Das Sturmtief Éowyn (deutscher Name: Gilles) hat mit Rekordgeschwindigkeiten über Großbritannien und Irland gewütet. An der irischen Westküste wurden Windböen mit einer Geschwindigkeit von 183 Kilometern pro Stunde gemessen, teilte der staatliche Wetterdienst Met Éireann mit (bisheriger Rekord: 182 Kilometer pro Stunde).
In Irland kam nach Polizeiangaben ein Mann ums Leben, als ein Baum auf sein Auto stürzte. Der neue irische Regierungschef Micheál Martin berief eine Krisensitzung ein und warnte zuvor die Bevölkerung vor einem „historischen Sturm“. Der Katastrophenschutz rief die Menschen auf, bis zum Ende der Sturmwarnung in ihren Häusern und Wohnungen zu bleiben.
„Der Sturm Éowyn entwickelt sich explosionsartig, was bedeutet, dass er sich mit außergewöhnlich hoher Geschwindigkeit verstärkt“, sagte Ambrogio Volonté von der Universität Reading dem Scientific Media Center Großbritannien (SMC).
Ein umgestürzter Baum und Masten sind in Dublin vom Sturm umgeweht worden.
© dpa/PA Wire/Brian Lawless
Die rasche Verstärkung wird durch einen starken Jetstream in der Atmosphäre verursacht, der einen hohen Temperatur- und Feuchtigkeitskontrast an der Meeresoberfläche mit sich bringt. Der Luftdruck fällt aktuell mehr als doppelt so schnell wie bei vergleichbaren Stürmen, Meteorologen sprechen dabei von einer „Bombogenese“. Volonté nennet Éowyn einen „besonders intensiven und gefährlichen Sturm“.
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Der Hydrologe Jess Neumann, außerordentlicher Professor für Hydrologie an der Universität Reading, warnte die Bevölkerung der betroffenen Gebiete: „Seien Sie vorbereitet, planen Sie im Voraus und bringen Sie sich in Sicherheit.“
Starker Wind, starker Regen und Schnee
Meteorologen und Wissenschaftler in Großbritannien und Irland sind in Alarmbereitschaft, die höchste Unwetterwarnstufe wurde ausgerufen. Auf der irischen Insel waren nach offiziellen Angaben mehr als eine Million Haushalte und Unternehmen zeitweise ohne Strom. In Teilen Irlands fiel zudem das Internet aus.
Angaben der Nachrichtenagentur PA zufolge fielen in den vom Sturm betroffenen Gebieten rund 1000 Flüge aus. Am Flughafen Dublin wurden über 200 Flüge gestrichen, in weiten Teilen des Landes steht auch der Bahnverkehr still. Aus vielen Teilen des Landes gab es Berichte über umgestürzte Bäume und Verkehrsbehinderungen. Schulen und andere Bildungseinrichtungen bleiben geschlossen.
Nach der irischen Insel hat der Orkan Kurs auf den Norden Großbritanniens genommen. Auch hier galt laut dem britischen Wetterdienst Met Office für Freitag die höchste Warnstufe Rot. Im Tagesverlauf wurde auch heftiger Regen und teilweise Schnee erwartet. Der Sturm soll bis in die Abendstunden andauern.
Ausläufer in Deutschland „zu spüren“
In Schottland wurden ausgerechnet im dicht bevölkerten „Central Belt“ zwischen Glasgow und Edinburgh die stärksten Beeinträchtigungen erwartet. Auch hier bleiben die Schulen geschlossen. Zudem drohen massive Behinderungen im Flug- und Bahnverkehr sowie Stromausfälle in den betroffenen Regionen. In der Folge zieht der Sturm über die Nordsee, weiter Richtung Norwegen.
Eine Person im schottischen Helensburgh geht mit ihrem Hund an einer Polizeiabsperrung wegen eines umgestürzten Baumes vorbei.
