Update: Kurz nach Erscheinen des Artikels, meldete sich MEEDIA-Kolumnist Thomas Koch zu wort, seines Zeichens Berater im Bereich digitale Außenwerbung. Sein gewohnt sarkastischer Kommentar hier im Wortlaut. Er bildet nicht die Meinung der Redaktion ab:
Dass die Initiative „Hamburg Werbefrei“ gescheitert ist, ist ein wichtiges Signal. Werbung verbieten zu wollen, ist Unfug. Werbung ist ein unverzichtbarer Teil unseres Wirtschaftssystems. Es bietet Information (und Unterhaltung), Hilfe bei der Auswahl von Produkten und ist unerlässlich für die Einführung neuer Produkte und Marken, die stets eine Weiterentwicklung bedeuten. Ohne Werbung gäbe es keinen Wettbewerb und keine Produkt-Evolution. Ohne Werbung lebten wir in einem Land wie Nord Korea. Die Veranstalter der Initiative haben nicht zu Ende gedacht – und sind deshalb zurecht gescheitert. Dass sie für ihre Initiative sogar genau die Werbung machen mussten, die sie abschaffen wollten, geht als Treppenwitz in die Marketing-Geschichte ein. Eine Hamburger Zeitung titelte: „Trotz der vielen Werbung“. Oder es war nicht genug Werbung? Wir werden es nie erfahren…
Der Artikel:
Als die letzten Besucher die erste von zwei Jahreskonferenzen des Branchenverbands der digitalen Außenwerbung (IDOOH) verlassen, ist es längst dunkel an der Außenalster. Ohne darauf zu achten, passieren sie ein am Boden liegendes Plakat, das von einem Laternenpfahl gerutscht ist. Dabei hatte genau dieses Plakat noch vor wenigen Stunden den großen Saal des ehrwürdigen Ruderclubs Allemannia erbeben lassen. Es ist ein Werbemittel von Hamburg Werbefrei, der Initiative, die versucht hat per Volksentscheid die Außenwerbung in der Hansestadt weiter zu begrenzen. Als die Nachricht vom Scheitern der Initiative auf der Konferenz die Runde machte, brandete donnernder Applaus an die Gestade des Hamburger Binnensees.
Der Initiative ist es nicht gelungen, die notwendigen fünf Prozent der Hamburger Bürger hinter sich zu vereinen, was man mit Unterschriften hätte beweisen müssen. Am Ende wurde das Ziel deutlich verfehlt. 14.856 Stimmen, also etwa 22 Prozent, fehlten dem Volksbegehren, um die in der Hamburger Verfassung verankerte nächste Stufe zu zünden, den Volksentscheid. Ein solcher ähnelt einer Kommunalwahl. Alle 1,3 Mio. wahlberechtigten Bürger werden schriftlich informiert und aufgefordert, ihre Stimme abzugeben. Ein scharfes Schwert in der politischen Meinungsbildung.
Die Erleichterung beim Branchenverband ZAW und seinen Mitgliedern ist groß. Man sieht sich ohnehin einer starken Regulierung ausgesetzt. Neue Stellflächen für Werbestelen sind im öffentlichen Raum kaum zu bekommen und im privaten Raum stark limitiert. Das gilt nicht nur für die Platzierung, sondern auch für die dort ausgestrahlten, werblichen Inhalte. An den entsprechenden Betriebsgenehmigungen verdienen die Kommunen mit. Außerdem nimmt die Außenwerbung für sich in Anspruch, wichtiger Transporteur für lokale Informationen zu sein. So betreibt in Hamburg zum Beispiel der Branchenriese Ströer ein Warnsystem für Hochwasser (MEEDIA berichtete). Die entsprechenden Meldungen werden über die gleichen Bildschirme ausgespielt, auf denen auch die Werbung von Otto oder Adidas läuft.
Unterdessen ist man sich beim ZAW darüber im klaren, dass das ein Etappensieg ist. Initiativen wie in Hamburg gibt es auch in anderen Städten, wie zum Beispiel Berlin. In Zürich wurde der weitere Ausbau der digitalen Außenwerbung gestoppt. In Paris ebenso. In Nantes ist ein entsprechendes Verbot für bestimmte Teile der Innenstadt in Kraft. In Vernier will man überhaupt keine Außenwerbung sehen. Und in Genf wurde die Initiative „Zero Pub“ nachträglich doch noch ausgebremst. 2021 hatte man bekannt gegeben, 2025 aus der Außenwerbung aussteigen zu wollen. 2023 hob ausgerechnet ein Referendum diesen Beschluss mit knapper Mehrheit wieder auf.
