In Berlin-Kreuzberg ist die pro-palästinensische Demonstration „Nakba 77“ beendet worden. Laut einem Sprecher der Berliner Polizei waren 1100 Teilnehmer und 600 Einsatzkräfte am Südstern versammelt. Kurz nach der Auflösung der Demonstration zog ein Sprecher eine erste Bilanz. Demnach gab es mehr als 50 Festnahmen. Mindestens zehn Polizeibeamte und mehrere Teilnehmer wurden verletzt. „Die Entscheidung, die Demonstration stationär zu veranstalten, war richtig“, sagte der Sprecher. „Sonst wäre es noch schlimmer geworden.“

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Ein Polizist wurde schwer verletzt, als er von Demonstranten in die Menge gezogen und auf ihm herumgetrampelt wurde. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht. Laut einem Bericht in der B.Z. war der Beamte zunächst von einem Notarzt behandelt und mit Sauerstoff und Schmerzmitteln versorgt worden. Bei mindestens einem Polizisten seien Knochenbrüche an der Hand festgestellt worden.

Aggressive Teilnehmer hatten Polizisten zuvor mit Getränkedosen und anderen Gegenständen beworfen und sie mit roter Farbe bespritzt. Behelmte Polizisten versuchten immer wieder, die Menge der Demonstranten zurückzudrängen.

© dpa/Christophe Gateau

Gegen 20 Uhr verkündete die Polizei mit Durchsagen die Auflösung der Demonstration. Aus der Versammlung seien wiederholt „diverse und erhebliche“ Straftaten begangen worden. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, die Kundgebung in Richtung Bahnhof Südstern zu verlassen. Polizisten drängten Teilnehmer immer wieder in Richtung Bahnhof Südstern – auch unter Anwendung von Gewalt. Dabei wurden einzelne Teilnehmer festgenommen. Am Eingang zum Bahnhof kontrollierten Polizistinnen und Polizisten Teilnehmer, die abfahren wollten.

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Ein Teilnehmer diskutiert bei einer propalästinensischen Demonstration zum 77. Nakba-Tag mit einem Polizisten.

© dpa/Christophe Gateau

Gegen 18 Uhr hatte die Polizei den ersten Wasserwerfer an die Kundgebung herangefahren, eine Stunde später einen zweiten. „Teilnehmende versuchten sich zu einem Aufzug zu formieren, obwohl die Versammlung auf eine Kundgebung beschränkt ist“, erklärte die Behörde auf X. „Dazu verknoteten sie unter anderem ihre Transparente. Um eine mögliche Laufstrecke zu blockieren, stehen unsere Wasserwerfer aktuell in unmittelbarer Nähe zur Versammlung.“ Demonstranten spannten Regenschirme auf. Gezündete Pyrotechnik wurde schnell gelöscht.

Hintergrund der Demonstration ist der palästinensische Gedenktag „Nakba“ (Arabisch für Katastrophe), der am 15. Mai an die Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im Zug der israelischen Staatsgründung 1948 erinnert. Der Tag polarisiert. In den vergangenen Jahren kam es bei ähnlichen Demonstrationen zu gewalttätigen Ausschreitungen sowie volksverhetzenden und israelfeindlichen Sprechchören.

© Tsp / Christoph Papenhausen

Unter dem Motto „Nakba 77 Years of Resistance“ wollten die Demonstranten vom U-Bahnhof Südstern in Kreuzberg bis zur Sonnenallee in Neukölln ziehen. Der Veranstalter hatte 1000 Demonstranten angemeldet.

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Zu Beginn der Kundgebung riefen die Veranstalter zum Widerstand gegen die Ermordung und Enteignung des palästinensischen Volkes auf. „Seit 19 Monaten erlebt die Welt eine beispiellose Eskalation der ethnischen Säuberung“, sagte ein Redner. „Wir haben es satt.“ Auch Deutschland und westliche Regierungen hätten durch finanzielle Unterstützung und Waffenlieferungen an Israel einen Anteil an der derzeitigen Situation im Gazastreifen. Die Veranstalter forderten eine Einstellung der Unterstützung Israels und ein „freies Palästina auf seinem historischen Gebiet“.

Eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer trug die Attrappe eines toten Babys bei sich.

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Demonstranten unterstrichen ihre Forderungen mit auffälliger Kleidung und Plakaten. Parolen wie „Your silence kills“ („Euer Schweigen tötet“) oder „Genozid ist Genozid“ standen darauf. Auch die Links-Partei, die Antifa und die Kommunistische Partei waren vertreten.