© AFP/ANDY BUCHANAN
Auch in Deutschland „werden die Ausläufer von Éowyn zu spüren“ sein, „wenn auch nicht mal ansatzweise so heftig wie auf den Britischen Inseln“, sagte der Meteorologe Felix Dietzsch vom Deutschen Wetterdienst (DWD) der dpa. In den Bergen werde am Freitag ein stürmischer Wind mit Geschwindigkeiten um 70 Kilometern pro Stunde wehen. Auch an der Nordsee könne es zu Sturmböen kommen.
„Die Meteorologenzunft schaut heute gebannt gen Irland und Großbritannien“, sagte Dietzsch weiter. Das Orkantief „Éowyn“ sei „außergewöhnlich heftig“.
Der Sturm Éowyn entwickelt sich explosionsartig, was bedeutet, dass er sich mit außergewöhnlich hoher Geschwindigkeit verstärkt.
Ambrogio Volonté von der Universität Reading
Starke Winterstürme sind in der Region nichts Ungewöhnliches. „Éowyn ist jedoch ein besonders starker Sturm, vor allem wegen des sehr aktiven Jetstreams. Außerdem wird der Sturm am stärksten sein, wenn er Großbritannien und Irland überquert“, sagt Liz Bentley, Geschäftsführerin der Royal Meteorological Society.
Die Bombogenese
„Bombogenese“ ist eine schnelle Zyklogenese, d.h. eine starke und schnelle Tiefdruckentwicklung. Dabei muss der Luftdruck in den mittleren Breiten innerhalb von 24 Stunden um 24 Hektopascal (hPa) fallen. Der Auslöser für eine schnelle Zyklogenese ist, wie bei der Entstehung eines normalen dynamischen Tiefdruckgebietes, vereinfacht gesagt das Zusammentreffen von kalter Luft aus dem Norden und warmer Luft aus dem Süden. Auch Deutschland kann von einer „Bombogenese“ betroffen sein. Ein sehr bekanntes Beispiel ist der vor Neufundland entstandene Weihnachtsorkan „Lothar“, der am 26. Dezember 1999 über Mitteleuropa und Deutschland hinwegzog und immense Schäden verursachte.
Chris White von der Universität Strathclyde bezeichnete den Sturm als „potenziell gefährliches Multi-Hazard-Ereignis“: Eine Kombination aus sehr starkem Wind, starkem Regen und Schnee, die ein breites Spektrum an Auswirkungen haben kann.
Mit Hurrikanen vergleichbar
Die hohen Windgeschwindigkeiten von Éowyn treiben das Wasser an die Westküste von Irland und Schottland. Der sehr hohe Seegang könne zur Überflutung von Schutzbauten führen, berichtet Meteorologe Thore Hansen vom DWD.
Auf dem offenen Meer westlich von Irland haben die Modelle Windgeschwindigkeiten von teilweise deutlich über 200 Kilometern pro Stunde in Böen und Windmittel um 170 Kilometern pro Stunde simuliert. „Das lässt Vergleiche mit Hurrikanen zu, die zwar eine andere Entstehungsgeschichte, aber zum Teil ähnliche Windgeschwindigkeiten haben“, sagt Hansen.
Ein LKW ist auf der A19 in Richtung Norden (Durham) im Nordosten Englands am Freitag bei starken Windböen auf die Seite gekippt.
© dpa/Owen Humphreys
Mit den genannten Werten erreicht Éowyn auf der fünfstufigen Saffir-Simpson-Hurrikan-Windskala den Wert eines Hurrikans der Kategorie 2. „Weil der Sturm so außergewöhnlich ist, wurde ein Hurrikan-Jagdflugzeug aus den USA nach Irland verlegt.“ Das Flugzeug wird Aufklärungsflüge im Inneren des Orkans durchführen, um seine Stärke und Struktur besser bestimmen zu können.
