Die Nachricht, die am Freitag via Whatsapp kam, war als vertraulich gekennzeichnet, sie enthüllte angeblich brisantes Material: „Laut dem Köbes vom Jan von Werth, wo der DJ vom Roxy verkehrt, soll der Dachdecker im wahren Leben Lude sein.“
Für die Leute vom chinesischen oder amerikanischen Geheimdienst, die bekanntlich immer und überall mitlesen, stellte die Botschaft wahrscheinlich ein unlösbares Rätsel dar, für Kölner dagegen war der Fall sofort klar. Es geht um einen Kellner im Brauhaus an der Christophstraße, um den Musikbeauftragten vom Partyboot im Stadtteil Rodenkirchen und um jenen seit dieser Woche steckbrieflich bekannten Mann, der nicht nur Dachdeckermeister ist, sondern laut eigenem Internet-Etikett „Betreiber einer Prostitutionsvermittlung“. Mit anderen Worten: Es geht immer noch um die Story von Tim Lemperle.
Meisterschaft des FC Barcelona
:Die Flick-Revolution
Gleich in seiner Debütsaison macht Hansi Flick mit dem FC Barcelona die spanische Meisterschaft perfekt. Trotz aller Schwierigkeiten hat der deutsche Trainer einen unverkennbaren Stil implementiert.
SZ PlusVon Javier Cáceres
Bis er sich am vorigen Sonntagabend vor dem besagten Partyboot vom besagten Dachdecker auf die Nase hauen ließ, genügten die üblichen statistischen Daten, um den 22 Jahre alten Fußballprofi Tim Lemperle zu skizzieren: 24 Saisonspiele für den 1. FC Köln in Liga zwei; zehn Tore, sechs Vorlagen; vier gelbe Karten.
Doch diesen Zahlen eines Fußballjahres ist nun auch der Blutalkoholwert zuzufügen, der an jenem Sonntagabend im Krankenhaus bei ihm festgestellt wurde. Die Angaben in der Kölner Presse schwanken, mal ist von 2,3 Promille, mal von 2,4 Promille die Rede, doch darüber wird kein Historikerstreit ausbrechen. Die Deutungen gleichen sich reihum, und alle sind sich einig, dass die Sache ein Desaster zur Unzeit ist: Eine Woche vor dem entscheidenden Spiel um den Aufstieg in die Bundesliga, an diesem Sonntag (15.30 Uhr) gegen den 1. FC Kaiserslautern, hatte Lemperle, Kölns bester Angreifer, nicht nur zu viel getrunken (sogar viel zu viel), sondern sich auch noch so benommen, dass ihm der Dachdecker mit einem Hieb die Nase brach.
Über die Einzelheiten „dieses nicht schönen Vorfalls“, wie sich der Kölner Trainer Friedhelm Funkel am Freitag gewählt ausdrückte, informierten die lokalen Medien im Laufe der Woche auf beeindruckende Weise. Zugleich machten in Bildern und kölschen Tönen Augenzeugen- und Hörensagen-Berichte die Runde im privaten Telefonverkehr – Lemperle hat die möglicherweise am besten dokumentierten Prügel in der deutschen Profifußballgeschichte bezogen. Und deswegen erklärte Friedhelm Funkel, 71, am Freitag mit Blick aufs Wochenende, es sei jetzt mal genug mit der Lemperle-Story: „Tim ist genug bestraft: Körperlich. Und durch die medialen Begleiterscheinungen.“
In den Kader wird Lemperle wohl aufgenommen. Ob er mit Maske spielt, hängt aber auch von Knieproblemen ab
Eine Suspendierung des vom rechten Weg abgekommenen Torjägers steht für den Trainer nicht zur Debatte. Ja, sagte Funkel, auch er habe Lemperles misslungenen Ausflug (ausgerechnet am Muttertag) „nicht gutgeheißen, ich war nicht erfreut“, doch in den Spieltagskader wird der Sünder trotzdem aufgenommen. „Moralisch habe ich kein Problem damit, ihn einzusetzen“, versicherte der Coach und erwies sich damit als eben jener Meister des Troubleshootings, als den ihn der 1. FC Köln nach der Entlassung des Österreichers Gerhard Struber vor knapp zwei Wochen herbeigewünscht hatte.
Die Trainerakademie des DFB könnte Funkels Pressekonferenz am Freitag als Lehrmaterial für gekonnte Krisenmoderation in ihr Programm aufnehmen. Einerseits verstand es der Trainer auf meisterliche Weise, den Medien das Skandalgefühl auszureden, indem er geschickt zwischen Zugeständnis („es gab harte Kritik für Tim – zu Recht“) und Vergebung („Tim war sehr reumütig“) argumentierte. Andererseits gab er klar zu verstehen, dass es im Moment Wichtigeres gebe, als auf Kosten des Mannschaftserfolgs einen Missetäter zu disziplinieren, der halt leider der gefährlichste Stürmer ist. „Wir alle, das Publikum, die Fans, der Klub, wir alle wollen gemeinschaftlich aufsteigen“, definierte Funkel die Kölner Staatsräson.
Sein Pragmatismus erinnert an einen Vorfall, der vor vielen Jahren in Leverkusen verschwiegen wurde. Damals hatte sich der kroatische Verteidiger Vedran Corluka nach Ostern unerlaubt vom Team entfernt. Vier Tage blieb er weg, keiner wusste, wo er war. Bis er, als wäre nichts gewesen, wieder zum Training erschien. Wurde er vor die Tür gesetzt? Ganz und gar nicht. Klubmanager Michael Reschke und der Mannschaftsrat waren sich einig, dass der versierte rechte Verteidiger Corluka der gemeinsamen Sache mehr nutzt als ein suspendierter Corluka, der notdürftig ersetzt werden muss.
Den Mannschaftsrat hat auch Funkel konsultiert, die Vergebung für Lemperle sei „natürlich kein Alleingang des Trainers“, sagte er. Ob Lemperle am Sonntag zum Einsatz kommt, ist allerdings noch offen, er müsste wegen seiner gebrochenen Nase eine Maske tragen. Vor allem aber hat er, aus dem Spielbetrieb resultierend, Knieprobleme. Vielleicht reicht es trotzdem zum letzten Einsatz für den FC, dem der gebürtige Frankfurter seit acht Jahren angehört. Im Sommer wird er den Verein verlassen, wahrscheinlich Richtung Hoffenheim. Doch ihn vertreibt kein Dachdecker und kein Volkszorn, sondern das Versäumnis des vor zwei Wochen ebenfalls entlassenen Managers Christian Keller, einen neuen und besser dotierten Vertrag für den Stürmer aufzusetzen. Sollte Lemperle nun beim Endspiel zwischen dem FC und dem FCK das womöglich fehlende Tor schießen, wäre das eine sehr feine Pointe nach der groben Vorgeschichte.