Ricarda Lang bezeichnet sich als ESC-Fan von klein auf. „Ich habe ihn als Kind immer mit meiner Mutter und meiner Oma geschaut“, erzählt die Grünen-Politikerin am Samstagabend bei einem Public Viewing des Eurovision Song Contests (ESC) 2025 in der Stuttgarter Bar Kraftpaule. Zwischenzeitlich habe sie den Wettbewerb zwar etwas aus den Augen verloren. „Aber seitdem ich vor einigen Jahren mit Drag-Queens zusammen gewohnt habe, verfolge ich ihn wieder“, sagt die Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Schwäbisch Gmünd.

Das passt zum Ruf des ESC als Großevent, das mit seiner traditionellen Camp-Ästhetik in Teilen der queeren Community eine treue Anhängerschaft hat. Im Kraftpaule geht es vor der Leinwand zwar nicht ganz so spektakulär zu wie auf der Bühne in Basel, die Kostüme fallen weniger extravagant aus und Nebelmaschinen kommen auch nicht zum Einsatz. Dennoch ist die Stimmung am Stöckach ausgelassen. Mit zunehmender Wettbewerbsdauer gehen die Hände immer häufiger in Luft, es wird geklatscht und getanzt.

Der ESC und die Krisen der Welt

Das gilt insbesondere, als der ukrainische Beitrag an der Reihe ist. Jubel brandet auf, eine etwa zehnköpfige Gruppe singt lautstark mit, einige recken gelb-blaue Flaggen in die Höhe. „In der Ukraine ist der ESC eine Riesensache“, sagt Anzhelika Kovalenko. „Bei uns schauen alle schon die Halbfinals“, ergänzt die 29-Jährige, die vor vier Jahren aus dem osteuropäischen Land nach Deutschland gekommen ist.

Gute Stimmung herrschte beim ESC-Public-Viewing schon vor Beginn der Übertragung. Foto: Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttgart

Derzeit steht die Situation in ihrem von Russland angegriffenen Heimatland allerdings in starkem Kontrast zu einem der Grundgedanken des ESC, der europäischen Völkerverständigung. Der Wettbewerb soll die Länder des Kontinents beim Feiern zusammenbringen. Seine Symbolkraft zeichnet das Event nach Meinung von Ricarda Lang maßgeblich aus. „Es steckt eine Message hinter der Show und der Musik. Beim ESC wird Vielfalt gefeiert und nicht als Problem gesehen.“

Umso mehr ärgert es Lang, dass für die diesjährige Ausgabe in Basel die Regenbogen-Flagge – das Symbol der queeren Community – als politisches Zeichen verboten wurde. Die 31-Jährige stört sich auch an dem Umgang mit der israelischen Sängerin Yuval Raphael. An deren ESC-Teilnahme entzündete sich angesichts des Krieges in Gaza heftige Kritik. Lang stellt zwar klar, dass man die israelische Regierung kritisieren könne und müsse. „Aber ich finde es unerträglich, wenn eine einzelne Künstlerin derart angegriffen und für das Handeln ihrer Regierung verantwortlich gemacht wird.“

Ricarda Lang über die Anfeindungen gegen ihre Person

Wie es sich anfühlt, mit Anfeindungen konfrontiert zu sein, weiß die gebürtige Filderstädterin aus Erfahrung. Während ihrer Zeit als Bundesvorsitzende der Grünen konzentrierte sich immer wieder Hass in den sozialen Medien auf ihre Person, bei einer Veranstaltung in Schorndorf wurde sie gar von einer wütenden Menschenmenge angegangen. Seit sie sich im September 2024 von der Bundesspitze zurückgezogen hat, seien die Anfeindungen allerdings deutlich weniger geworden, erzählt sie. „Das ist sehr erleichternd.“

Im Kraftpaule wird Lang geradezu überschwänglich empfangen. Der 16-jährige Muhammed überreicht ihr bei der Ankunft einen Strauß rote Rosen. „Sie ist meine Lieblingspolitikerin“, sagt der Schüler aus Stuttgart. Er sei vor allem wegen Lang ins Kraftpaule gekommen. „Den ESC schaue ich zum ersten Mal.“ Vielleicht hat der Wettbewerb damit nun einen weiteren Fan gewonnen.