Diskussion zur Rolle des Klimawandels
Inzwischen diskutieren die Expertinnen und Experten, welche Rolle der Klimawandel bei diesem außergewöhnlich gewaltigen Sturm spielen könnte. Daniela Schmidt, Professorin für Geowissenschaften an der Universität Bristol, sagte, der Klimawandel werde zu oft auf die Erwärmung und auf Zahlen reduziert, die im Vergleich zu den jahreszeitlichen Temperaturschwankungen gering seien. „Das vermittelt ein falsches Gefühl der Sicherheit.“
Doch der Klimawandel verändere auch die Menge an Wasserdampf in der Atmosphäre und damit die Stärke und Häufigkeit von Stürmen und möglichen Überschwemmungen. Hohe Wassertemperaturen der Meere wurden von Klimaforschern immer wieder mit Wetterextremen in Verbindung gebracht.
Ein Foto des Leuchtturms von Seaham in Großbritannien während des Sturms „Darragh“ im Januar 2024. Der Luftdruck fällt aktuell mehr als doppelt so schnell wie bei vergleichbaren Stürmen. Forscher sprechen von einem „besonders intensiven und gefährlichen Sturm“.
© dpa/Owen Humphreys
Tim Palmer, emeritierter Forschungsprofessor der Royal Society an der Universität Oxford, warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen: „Es mag verlockend sein, den außergewöhnlichen Sturm Éowyn dem Klimawandel zuzuschreiben. Aber in diesem Fall ist es nicht so einfach.“ Der Sturm wurde durch einen ungewöhnlich starken Jetstream über dem Nordatlantik angeheizt.
Hintergrund dieser Entwicklung sind Zirkulationen über Nordamerika, die tiefe Temperaturen über weite Teile des Kontinents gebracht haben, mit einem starken Temperaturgefälle zu den Meerestemperaturen im Golf von Mexiko. „Ob die Zirkulationen, die die kalte Luft nach Nordamerika bringen, eine Komponente des Klimawandels haben, ist derzeit nicht bekannt“, sagt Palmer und rät von Spekulationen ab.
Es sei wahrscheinlich, dass die thermodynamischen Effekte des Klimawandels den Sturm Éowyn etwas verstärkt haben, doch Palmer warnt: „Wir wissen es aber nicht.“ Dies sei eine Aufgabe für die weitere Forschung, bei der die Entwicklung hochauflösender Klimamodelle von entscheidender Bedeutung sei.
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Sarah Kew vom Royal Netherlands Meteorological Institute verweist hingegen auf eine Studie der World Weather Attribution, an der sie beteiligt war: Demnach bringen Winter- und Herbststürme in Großbritannien und Irland aufgrund des Klimawandels rund 20 Prozent mehr Niederschlag. „Der Einfluss des Klimawandels auf Stürme ist weniger eindeutig.“ Studien würden eine leichte Zu- oder Abnahme der Sturmwinde in Großbritannien und Irland zeigen. „Weitere Untersuchungen sind notwendig.“
Auch die Klimaforscherin Hayley Fowler von der Universität Newcastle geht davon aus, dass Stürme wie Eowyn durch den Klimawandel häufiger werden: Das habe ihre Arbeit mit hochauflösenden Klimamodellen des britischen Met Office gezeigt. Mit der Erwärmung des Klimas sei auch zu erwarten, dass diese Stürme intensiver werden und größere Schäden anrichten. Es sei mit höheren Windgeschwindigkeiten und deutlich mehr Niederschlägen zu rechnen. „Die Risiken ändern sich rasant: Wir leben in einer viel wärmeren Welt.“
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Die jüngsten Stürme hätten jedoch gezeigt, dass sich die Gesellschaft nicht an die sich verschlechternden Klimabedingungen angepasst habe. „Die Länder müssen eine widerstandsfähigere Infrastruktur aufbauen, um sich an ein turbulenteres Klima anzupassen.“ Das sei zwar teuer, aber viel billiger als nichts zu tun.
Letztlich könne nur eine Reduktion der Treibhausgasemissionen die Risiken extremer Wetterereignisse mindern: „Doch die Emissionen steigen Jahr für Jahr und zwingen die Welt zu einer weiteren Erwärmung und damit zu stärkeren Überschwemmungen und Sturmschäden.“ (mit dpa/AFP)