In Berlin-Kreuzberg läuft derzeit die pro-palästinensische Demonstration „Nakba 77“. Laut einem Sprecher der Berliner Polizei sind 1100 Teilnehmer und 600 Einsatzkräfte am Südstern versammelt. Bislang gab es 15 Festnahmen. Ein Polizist wurde schwer verletzt, als er von Demonstranten in die Menge gezogen wurde. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht.
Aggressive Teilnehmer hatten Polizisten zuvor mit Getränkedosen und anderen Gegenständen beworfen und sie mit roter Farbe bespritzt. Behelmte Polizisten versuchen immer wieder, die Menge der Demonstranten zurückzudrängen.
Gegen 20 Uhr verkündete die Polizei mit Durchsagen die Auflösung der Demonstration. Aus der Versammlung seien wiederholt „diverse und erhebliche“ Straftaten begangen worden. Die Teilnehmer werden aufgefordert, die Kundgebung in Richtung Bahnhof Südstern zu verlassen.
Gegen 18 Uhr fuhr die Polizei den ersten Wasserwerfer an die Kundgebung heran, eine Stunde später einen zweiten. „Teilnehmende versuchten sich zu einem Aufzug zu formieren, obwohl die Versammlung auf eine Kundgebung beschränkt ist“, erklärte die Behörde auf X. „Dazu verknoteten sie unter anderem ihre Transparente. Um eine mögliche Laufstrecke zu blockieren, stehen unsere Wasserwerfer aktuell in unmittelbarer Nähe zur Versammlung.“ Demonstranten spannen Regenschirme auf. Gezündete Pyrotechnik wurde schnell gelöscht.
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Hintergrund der Demonstration ist der palästinensische Gedenktag „Nakba“ (Arabisch für Katastrophe), der am 15. Mai an die Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im Zug der israelischen Staatsgründung 1948 erinnert. Der Tag polarisiert. In den vergangenen Jahren kam es bei ähnlichen Demonstrationen zu gewalttätigen Ausschreitungen sowie volksverhetzenden und israelfeindlichen Sprechchören.
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Unter dem Motto „Nakba 77 Years of Resistance“ wollten die Demonstranten vom U-Bahnhof Südstern in Kreuzberg bis zur Sonnenallee in Neukölln ziehen. Der Veranstalter hatte 1000 Demonstranten angemeldet. Die Berliner Polizei ist mit zahlreichen Einsatzkräften und Mannschaftswagen vor Ort.
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Zu Beginn der Kundgebung riefen die Veranstalter zum Widerstand gegen die Ermordung und Enteignung des palästinensischen Volkes auf. „Seit 19 Monaten erlebt die Welt eine beispiellose Eskalation der ethnischen Säuberung“, sagte ein Redner. „Wir haben es satt.“ Auch Deutschland und westliche Regierungen hätten durch finanzielle Unterstützung und Waffenlieferungen an Israel einen Anteil an der derzeitigen Situation im Gazastreifen. Die Veranstalter forderten eine Einstellung der Unterstützung Israels und ein „freies Palästina auf seinem historischen Gebiet“.
Eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer trug die Attrappe eines toten Babys bei sich.
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Die Demonstranten unterstreichen ihre Forderungen mit auffälliger Kleidung und Plakaten. Parolen wie „Your silence kills“ („Euer Schweigen tötet“) oder „Genozid ist Genozid“ stehen darauf. Auch die Links-Partei, die Antifa und die Kommunistische Partei sind vertreten.
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Zwischen den Redebeiträgen, die auf Deutsch, Englisch und Arabisch vorgetragen werden, trommeln die Demonstranten und rufen „Viva Palästina“, „Palestine will be free“, „Deutschland finanziert, Israel bombardiert“ oder „There is only one solution, Intifada Revolution“.
Nachdem ein Demonstrant auf einen nach seinen Angaben rechten Streamer aufmerksam machte, wurde es kurzzeitig unruhig.