Gegenüber MEEDIA möchte FAW-Hauptgeschäftsführer Kai-Marcus Thäsler die Zahlen gar nicht kommentieren. Er plädiert stattdessen für einen Perspektivwechsel: „Bei digitalen Medien im öffentlichen Raum handelt es sich um weit mehr als um Werbung, denn es werden auch nicht-kommerzielle Inhalte und aktuelle Informationen gezeigt. Hier entsteht ein neuer Kommunikationskanal, der zur öffentlichen Meinungsbildung beiträgt.“
Trotz verfehlter Hürde: Hamburg Werbefrei bleibt kämpferisch
Die Initiatorinnen und Initiatoren der Kampagne Hamburg Werbefrei zeigen sich trotz des Scheiterns ihres Volksbegehrens nicht unzufrieden. „Bei aller Enttäuschung, dass es nicht geklappt hat: Durch das Volksbegehren sind unsere Argumente so präsent geworden wie noch nie – auch über Hamburg hinaus“, sagt Antonia Petschat, Vertrauensperson der Initiative. „Die Arbeit unserer vielen freiwilligen Helfer:innen mit Klemmbrettern und Kugelschreibern war deshalb nicht umsonst. Vielleicht haben wir ja etwas in Bewegung bringen können, das uns über Umwege am Ende doch noch ans Ziel führt,“ wie „CampaignGermany“ berichtet.
Auch Nils Erik Flick, ebenfalls Vertrauensperson, zieht eine positive Bilanz: „Die vielen tausend Gespräche, die wir in den letzten Wochen überall in der Stadt geführt haben, haben gezeigt, dass wir einen Nerv getroffen haben. Auch wenn es am Ende nicht gereicht hat: Die Bedürfnisse dieser vielen Menschen dürfen die Regierenden nicht einfach ignorieren.“
Die Initiative kündigt juristische Schritte an. Nach Feststellung des amtlichen Ergebnisses will sie beim Hamburgischen Verfassungsgericht einen Antrag auf Überprüfung des Verfahrens stellen – insbesondere mit Blick auf die Informationspolitik des Senats, einen möglichen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot durch den Finanzsenator und die Zulässigkeit der Gegenkampagne des Fachverbands Außenwerbung auf staatlichen Werbeflächen. „Sollte das Verfassungsgericht der Argumentation der Volksinitiative folgen, könnte es das Zustandekommen des Volksbegehrens feststellen und die Hamburger:innen bekämen die Möglichkeit, über den Gesetzentwurf abzustimmen“, erklärt der Anwalt der Initiative, Nadi El-Ghazi.
Kampagne, Gegenkampagne und das Verfassungsgericht
Kritisch sieht Hamburg Werbefrei insbesondere die laufende Gattungskampagne des Fachverbands Außenwerbung (FAW), die aus Sicht der Initiative eine unzulässige Reaktion auf die Unterschriftensammlung sei. FAW-Geschäftsführer Kai-Marcus Thäsler widerspricht: Es handele sich um eine bundesweite Aktion anlässlich des 170. Todestags von Ernst Litfaß. Der genaue Termin war der 27. Dezember 2024. Die Kampagne, so Thäsler, war schon deutlich früher geplant und nicht als Gegenkampagne aufgesetzt worden. „Man muss immer darauf achten, wann Kapazitäten dafür da sind“, sagte Thäsler. Er habe nicht einmal gewusst, dass Hamburg Werbefrei genau jetzt plakatiert.
Was die Initiative gegenhält ist die Tatsache, dass Ströer und Wall, bei denen die Kampagne lief, in Hamburg Exklusivrechte genießen und sich folglich neutral zu verhalten hätten.
In den vergangenen Wochen hatte Hamburg Werbefrei mit zahlreichen Plakaten im Stadtgebiet für ihr Anliegen geworben. Im Fokus der Kritik stand vor allem digitale Außenwerbung, die laut Hamburg Werbefrei übermäßigen Strom verbrauche, Verkehrsteilnehmende ablenke und zur Lichtverschmutzung beitrage. Die Argumente sind nicht neu. Schon zum überstürzt und leidlich unstrukturiert vorgetragenen Nachtwerbeverbot der Ampelkoalition vom Sommer 2022, hatte Hamburg Werbefrei einen wesentlichen Impuls gesetzt. Damals kritisierte man die berühmte „Duschkopf-Kampagne“ des Wirtschaftsministers. Allein um allein die Energie einzusparen, die die über DOOH ausgespielte Kampagne verbraucht, müssen etliche Tausend Bundesbürger sich einen sparsameren Duschkopf zulegen, so die Initiative. Der entsprechend sarkastische Social-Media-Post ging viral und darauf war nicht nur Robert Habecks Duschkopf-Kampagne zu sehen, sondern auch das Markenlogo des Branchenriesen Ströer. Ein PR-GAU.
