Erstmals rangiert der Wurst-Klassiker nicht mehr unter den drei beliebtesten Kantinen-Essen in Deutschland. Mit dem Niedergang der Currywurst verschwindet mehr als nur ein Gericht vom Tablett. Sie ist ein Stück Identität.
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen – nicht die Wurst, sondern die Wahrheit: Die Currywurst ist raus aus den Top drei der beliebtesten Kantinenessen. Platz vier! Abgelöst von Spaghetti Bolognese, Chicken Korma und Bami Goreng. Das meldet Apetito, einer der größten Kantinenbetreiber Deutschlands, der seit 1992 das entsprechende Ranking erstellt. Ausgerechnet die Fast-Food-Ikone des deutschen Wirtschaftswunders wird von internationalen Leichtgewichten verdrängt. Die Globalisierung hat nun auch die Kantinenteller erreicht.
Interessant ist: Alle drei Gerichte, die an der Currywurst vorbeigezogen sind, enthalten Fleisch. Es geht also nicht um ein abruptes Ende der Fleischeslust, sondern um Vielfalt – und vielleicht um einen gewissen kulinarischen Eskapismus im deutschen Büroalltag. Doch während in der Betriebsgastronomie noch Hack, Huhn und Schwein serviert werden, verändert sich das große Ganze: Immer mehr vegetarische Gerichte drängen in die Rankings, vor allem in Kitas und Schulen, wo Linsensuppe, Spaghetti mit vegetarischer Bolognese und Gemüse-Ravioli längst Standard sind. Der Trend ist da: weniger Fleisch, mehr pflanzliche Kost. Die Currywurst steht damit nicht nur im Schatten von Korma und Goreng, sondern zunehmend auch im moralischen Gegenlicht einer neuen Ernährungskultur.
Natürlich kann man das feiern. Vielfalt! Ethno-Food! Vegetarisch ist gesund und klimafreundlich, sagt die Wissenschaft. Kantinen sind heute Wellnesszonen mit Deko-Smoothie und ausgewogenem Lichtkonzept. Alles schön. Und doch: Mit dem Niedergang der Currywurst verschwindet mehr als nur ein Produkt vom Tablett. Es ist ein Stück Identität, das da weichgekocht wird. Die Currywurst war nie Haute Cuisine, aber sie war ehrlich. Sie hat Malocher satt gemacht, Büroarbeiter getröstet und Nachtschichten erträglicher gemacht. Sie war das Essen, das keiner erklären musste. Currysauce, Wurst, Pommes – fertig. Kein belehrender Unterton, kein Bio-Siegel, kein schlechtes Gewissen.
Natürlich muss sich Ernährung verändern. Aber nicht alles, was fettarm ist, ist automatisch fortschrittlich. Nicht alles, was mit Tofu beginnt, führt zur moralischen Erleuchtung. Die aktuelle Hinwendung zu fleischlosen Gerichten mag im Trend liegen – gerade in Kitas und Schulen, wo Erzieherinnen und Eltern mit Blick auf Planet und kindlichen Geschmack Kompromisse suchen. Doch es bleibt die Frage: Wird der Fleischverzicht zur freien Entscheidung – oder zur stillen Norm? Denn da liegt das eigentliche Problem. Wer heute noch Fleisch isst – und das auch noch öffentlich –, muss sich fast schon rechtfertigen. Wegen des Klimas, wegen der Tiere. Dabei ist Fleisch kein Verbrechen, sondern ein Kulturgut. Es kommt auf das Wie an. Artgerechte Haltung, faire Preise – das sollte die Debatte sein.
Die Currywurst wird übrigens nicht in die Knie gehen. Sie ist zu zäh. Sie hat überlebt, dass ein Volkswagen-Manager sie 2021 aus der Kantine verbannen wollte. Der Aufschrei war groß, der Protest deutlich. Selbst Altbundeskanzler Gerhard Schröder meldete sich zu Wort. Man kann sich eben nicht zur Weltmarke erklären und dann die Wurst abschaffen. Das ist, als würde Frankreich aufhören, Baguettes zu backen.
Wer Currywurst sagt, sagt nicht nur Wurst. Er sagt: Ich darf das. Ich darf Fleisch essen, ohne mich schuldig zu fühlen. Nicht alles muss clean, lean und vegan sein. Es braucht nicht weniger Currywurst – sondern mehr Respekt vor ihr. Gerade in der Mittagspause.