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Am Rande der Kundgebung wurden nach Angaben des Polizeisprechers vier Menschen festgenommen, darunter ein Straftäter, den die Behörde nach einer vorangegangenen Demonstration suchte. Die weiteren Festnahmen geschahen demnach wegen eines tätlichen Angriffs, Beleidigung und des Ausrufs der Parole „From the River to the Sea“.
In lautstarken und aggressiven Sprechchören waren auch Sprüche wie „Kindermörder Israel, Frauenmörder Israel, Babymörder Israel“ oder „Yallah, yallah Intifada“ zu hören.
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Streit um „ortsfeste“ oder mobile Demonstration
Die Polizei hatte den Protestzug ursprünglich bereits verboten. Stattdessen sollte die Demonstration „ortsfest“ stattfinden und am Südstern bleiben. Konkret war die dortige Grünanlage an der Ecke zur Fontanepromenade für die Kundgebung vorgesehen. Das Berliner Verwaltungsgericht kippte am Donnerstag im Eilverfahren das Verbot, sodass der Demonstrationszug doch über die Sonnenallee ziehen sollte. Dagegen reichte die Polizei Beschwerde ein – erfolgreich.
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Das Verwaltungsgericht hatte das Verbot eines mobilen Protestzugs durch die Polizei als unverhältnismäßig beurteilt. Die Versammlungsfreiheit schütze „auch das Recht, über die Modalitäten einer Versammlung zu entscheiden, also auch darüber, ob die Versammlung ortsfest oder als Aufzug stattfinden soll“, hieß es in der Entscheidung.
Die Polizei hatte ihr Verbot mit der „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit“ begründet. In den vergangenen Jahren war es an Demonstrationen zum Nakba-Gedenktag immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen sowie Straftaten, darunter dem Skandieren volksverhetzender und israelfeindlicher Sprechchöre, gekommen.
Dass damit auch in diesem Jahr zu rechnen sein kann, zeigt ein Schreiben aus der linksautonomen Szene, das zur Teilnahme an der als „Nakba 77“ angemeldeten Demonstration aufruft. „Insbesondere an diesem Tag akzeptieren wir keine Befehle der Polizei, die die ganze Demonstration oder einen Teil davon daran hindern, zu laufen“, heißt es dort auf Englisch. „Wir rufen alle auf, vorbereitet zu kommen und zu zeigen, wem die Straße gehört – unsere Straße!“
Was ist die „Nakba“?
Am 15. Mai 1948 – einen Tag nach der Ausrufung der Unabhängigkeit Israels – griffen fünf arabische Armeen den jungen jüdischen Staat an. Somit markiert der Tag auch den Beginn des ersten arabisch-israelischen Krieges.
Seit langem ist der 15. Mai ein Tag, an dem Palästinenser auf die Straße gehen und gegen den Verlust ihrer Heimat protestieren. Dabei kommt es immer wieder zu schweren Ausschreitungen – sowohl in Israel als auch in anderen Ländern. Israel wirft der Hamas und anderen terroristischen Organisationen vor, den Tag für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.
Der Begriff „Nakba-Tag“ wurde 1998 von dem damaligen Palästinenserführer Jassir Arafat geprägt. Er legte das Datum als offiziellen Tag des Gedenkens an den Verlust der palästinensischen Heimat fest. „Nakba“ ist die arabische Übersetzung für „Katastrophe“. Schätzungsweise 700.000 Palästinenserinnen und Palästinenser verloren ihr Zuhause – auch durch Flucht oder Vertreibung.
Zudem wird in dem Aufruf mehrfach die Befreiung Palästinas „vom Fluss bis zum Meer“ gefordert, was als Vernichtungsaufruf Israels – das in dem Text konsequent mit Anführungszeichen erwähnt wird, um die Legitimation des israelischen Staats zu verneinen – verstanden werden kann.
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Zum sogenannten Nakba-Tag ist am Oranienplatz in Kreuzberg eine Kundgebung angemeldet, die um 17 Uhr beginnen soll. An der Hasenheide soll ab 16 Uhr ein Gegenprotest mit dem Titel „No Nakba-Marsch! Antifaschistischer Protest gegen den antisemitischen Nakba-Marsch“ stattfinden. (mit dpa)