Der Branchenverband ZAW ist bemüht, die Kritikpunkte auszuräumen. Er zitiert auf seiner Website Studien, die zum Beispiel belegen, dass Außenwerbung an Straßen keine zusätzlichen Unfälle provoziert, wie von Hamburg Werbefrei vorgebracht. Auch der kritisierte Stromverbrauch sei zum einen zu hoch angesetzt, weil die Stelen schon aus ökonomischem Eigeninteresse der Betreiber nicht den ganzen Tag und die ganze Nacht laufen und schon gar nicht unter Volllast. Zum anderen sei eine Berechnung des Brutto-Stromverbrauchs einer Stele ohnehin nur die halbe Wahrheit. Gemessen an der Kontaktzahl verbrauche das Massenmedium deutlich weniger Energie als beispielsweise mobile Werbeformen, bei denen ja jeder einzelne Rezipient seinen eigenen Bildschirm in Betrieb hat.
Dem Argument der Lichtverschmutzung begegnen die Verbände mit der Notwendigkeit der Beleuchtung an neuralgischen Punkten, etwa an Bushaltestellen. Das von den Stelen und Monitoren ausgehende Licht erfülle hier auch eine Sicherheitsfunktion. Letzteres war schließlich auch der Grund, warum das „Nachtwerbeverbot“ keine Wirkung entfaltete. Die Kommunen sollten solche Ausnahmen definieren, die nicht abgeschaltet werden sollen. Für die Städte und Gemeinden eine Zwickmühle, schließlich verdienen sie an der Außenwerbung mit, aber eben nur, wenn sie läuft.
Die vermeintliche Gegenkampagne, die in Hamburg über die Stelen von Wall und Ströer ausgespielt wurde, hatte noch einen anderen Dreh. Es wurden Testimonials präsentiert, die davon profitiert hatten, dass die Stelenbetreiber ihnen Leerzeiten günstig oder teilweise kostenlos zur Verfügung gestellt hatten. Darunter die Hamburger Tafel, eine Initiative für Ukrainehilfe sowie diverse Theater oder Konzertveranstalter. Letzteres ficht auch die Initiative Hamburg werbefrei keineswegs an. Im Gegenteil: Man will den Kultur- und Informationsanteil, der auf den Stelen läuft, auch für die bestehenden Installationen auf 50 Prozent festschreiben.
Hier wird Kai-Marcus Thäsler dann allerdings doch deutlicher: „Out of Home ist in einer inzwischen sehr fragmentierten Medienwelt das letzte Massenmedium, das diskriminierungsfrei alle Bevölkerungsschichten und Ethnien erreicht. So können beispielsweise kommunale Informationen, Nachrichten, aber auch Warnmeldungen an solche Menschen weitergegeben werden, die sich sonst in ihren Blasen eingeigelt haben, und das bedeutet demokratische Teilhabe. Die Werbefrei-Aktion ist eine grundsätzliche Kapitalismus-Kritik, die diesen Zusammenhang verkennt“.
Ein konstruktiver Warnschuss
Interessanterweise waren die Themen Content und Kreativität in der Außenwerbung tatsächlich ein Schwerpunkt der ersten IDOOH-Jahreskonferenz. Man ist sich dessen bewusst, dass man Werbewirkung nur erzeugt, wenn die Stelen sich die „freiwillige“ Aufmerksamkeit der Stadtbürger verdienen. Und neben Produktneuheiten und Rabattangeboten steht kontextuell relevanter Content im Mittelpunkt der Betrachtung. Dazu zählen Formate aus der Unterhaltung, Nachrichten oder Content von Creatorn, so wie es zum Beispiel die Außenwerber von Hygh aus Berlin immer wieder inszenieren. „New Playground for Urban Creators“ lautet deren aktueller Claim. Das DOOH-Display als Kulturgut.
Und unterm Strich muss man das Scheitern der Initiative Hamburg Werbefrei auch als Votum der Hamburger anerkennen. Über 95 Prozent der Hanseaten ist das Thema entweder gleichgültig oder sie bewerten Außenwerbung sogar positiv. Oder sie hatten einfach Besseres zu tun, als bei der Initiative zu unterschreiben.
Egal wie, das Aufatmen der Branche, wie auf der IDOOH-Konferenz zu hören, bedeutet auch, dass man sich Sorgen um die geliebte eigene Mediengattung gemacht hat. Die Außenwerbung ist die in der Gesellschaft sichtbarste Repräsentanz von digitaler Werbung. Die nächsten Scharmützel sind unvermeidlich. Die Außenwerbung tut gut daran, weiter an ihrem Image zu arbeiten, der Kreation wieder mehr Augenmerk zu schenken und immer bessere Stelen zu bauen, die zum Beispiel die Luft in den Innenstädten reinigen oder kühlen. Beispiele dafür gibt es längst.