Marode Altbauten und Hightech-Roboter, preußische Pickelhauben und virtuelle Weltreisen – Berlin ist auch gegen Ende 21. Jahrhunderts ein Ort, an dem Tradition und Moderne eine symbiotische Beziehung eingehen und der Stadt einen ganz eigenen Charakter verleihen.

So stellt es sich zumindest der französische Comicszenarist Fred Duval vor, der zusammen mit dem Berliner Zeichner Ingo Römling gerade den ersten Band der Science-Fiction-Krimi-Reihe „Metropolia – Berlin 2099“ veröffentlicht hat. Die beiden lassen die Stadt dabei verdammt cool aussehen.

Die Tagesspiegel-App Aktuelle Nachrichten, Hintergründe und Analysen direkt auf Ihr Smartphone. Dazu die digitale Zeitung. Hier gratis herunterladen.

Hauptfigur ist ein Privatermittler mit dem sprechenden Namen Sascha Jäger, der nach dem tödlich verlaufenen Raub eines Digitalkunstwerks im Alten Museum die Verantwortlichen finden soll. Dabei kommt er im Auftrag des mächtigen Metropolia-Konzerns einem Plot auf die Spur, bei dem eine Künstliche Intelligenz die zentrale Rolle spielt.

Der Fernsehturm ist auch 2099 noch als Wahrzeichen Berlins erkennbar, davon gehen zumindest die Autoren von „Metropolia“ aus.

© Splitter-Verlag

Neben der Frage der Kontrollierbarkeit von KI-Systemen werden hier auch viele andere Themen der Gegenwart angerissen und im Kontext der nicht allzu fernen Zukunft fortgedacht. Die Knappheit fossiler Brennstoffe ist in „Metropolia“ zum Beispiel so weit eskaliert, dass Reisen nahezu unbezahlbar geworden sind.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Externen Inhalt anzeigen

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Reisen werden unbezahlbar, Wohnraum ist immer noch knapp

Die Bewohnerschaft Berlins bewegt sich daher fast nur noch zu Fuß durch den dystopischen Moloch, gelaufene Meilen sind neben dem Euro ein gleichwertiges Zahlungsmittel geworden. Wohnungsknappheit ist ebenfalls ein großes Thema, Immobilienspekulation und Mieterbetrug spielen bei den Hintergründen des Kunstraubs eine wichtige Rolle.

Den Plot hat Duval, der sich zuvor einen Namen mit erfolgreichen Genre-Reihen wie der Science-Fiction-Erzählung „Reset“ gemacht hat, solide konstruiert. Außergewöhnlich wird der in Deutschland beim Splitter-Verlag und in Frankreich bei Dargaud parallel veröffentlichte Comic aber vor allem durch die Zeichnungen von Ingo Römling.

Der Comic

© Splitter-Verlag

Fred Duval und Ingo Römling: „Metropolia: Berlin 2099“, Band 1, Übersetzung Tanja Krämling, Splitter-Verlag, 56 Seiten. Am 22. Mai liest Ingo Römling in Berlin beim Salon der grafischen Literatur aus dem Buch, mehr dazu hier. Und am 5. Juni um 19 Uhr gibt es eine vom Journalisten Alex Jakubowski moderierte Veranstaltung mit dem Zeichner bei Modern Graphics in Prenzlauer Berg (Kastanienallee 79, 10435 Berlin).

Der 1969 geborene Künstler hat sein enormes Können zuvor unter anderem als Illustrator des Weltraum-Abenteuers „Die Chroniken des Universums“ und des viktorianischen Horrorkrimis „Malcolm Max“ um einen paranormalen Ermittler unter Beweis gestellt. Davor hatte er sich bereits als erster autorisierter Disney-Zeichner in Deutschland, der Star-Wars-Comics zeichnet, international einen Namen gemacht.

