MUCBOOK: Gerade langweilt man sich ja oft bei Hollywood-Filmen oder deutschen Serien, weil sie alle nach dem gleichen Muster aufgebaut und daher so vorhersehbar sind.

Daniel Sponsel: Die gesamte Medienlandschaft ist in Sachen abendfüllende narrative Formate ein hart umkämpfter Markt, mit zahlreichen Playern, die um unsere Aufmerksamkeit werben. Es gibt einfach sehr viel mehr, als wir sehen können, neben allen anderen Angeboten der Kultur, die ja auch interessant sind. Das führt dazu, dass die Themen, die Storys und die Besetzung für die Verschlagwortung in den Algorithmen funktionieren müssen. Ich denke, das ist der Grund für die Entwicklung von Mustern, die sich verstetigen, so lange sie erfolgreich sind. 

Ich setze mich gerne ins Kino oder auch vor den großen Fernseher und will in Interaktion mit dem, was da läuft, treten. Interaktion heißt für mich, dass ich gefordert bin, eine Beziehung aufzubauen und nicht einfach nur etwas serviert bekomme. Ich bin nicht der Typ, der sich einfach nur gerne unterhalten lässt. Genau das ist das Problem: Etliche Filme laufen eher nach Schema F ab, die Figuren sind vorhersehbar, die Dramaturgie ist absehbar – und das nimmt mir als Zuschauer die Spannung und das Interesse. Da fehlt für mich oft die Herausforderung, das Überraschungsmoment und die Vielschichtigkeit.

MUCBOOK: Stimmt, eigentlich muss der Spielfilm, damit er glaubwürdig ist, viel vorhersehbarer sein.

Daniel Sponsel: Das kann im Spielfilm aber auch gelingen. Ich habe vor zwei Wochen eine Veranstaltung moderiert, im Kino Europa. Da lief ein ungarischer Film, „Eine Erklärung für alles“, der im letzten Sommer auf dem Filmfest München zu sehen war. Der war so genial gecastet und geschrieben, dass er fast dokumentarisch wirkte. Das ist auch ein Stil, das kann ich ja herstellen. Die Kamera immer auf der Hand, nah dran, so bewegt, dass es dokumentarisch wirkt, obwohl es natürlich alles inszeniert ist. Wenn das gelingt, dass die Figurenzeichnung so fragil ist, dann kann ein Spielfilm sogar mehr leisten, weil du Szenen bekommst, die du im Dokumentarfilm nicht bekommst. Du bekommst im Dokumentarfilm ja keine authentische Liebesszene. Wie soll die aussehen? Dass du da um ein turtelndes Paar rumturnst mit der Kamera und sagst, seid mal möglichst authentisch, wenn ihr euch jetzt verliebt – das können die nicht, das ist schwierig, weil die Kamera dann stört.

Adele Kohout: Für mich ist eine der größten Stärken des Dokumentarfilms, dass ich in Lebenswelten eintauchen kann, die mir nicht zugänglich sind, die mir nicht nah sind – ob jetzt gleich nebenan oder in der weiten Welt –, die bieten sich mir durch einen Dokumentarfilm an. Ich kann entscheiden, ob ich eintrete oder nicht, aber dieses Eintreten passiert eigentlich immer, wenn mich ein Film emotional berührt und erreicht. Es ist dieses unmittelbare Gefühl, für eine gewisse Zeit Teil einer anderen Realität zu werden, mit anderen Menschen, anderen Perspektiven, anderen Herausforderungen. Das ist für mich jedes Mal aufs Neue faszinierend und bereichernd. Und immer wieder sind diese Realitäten, in die man eintaucht, extrem überraschend. Es gibt immer wieder Einreichungen und Geschichten, wo wir selber sagen, das würde im Spielfilm niemand glauben. Da würde jeder sofort sagen, das entspricht nicht der Realität. Also, einen derartigen Überraschungsmoment gibt es so beim Spielfilm nicht. 

MUCBOOK: Dieses Jahr wurden für das DOK.fest 1.400 Filme eingereicht – so viel wie nie zuvor. Wie schafft ihr es, bei dieser Masse noch Spaß am Dokumentarfilm zu haben?

Adele Kohout: Wir sind ja zum Glück mehr Leute als nur wir zwei. Aber im Kern bleibt: starke oder prägende Filme erreichen dich trotzdem, sie erzählen dir von Ereignissen, Menschen, Themen, die dich emotional einbinden und gefangen nehmen. Das ist die Stärke.

Daniel Sponsel: Natürlich passiert das nicht bei jedem Film. Man merkt schnell, wenn jemand eine didaktische Absicht hat – das ist dann wie ein weniger unterhaltsames Sachbuch. Aber es gibt immer wieder Entdeckungen, bei denen man hängen bleibt und die einen komplett mitreißen. Ich habe das beim diesjährigen Eröffnungsfilm „Friendly Fire“ erlebt: Ich wollte vor dem Schlafen nur kurz reinschauen, bin dann aber bis ein Uhr nachts komplett hängen geblieben, weil mich der Film so gepackt hat.