Die russische Invasion der Ukraine hatte keine zwei Wochen zuvor begonnen, da wollte Petr Bystron die Schuldfrage mal aus Sicht der AfD sortieren. Die Einflusssphäre der Nato habe sich an die Grenze Russlands verschoben, sagte er im März 2022 im Bundestag. „Was ist der Preis dafür? Junge Männer sterben.“ Die Bundesregierung habe alle Warnungen Wladimir Putins ignoriert „und das Ergebnis ist Krieg in Europa“. Bystron war nicht irgendwer, er redete als außenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Die Botschaft: Der Westen ist schuld am Krieg, mindestens mitverantwortlich. Die Rede ist ein Höhepunkt in einer Reihe kremlfreundlicher Äußerungen, Aktionen und Verbindungen von AfD-Politikern nach Moskau.
Gegen Bystron wird inzwischen wegen des Verdachts der Geldwäsche und Bestechlichkeit ermittelt; er wird beschuldigt, vom Betreiber des prorussischen Internetportals „Voice of Europe“ Geld angenommen zu haben. Dafür soll er als Bundestagsabgeordneter im Sinne Russlands agiert haben. Bystron bestreitet die Vorwürfe. Mittlerweile ist er EU-Abgeordneter. Anfang Mai hob das Europaparlament seine Immunität auf.
Chrupalla habe bisher „einen Schutzschirm über die Russlandfreunde ausgebreitet“
Andere AfD-Abgeordnete gaben sich auf Einladung Russlands als internationale „Wahlbeobachter“ her, die der Scheinwahl Putins zum russischen Präsidenten im März 2024 Glaubwürdigkeit verleihen sollten. Und AfD-Chef Tino Chrupalla ließ es sich nicht nehmen, am 9. Mai vor zwei Jahren an der Feier zum Jahrestag des Weltkriegsendes in der russischen Botschaft in Berlin teilzunehmen. All dies brachte der AfD den Vorwurf ein, Sprachrohr des Kremls zu sein, ausgerechnet die Partei, die sich als patriotisch darstellt, betreibe den Ausverkauf deutscher Interessen.
Nun allerdings zeichnet sich eine andere Linie ab. Vor den diesjährigen Siegesfeiern Russlands habe die AfD-Fraktionsspitze, also auch Co-Fraktionschef Chrupalla, ausdrücklich davon abgeraten, an ihnen teilzunehmen, so ist aus der Fraktion zu hören. Die Fraktionsführung schärfte den Abgeordneten zudem ein, dass sie Reisen nach Russland oder Belarus genehmigen lassen müssten, und gab zu verstehen, dass man dies streng handhaben werde, wie Teilnehmer erzählen.
Solche Reisen sollten zwar bisher schon abgesprochen werden, doch das interessierte manche Fraktionsmitglieder wenig. Offenbar haben es Chrupalla und seine Co-Vorsitzende Alice Weidel satt, von Russlandexpeditionen ihrer Abgeordneten und den folgenden Negativ-Schlagzeilen überrascht zu werden. „Bisher hatte Tino Chrupalla einen Schutzschirm über die Russlandfreunde ausgebreitet“, sagt ein Fraktionsmitglied.
Mit Russland könne man derzeit nicht viel gewinnen, heißt es in der Fraktion
AfD-Abgeordnete wie Rüdiger Lucassen, die Putins Krieg schon seit Langem kritischer sehen, wollen sogar einen grundsätzlichen Stimmungswandel wahrgenommen haben. „Bei vielen AfD-Abgeordneten normalisiert sich derzeit der Blick auf Russland. Die Realpolitiker in der AfD setzen sich durch“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion der Süddeutschen Zeitung. Russland sei eben nicht das „missverstandene Opfer“, als das einige es gerne sehen würden. Russland sei, wie alle Großmächte, ein Staat mit geopolitischen Interessen, die man natürlich auch bedenken müsse, sagt der frühere Bundeswehr-Oberst. Und mit Blick auf die Fraktion: „Unterstützer einer russlandkritischen Linie wagen sich mehr aus der Deckung.“Dass die AfD nun zu feuriger Putin-Kritik übergeht, ist allerdings nicht zu erwarten. Das machte vergangene Woche Chrupalla bei einem Statement im Bundestag klar. Die AfD ist weiter gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, sie glaubt an eine diplomatische Lösung mit dem Kriegsherrn Wladimir Putin und fordert eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Allerdings, so sagen es mehrere Fraktionsmitglieder, gebe Russlands Präsident derzeit kein gutes Bild ab für das AfD-Narrativ, Putin wolle eigentlich Frieden, aber Kiew und der Westen stünden dem im Wege. Die Absage eines Treffens mit dem ukrainischen Präsidenten vergangene Woche in Istanbul, die Weigerung, einem Waffenstillstand zuzustimmen, all das stehe dieser Erzählung entgegen. Mit Russland könne man derzeit bei Wählern nicht viel gewinnen, heißt es aus der Fraktion.
Der Nachdenkprozess schlägt sich auch im Personal der Fraktion nieder. Der Nachfolger Bystrons als außenpolitischer Sprecher, Matthias Moosdorf aus Sachsen, unterlag vergangene Woche bei Kampfabstimmungen in der Fraktion mehreren Mitbewerbern und sitzt künftig nicht einmal mehr im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Auch Moosdorf stand für die Putin-nahe Linie. Der Cellist trat vergangenen Herbst eine Honorarprofessur an einer Musikhochschule in Moskau an, gegen alle Kritik, auch aus der eigenen Partei. Unter seiner und Bystrons Führung war die Runde der AfD-Außenpolitiker, der AK Außen, aufgefallen durch eine Flut von Papieren, die Moskaus Weltsicht in Form von Fraktionsanträgen in den Bundestag einbringen wollte.
Neuer außenpolitischer Sprecher wird der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier, AfD-Co-Landeschef in Baden-Württemberg. Seine Wahl wirft die Frage auf, wie aufrichtig die kritischere Haltung gegenüber Moskau ist – und inwiefern Fassade. Frohnmaier hatte wiederholt enge Kontakte zu Putins Machtapparat; 2019 etwa besuchte er dessen „Internationales Wirtschaftsforum“ auf der russisch besetzen Krim und sagte in einem Fernsehinterview, man müsse jetzt eben akzeptieren, dass die Halbinsel russisch sei. In einem 2019 bekannt gewordenen russisches Strategiepapier für den Kreml wird eine mögliche russische Unterstützung Frohnmaiers im Bundestagswahlkampf 2017 vorgeschlagen. Frohnmaier taucht darin laut Spiegel auf mit der Einschätzung, er werde „ein unter absoluter Kontrolle stehender Abgeordneter im Bundestag sein“.
Frohnmaier habe dazugelernt und sei nicht mehr auffällig geworden, heißt es aus der AfD-Fraktion. Aber vertritt er eine russlandkritischere Linie als seine Vorgänger? Was sagt er heute zu dem Moskauer Strategiepapier? Der Umgang mit Russland müsse „selbstbewusst und zugleich nüchtern sein“, schreibt Fohnmaier auf Anfrage. Man müsse diplomatische Gesprächskanäle offen halten. Aber: „Wer gegen Deutschland oder seine Verbündeten operiert – etwa durch Cyberangriffe oder Einflussoperationen –, muss mit einer entschlossenen Reaktion rechnen.“ Zum Strategiepapier schreibt Frohnmaier, er sei nicht verantwortlich für die „vermeintlichen oder tatsächlichen Pläne oder Behauptungen irgendwelcher Russen“. Das Ganze sei doch lange her.