Er soll Migrantinnen und Migranten eine Teilhabe in der Kommunalpolitik ermöglichen, Sichtweisen verschiedener Communitys auf die Agenda bringen. Doch nun gibt es im Hintergrund Ärger um die Wahl des neuen Migrantenbeirats für Leipzig im April: Beschwerdeführer sprechen von Mängeln bei der Durchführung der Wahl und verletzter Chancengleichheit. Die Stadt weist alle Vorwürfe zurück.
74.931 Personen mit Migrationsgeschichte konnten Anfang April online über den neuen Leipziger Migrantenbeirat abstimmen – tatsächlich machten nur 4.929 Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch, was einer Quote von 6,6 Prozent entspricht. Ein Umstand, den Robert Alia deutlich kritisiert und Vorwürfe erhebt: Aus Sicht des 35-Jährigen sei die Stadt Leipzig gescheitert, eine große Zahl an Menschen in der vielfältigen, migrantischen Community überhaupt zu erreichen.
Wahlsystem „zulasten demokratischer Fairness“?
Alia kam 2014 zum Studieren aus Albanien nach Deutschland, wohnt seit 2018 in Leipzig, arbeitet als BAMF-Dolmetscher und Ingenieur. Seine eigene Kandidatur für den Migrantenbeirat scheiterte Anfang April.
Für ihn ein Umstand, der vor allem an einem inakzeptablen Wahlsystem liegt: „Die Einteilung nach Herkunftsregionen benachteiligt kleinere Communitys und verhindert faire Chancengleichheit bei der Kandidatur. Es handelt sich um ein bundesweit einmaliges Wahlsystem, das so nur in Leipzig existiert – mit massiven strukturellen Mängeln“, erklärt Alia auf LZ-Anfrage. Leipzig gehe auch im Vergleich zu anderen Städten einen Sonderweg – „zulasten demokratischer Fairness“, so Alia.
Robert Alia (35) ist einer der Beschwerdeführer und übt massive Kritik an der Wahl. Foto: privat
Auf fast 29 Seiten, die der LZ vorliegen, hat er offiziell Einspruch gegen die Gültigkeit der Beiratswahl eingelegt, die vom 7. bis 14. April stattfand. Ein weiterer Hauptkritikpunkt Alias: Es habe unvollständige Wahlverzeichnisse gegeben, sodass viele Personen, auch Deutsche mit Migrationshintergrund, überhaupt nicht oder zu spät von der Wahlmöglichkeit erfahren hätten, Fristen verstrichen seien. Dazu zählt er eine Reihe sprachlicher, struktureller und technischer Barrieren bei der Wahldurchführung auf.
Beschwerdeführer sieht Benachteiligung kleinerer Communitys
In diesem Jahr war der neue Migrantenbeirat erstmals nach einem 2022 vom Stadtrat bestimmten, neuen Verfahren gewählt worden. Dabei wurden acht Herkunftsregionen (Asien I, Asien II, Asien III, Afrika I, Afrika II, Europa I, Europa I sowie Amerika, Australien, Ozeanien) festgelegt. Jede dieser Regionen erhielt je zwei Vertreter, welche die meisten Stimmen auf sich vereinen konnten. Beschwerdeführer Robert Alia landete in der Gruppe „Europa I“, welche die europäischen Nicht-EU-Staaten umfasst, mit 157 Stimmen nur auf Platz fünf, war damit raus.
Dennoch: „Ich bin mit den Ergebnissen zufrieden, da ich – anteilig gemäß der Anzahl der Menschen aus Albanien – mehr Stimmen erhalten habe als diejenigen, die aus großen Vereinen oder größeren Communitys stammen“, sagt der 35-Jährige. Gleichwohl sieht er eine massive Benachteiligung der Menschen, die sich in der Gruppe „Europa I“ gegen die Dominanz der Ukrainer nicht durchsetzen konnten. Als einziger Nicht-Ukrainer außer Alia kandierte in „Europa I“ noch der Nordmazedonier Aleksandar Kamchev, mit 64 Stimmen ebenfalls chancenlos.
