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  1. Seite 1″Die Kassiererinnen waren jahrelang mein einziger Kontakt“


  2. Seite 2Sieglinde, 72, ging in die Disko

Es ist Frühling, die Stadt erwacht zum Leben, die Menschen strömen nach draußen. Doch was, wenn man niemanden hat, der einen begleitet, nie? Gerade unter älteren Menschen in der Großstadt ist Einsamkeit eine Gefahr. 22 Prozent der über 75-Jährigen fühlen sich hin und wieder einsam, unter Alleinlebenden sind es 35 Prozent. Was kann man dagegen tun? Hier erzählen zwei Menschen aus Hamburg, was ihnen hilft.

„Für ein paar Jahre waren die Kassiererinnen im Supermarkt mein einziger Kontakt“: Rolf, 76, wohnt in Wilhelmsburg

„Schon das Wort Einsamkeit macht mich emotional. Manchmal muss ich plötzlich weinen, was eigentlich untypisch für mich ist. Als Auslöser genügt die Ansprache eines Politikers zu einem Thema, das mich umtreibt, oder eine schöne Stimme im Radio. Ich war sogar bei einer Neurologin, um rauszukriegen, was mich so aus der Bahn wirft. Nach dem Gespräch mit der Ärztin musste ich mir eingestehen: Ich bin einsam. Ich weiß, das ist nichts, wofür ich mich schämen muss, trotzdem fällt es mir schwer, darüber zu sprechen.  

Ich habe vier Kinder und ein Enkelkind, und meine Tochter lebt mit ihrer Familie auch in Hamburg, aber ich fühle mich trotzdem oft allein. Als junger Mann ging es mir auch schon mal so, zum Beispiel, als ich mit Mitte 20 von Hessen nach Hamburg zog. Aber die Einsamkeit jetzt im Alter, die ist anders, finde ich.  

Los ging es bei mir, als sich meine Frau von mir scheiden ließ, damals war ich 62. Ich zog aus unserer Wohnung aus und nach Wilhelmsburg, in einen mir bislang fremden Stadtteil. Für ein paar Jahre waren die Kassiererinnen im Supermarkt mein einziger Kontakt, die Einzigen, mit denen ich gesprochen habe. 

„Ohne Milly würde ich vielleicht gar nicht vor die Tür gehen“

Vor ein paar Jahren wurde vieles besser. Denn meine Tochter und ihr Mann holten sich einen Hund. „Ihr seid doch verrückt“, sagte ich damals. So ein Tier braucht ja viel Zeit und Pflege, und die beiden waren voll berufstätig. „Wie wollt ihr das denn schaffen?“, fragte ich. „Na, mit dir zusammen“, sagte meine Tochter. Tja, und dann kam Milly. Milly ist ein schwarzer Zwergschnauzer und sehr brav. Immer dienstags und freitags ist sie bei mir. Einerseits nehme ich Milly, um den Kindern zu helfen, aber genauso sehr helfe ich mir selbst. Ohne Milly würde ich vielleicht gar nicht vor die Tür gehen. Jetzt komme ich raus und schaffe sogar 9.000 Schritte am Tag.

Seit ich meine Runden mit Milly drehe, habe ich Dutzende Menschen kennengelernt. Eine meiner Hunde-Kumpelinnen – wie ich meine Bekanntschaften nenne – treffe ich auch mal so, ohne Hund. Meine Wohnung ist so klein wie eine Studentenbude. Einladen will ich darum niemanden, aber ich bringe uns manchmal einen Coffee to go mit. Unsere Spaziergänge dauern bis zu zwei Stunden, wir reden über Gott und die Welt.

© ZON

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Außerdem habe ich über nebenan.de regelmäßig Kontakt mit Menschen. Eine Nachbarin machte mich vor ein paar Jahren auf die Plattform aufmerksam, dort sucht immer jemand Unterstützung. Wenn irgendwo in der Nachbarschaft eine Tür quietscht oder was kaputtgeht, stehe ich als gelernter Tischler und Designer gern parat. Aber Freundschaften sind dadurch leider noch keine entstanden.

Ich finde es mitunter mühsam, Kontakte zu knüpfen, aus denen dann auch wirklich mehr entsteht. Liegt das an Hamburg? Manchmal kommt es mir so vor. Mit der Einsamkeit wäre es bei mir schlagartig vorbei, wenn ich wieder eine Partnerin hätte, da bin ich mir sicher. Mit der Gesundheit sieht es noch ganz gut aus. Aber ich könnte die Dame nicht ständig zum Essen oder auf Städtereisen einladen. Ich bekomme gerade einmal um die 1.300 Euro Rente, ein paar Euro drunter fängt die Armut an.  

Seit einer Weile versuche ich es mit Onlinedating. Ich habe aber noch nicht den Mut aufgebracht, ein Bild von mir hochzuladen. Meine Kinder sagen: „Papa, ohne Foto wird das nichts.“ Ich denke dann: Welche Frau will denn einen so alten Kerl wie mich? Mal sehen, vielleicht mach ich’s eines Tages doch noch. Genügend Zeit hätte ich – ich plane nämlich, noch zwei Jahrzehnte zu leben. 20 Jahre sollten für die Suche nach der späten Liebe doch reichen. Zumindest hoffe ich das.“  

*Name von der Redaktion geändert