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Zwischen den Redebeiträgen, die auf Deutsch, Englisch und Arabisch vorgetragen wurden, trommelten Demonstranten und riefen „Viva Palästina“, „Palestine will be free“, „Deutschland finanziert, Israel bombardiert“ oder „There is only one solution, Intifada Revolution“. 

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In lautstarken und aggressiven Sprechchören waren auch Sprüche wie „Kindermörder Israel, Frauenmörder Israel, Babymörder Israel“ oder „Yallah, yallah Intifada“ zu hören.

Nachdem ein Demonstrant auf einen nach seinen Angaben rechten Streamer aufmerksam machte, wurde es unruhig.

© REUTERS/AXEL SCHMIDT

Am Rande der Kundgebung wurde auch ein Straftäter festgenommen, den die Behörde nach einer vorangegangenen Demonstration suchte.

© dpa/Christophe Gateau

Streit um „ortsfeste“ oder mobile Demonstration

Die Polizei hatte den Protestzug ursprünglich bereits verboten. Stattdessen sollte die Demonstration „ortsfest“ stattfinden und am Südstern bleiben. Konkret war die dortige Grünanlage an der Ecke zur Fontanepromenade für die Kundgebung vorgesehen. Das Berliner Verwaltungsgericht kippte am Donnerstag im Eilverfahren das Verbot, sodass der Demonstrationszug doch über die Sonnenallee ziehen sollte. Dagegen reichte die Polizei Beschwerde ein – erfolgreich. 

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Das Verwaltungsgericht hatte das Verbot eines mobilen Protestzugs durch die Polizei als unverhältnismäßig beurteilt. Die Versammlungsfreiheit schütze „auch das Recht, über die Modalitäten einer Versammlung zu entscheiden, also auch darüber, ob die Versammlung ortsfest oder als Aufzug stattfinden soll“, hieß es in der Entscheidung.

An der Hasenheide fand ein Gegenprotest mit dem Titel „No Nakba-Marsch! Antifaschistischer Protest gegen den antisemitischen Nakba-Marsch“ statt.

© dpa/Christophe Gateau

Die Polizei hatte ihr Verbot mit der „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit“ begründet. In den vergangenen Jahren war es an Demonstrationen zum Nakba-Gedenktag immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen sowie Straftaten, darunter dem Skandieren volksverhetzender und israelfeindlicher Sprechchöre, gekommen.

Was ist die „Nakba“?

Am 15. Mai 1948 – einen Tag nach der Ausrufung der Unabhängigkeit Israels – griffen fünf arabische Armeen den jungen jüdischen Staat an. Somit markiert der Tag auch den Beginn des ersten arabisch-israelischen Krieges

Seit langem ist der 15. Mai ein Tag, an dem Palästinenser auf die Straße gehen und gegen den Verlust ihrer Heimat protestieren. Dabei kommt es immer wieder zu schweren Ausschreitungen – sowohl in Israel als auch in anderen Ländern. Israel wirft der Hamas und anderen terroristischen Organisationen vor, den Tag für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.

Der Begriff „Nakba-Tag“ wurde 1998 von dem damaligen Palästinenserführer Jassir Arafat geprägt. Er legte das Datum als offiziellen Tag des Gedenkens an den Verlust der palästinensischen Heimat fest. „Nakba“ ist die arabische Übersetzung für „Katastrophe“. Schätzungsweise 700.000 Palästinenserinnen und Palästinenser verloren ihr Zuhause – auch durch Flucht oder Vertreibung.

Dass damit auch in diesem Jahr zu rechnen war, zeigte ein Schreiben aus der linksautonomen Szene, das zur Teilnahme an der als „Nakba 77“ angemeldeten Demonstration aufruft. „Insbesondere an diesem Tag akzeptieren wir keine Befehle der Polizei, die die ganze Demonstration oder einen Teil davon daran hindern, zu laufen“, hieß es dort auf Englisch. „Wir rufen alle auf, vorbereitet zu kommen und zu zeigen, wem die Straße gehört – unsere Straße!“

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Zudem wurde in dem Aufruf mehrfach die Befreiung Palästinas „vom Fluss bis zum Meer“ gefordert, was als Vernichtungsaufruf Israels – das in dem Text konsequent mit Anführungszeichen erwähnt wird, um die Legitimation des israelischen Staats zu verneinen – verstanden werden kann. (mit dpa)