„Why don´t you wear a suit?“ war eine rhetorische Frage, die den ukrainischen Präsidenten Selenskyj als Staatsmann abwerten sollte. Und gleichzeitig den Anzug als einziges angemessenes Kleidungsstück für Entscheidungsträger diktiert.
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Unauffällig in der Masse bewegt sich heute in Berlin, wer gepierct ist und einen dieser schwarzen Mäntel aus Kunststoff trägt, die sie „veganes Leder“ nennen. Uniformität trägt viele Gewänder. Keines davon ist auffällig, schon gar nicht auffällig schön.
„Wir leben in einer angstbesetzten Gesellschaft. Die in Machtverhältnissen denkt und deshalb jedes Risiko verbannen will“, sagt Ute Cohen, Autorin von „Glamour – über das Wagnis, sich kunstvoll zu inszenieren“. Am vergangenen Donnerstag stellte sie ihr Buch in der Orangerie im Schloss Charlottenburg vor.
Verlegerin Anne Hamilton (links) mit Autorin Ute Cohen.
© XAMAX/booksoireebln
Ihre wie immer kunstvoll inszenierte Freundin Brit Kanja sitzt neben ihr auf der Bühne. Auch im Publikum sorgfältig gewählte Outfits: dramatisches Make-up, Highheels, sogar ein Hut mit Netzschleier. Nicht alle sind deshalb glamourös.
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Wirklich beeindruckend ist das Buch: Mit überraschender Tiefe, gesellschaftspolitischer Analyse und sprachlichem Charme nähert sich die Autorin dem Thema, das seiner Natur nach schwer zu fassen ist.
Glamour ist nicht gleich Stil. Oder Eleganz. Er ist eine Haltung, die sich nicht anziehen lässt. Eine Form der Selbstbestimmung, die durch Kleidung aber Ausdruck finden kann. Die weder buhlt noch konkurriert. Eine gelassene Verführung, der man sich nicht entziehen kann.
Glamour kann unbequem sein – vor allem für die anderen: Die Kolumnisten saß im Publikum hinter Manuela Vobach.
© Aline von Drateln
Das macht Glamour so gefährlich. „Und zwar für beide Seiten: Die glamouröse Person riskiert, als arrogant oder oberflächlich zu gelten. Und das Gegenüber riskiert, sich auszuliefern“, sagt Ute Cohen. Sie trägt ein schwarz-goldenes Kleid von Saint Laurent und die Haare wie ein Hollywoodstar in den 40er-Jahren.
Doch das ist nicht, was ihre Ausstrahlung ausmacht. Tatsächlich verführt die promovierte Linguistin ihr Publikum mit durchdachter Leichtfüßigkeit. Und beleuchtet in ihrem Buch auch die dunkle Seite dieser Macht.
Ein für mich unvergesslich glamouröser Moment auf dem weltpolitischen Parkett war, als Melania in ihrer kalten Unnahbarkeit zur Vereidigung ihres Mannes einen Hut trug, der ihr Gesicht verbarg: Göttlich, als Donald Trump versuchte, sie zu küssen, doch wegen der breiten Krempe nicht an seine Frau rankam.
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Glamour verleiht Macht. Vielleicht wird er deshalb oft verpönt. Damit Männer in Anzügen weiter diktieren können. Manchmal versuchen Despoten, die den Zauber des Glamours nicht beherrschen, ihn sich durch Allianzen anzueignen. Wie bei Marlene Dietrich, die nicht nur wegen ihrer Verführungskunst Weltruhm erlangte. Sondern auch wegen ihrer Freiheit, unabhängig einen eigenen Weg zu gehen. Und lächelnd zu sagen: „Ich bin aus Anstand Antifaschistin geworden“.