In „Metropolia“ spielt Römling ein weiteres Mal seine Stärken aus. Die Zeichnungen sind elegant und kraftvoll zugleich. Die schlanken, androgyn wirkenden Figuren und die weitgehend naturalistisch gehaltenen Kulissen sind mit filigranen Konturlinien gezeichnet. Maschinen und technische Details visualisiert Römling auf diese Weise ebenso überzeugend wie menschliche Gesichter und organische Naturszenen.

Eine weitere Seite aus „Metropolia“.

© Splitter-Verlag

Über enge Bildausschnitte lässt der Zeichner seine Leser stellenweise ganz nah an die Figuren herankommen. Dann laden immer wieder filmisch wirkende Weitwinkel-Perspektiven dazu ein, in die detailreichen Stadtpanoramen wie in Suchbilder einzutauchen.

Zarter Strich, harte Action

Eine besondere Meisterschaft zeigt Römling ein weiteres Mal bei den Action-Szenen. Die vermitteln durch schnelle Perspektivwechsel, geschickt platzierte Soundwords, exakte Körpersprache und eine fein abgestimmte Lichtdramaturgie eine enorme Dynamik. Die fein abgestimmte Farbgebung (Kolorierung: Christophe Buchard) hilft zudem, auch in rasanten Momenten beim Lesen nicht den Überblick zu verlieren.

Das Album ist parallel in Deutschland und Frankreich veröffentlicht worden, hier eine Szene mit Blick über das Brandenburger Tor und Unter den Linden.

© Splitter-Verlag

Die coole, durchweg stilvolle Ästhetik des Bandes wird unterstrichen durch die bis in die letzte Falte sorgsam visualisierte Bekleidung der Figuren. Bei Römling sehen sogar Polizeiuniformen aus wie Haute Couture. Das klare Lettering in den Sprechblasen von Verleger Dirk Schulz, das eine handschriftliche Anmutung mit guter Lesbarkeit verbindet, rundet den hervorragenden optischen Gesamteindruck ab.

Die Mauer als holografische Rekonstruktion

Neben der packenden, wenngleich gegen Ende hin etwas überfrachteten Story um die Hintergründe des Kunstraubs und ein außer Kontrolle geratenes, von einer KI gesteuertes Hochhaus nimmt Berlin als Akteur viel Raum ein. Elemente aus der realen Gegenwart und Geschichte wie die Mauer, die hier als holografische Rekonstruktion wiederaufersteht, Flohmärkte und elegant modernisierte U-Bahnen werden ergänzt um gigantische Hochhaustürme und Hightech-Elemente. Die Stadt ist auf diese Weise hier nicht nur retrofuturistische Kulisse, sondern bekommt eine eigene Rolle, die ihr gut steht.

Ein außer Kontrolle geratenes Smart Home spielt in „Metropolia“ eine wichtige Rolle.

© Splitter-Verlag

Viele Elemente erinnern an Genre-Klassiker wie den Film „Blade Runner“ oder die Comicreihe „Der Incal“, in denen ebenfalls Privatermittler in dystopischen Zukunfts-Metropolen agierten. Auch lassen sich Bezüge zu Fritz Langs „Metropolis“ oder dem Manga „Akira“ entdecken. Durch die starken Berlin-Bezüge und die zeitgemäße KI-Story ist Duval und Römling dennoch eine sehr eigenständige Geschichte gelungen.

Mehr zu aktuellen Comics aus und über Berlin: Berlin-Comic „Super-GAU“ Fragile Existenzen zwischen Fukushima und Kreuzberg Die besten Comics des Jahres Multikultureller Manga-Krimi führt Kritiker-Bestenliste für 2024 an Graphic Novel „Sonntag“ von Olivier Schrauwen Im Rausch der Gedanken

Am Schluss werden in einem spektakulären Finale einige der im Verlauf der gut 50 Seiten aufgeworfenen Fragen beantwortet, andere bleiben offen. Da macht neugierig auf Band 2, der bereits in Vorbereitung ist.