Referatsleiterin weist Kritik zurück
Den Vorwurf einer Diskriminierung lässt die Stadt Leipzig nicht zu. Manuela Andrich, seit 2020 Leiterin des Referats für Migration und Integration, betont auf LZ-Anfrage, dass das Wahlverfahren in einer demokratischen Prozedur beschlossen wurde. Nach der letzten Wahl 2021 gab es Wünsche des Stadtrats und des Migrantenbeirats, ein neues Wahlsystem mit Herkunftsregionen aufzustellen: Das habe man ernst genommen und umgesetzt, so die 53-Jährige.
Manuela Andrich (53) ist Leiterin des Referats für Migration und Integration, weist die Vorwürfe gegen die Wahl des Migrantenbeirats zurück. Foto: LZ
Dieses System ließe sich in Zukunft nachschärfen. „Das ist aber nicht meine Entscheidung. Ich führe aus, was der Stadtrat, die migrantischen Akteure in dieser Stadt und Experten zusammensuchen.“ Dass nun Ukrainerinnen und Ukrainer in Leipzig seit dem Beginn von Putins Großangriff 2022 eine zahlenmäßig große Gruppierung von etwa 13.000 Menschen darstellen, sei ein unplanbarer Umstand, der sich auch hier widerspiegele. Generell sei der Beirat aber transkulturell ausgelegt und nicht auf die Vertretung einer bestimmten Nationalität.
Dennoch räumt Andrich ein, dass die magere Wahlbeteiligung ein Problem sei, das thematisiert werden müsse. Und auch bei der Zustellung der fast 75.000 Benachrichtigungen zur Wahl habe es einen recht hohen Rücklauf von rund 8.200 Sendungen gegeben: Das aber sei besonders auf Fluktuationen wie Adresswechsel zurückzuführen, am Dienstleister habe es nicht gelegen.
Hinweis auf begrenzte Ressourcen
Auch Robert Alias Kritik, wonach Eingebürgerte benachteiligt seien, weist Andrich mit Blick auf die Satzung zurück: Die gäbe eine Einteilung Wahlberechtigter in Personen mit und ohne Einbürgerung vor. Erstere Gruppe habe sich selbst um die Wahlbenachrichtigung kümmern müssen, weil eine amtliche Auflistung Deutscher mit Migrationsbiografie nicht existiert. Damit sei es nicht möglich gewesen, diese Menschen aktiv anzuschreiben.
Dabei könne sie Alia andererseits verstehen, wenn er etwa die Reichweite der öffentlichen Vorab-Kommunikation zur Wahl als unzureichend kritisiert, meint die Referatsleiterin. Das aber sei begrenzten Ressourcen geschuldet: So sei eine Kollegin, die eigentlich andere Aufgaben hat, für die PR-Arbeit zuständig gewesen.
Ohne probate Geldmittel, die in Zeiten klammer Kommunen ohnehin nicht üppig gesät sind, und genug Kollegen lasse sich keine Riesen-Kampagne fahren, bedauert Andrich. Dennoch habe man als Stadt immer noch deutlich mehr getan als vorgeschrieben, so etwa mit 37 Vorab-Veranstaltungen zur Wahl des Migrantenbeirats seit Februar.
Berufung des neuen Beirats verschoben
Die eigentlich für den 21. Mai angesetzte Berufung der neuen Mitglieder des Migrantenbeirats im Stadtrat wurde nach jetzigem Stand auf Juni verschoben. Ein Umstand, der laut Andrich jedoch auf die volle Tagesordnung zurückzuführen ist, nicht auf die Beschwerden gegen die Wahl.
Drei davon sind beim Rechtsamt aktuell anhängig und werden dort überprüft. Robert Alia und Mitstreiter Aleksandar Kamchev haben aber Einwohneranfragen gestellt, die in der nächsten Ratsversammlung beantwortet werden sollen. Alia kündigte an, gegebenenfalls beim Verwaltungsgericht auf eine Neuwahl oder Teilwiederholung zu klagen.