjell wollen
nach der Schule etwas werden. Reich, berühmt oder einfach happy. Es geht hoch,
runter, hoch. Ein Jahr mit vier Teenagern, begleitet von ZEIT-Redakteur Miguel
Helm; lesen Sie hier einen Auszug.

Gleich werden sie
auseinandergehen. Drei Stockwerke runter, vorbei am Hausmeisterzimmer, ein
letztes Mal durch die Eingangstür mit dem zerkratzten Glas. Dann werden manche
von ihnen links abbiegen und andere rechts. Sie werden in die Autos ihrer
Eltern steigen oder auf ihre Fahrräder und fortfahren, die Schülerinnen und
Schüler der 10g.

Jetzt sitzen sie noch in
ihrem Klassenzimmer in der Ida Ehre Schule, einer Stadtteilschule in
Hamburg-Eimsbüttel, und feiern ihren Abschluss. Stadtteilschule, das ist in
Hamburg das, was anderswo Gesamtschule heißen würde. Der Klassenlehrer Michael
Kröger hält eine kurze Rede. Er wendet sich an eine Schülerin: „Ich werde nie
vergessen, was du für einen Weg gegangen bist.“ An eine andere: „Du hast eines
niemals getan – aufgeben.“

Kröger hat die 10g drei
Jahre lang unterrichtet, hat bei ihnen als erster Lehrer in Deutschland Hip-Hop
als Unterrichtsfach eingeführt. An diesem Dienstag im Juli 2024 trennen sich
die Wege seiner Schüler. Manche fangen eine Lehre an oder einen Freiwilligendienst,
andere wechseln in die Oberstufe und wollen Abitur machen. „Ich wünsche mir,
dass ihr eine Sache gelernt habt: Jagt eure Träume!“, sagt Michael Kröger. „Macht
sie wahr!“

Es ist vorbei. Es geht
jetzt los.

Die ZEIT hat vier Schüler der 10g ein Jahr
lang begleitet, von den letzten Monaten des alten Schuljahres in ihr neues
Leben hinein, bis heute. Sie sind inzwischen 17 Jahre alt: Jule, Kjell, Nia und
Adrian. Keiner von ihnen ist besonders wohlhabend aufgewachsen, keiner
besonders arm. Keiner ist Schachjugendmeister oder Spitzenathletin oder ein
bekannter Influencer mit Werbevertrag. Vier Jugendliche von einer Gesamtschule
in Deutschland, mehr oder weniger zufällig ausgewählt.

Welche kleinen
und großen Dramen sie erleben, welche Fehler sie gemacht und was sie daraus
gelernt haben, lesen Sie weiter in der
ungekürzten Fassung auf ZEIT ONLINE.

Zum vollständigen Artikel

DER SATZ

© [M]xcitepress/​imago images

„Wer auf sie
draufhaute, weil man das damals so lernte bei sogenannter C-Prominenz, machte
in Wahrheit nicht Nadja Abd el Farrag klein, sondern sich selbst.“

Am Montagnachmittag
wurde bekannt, dass Nadja Abd el Farrag vorige Woche in einer Hamburger Klinik
an Organversagen gestorben ist, sie wurde 60 Jahre alt. Emilia Smechowski vom ZEITmagazin lernte Abd
el Farrag vor Jahren kennen und schrieb nun einen berührenden Nachruf, lesen (und kondolieren) können Sie hier.

DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN

Die nächste Veranstaltung
der Reihe „Streit.Bar“ im Nachtasyl findet am 19. Mai statt. Dieses Mal
diskutieren Wolfgang Knöbl, Direktor des Hamburger Instituts für
Sozialforschung, und die Journalistin und Schriftstellerin Hilal Sezgin zum
Thema „(Un-)Glaube in Zeiten schnellen Wandels“. Als Grundlage dienen drei
Sachbücher und ein Roman. Wenn Sie sich vorbereiten wollen: Die Liste finden Sie hier.

19.5., 20 Uhr, Nachtasyl (Rein
geht’s links neben dem Haupteingang des Thalia Theaters), Alstertor; weitere Infos und Tickets gibt es hier

MEINE STADT

Wer beobachtet wen? © Kerstin Bittner

HAMBURGER SCHNACK

Durchsage im Bus, kurz vor der Haltestelle, an der
bereits ein Bus derselben Linie vorfährt: „Liebe Fahrgäste, wenn niemand
aussteigen möchte, halte ich nicht an und überhole den vor uns fahrenden Bus.“
Auf die begeisterte Reaktion ›Au ja!‹ sagt der Busfahrer: „Das bringt
Spaß, nicht wahr?“

Gehört
von Christine von Seht

Das war die Elbvertiefung,
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