Vergewaltigt, verprügelt, verschleppt, erschossen – das ist die grausame Realität für viele Menschen in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine.

Tausende Ukrainer in Berdjansk und Melitopol (Region Saporischschja) kämpfen täglich ums Überleben – unter Hunger, Folter und Todesangst. Sie werden von den Besatzern wie Menschen zweiter Klasse behandelt.

Das berichten Bewohner in den besetzten Gebieten, mit denen BILD sprechen konnte. Die Redaktion hat sich entschieden, aus Sicherheitsgründen ihre Namen zu ändern.

„Das Leben hier ist wie in der Hölle“, sagt ein Einwohner verzweifelt. „Die Besatzer machen mit uns, was sie wollen.“

Ein russischer Soldat inspiziert ein Fahrzeug an einem Kontrollpunkt am Eingang zu Melitopol, Ukraine

Ein russischer Soldat inspiziert ein Fahrzeug an einem Kontrollpunkt am Eingang zu Melitopol

Foto: SNA/IMAGO

Anwalt Konstantin (50): „Ich musste nackt die Sowjet-Hymne singen“

Konstantin Schneider, ein ehemaliger Anwalt aus dem besetzten Berdjansk, ist seit dem russischen Einmarsch arbeitslos, verdient seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs und dem Sammeln von Altmetall.

Im März verdiente er umgerechnet 373 Euro. Seine kranke Mutter brauchte Medikamente, die es nur noch über russisch kontrollierte humanitäre Hilfe gibt. Als er seinen deutschen Namen nannte, verspottete ihn ein russischer Soldat als „Faschist“. Danach folgten wiederholte Schikanen.

Alexandr Schmidt, ein ehemaliger Anwalt aus dem russisch besetzten Berdjansk, wurde von den russischen Besatzern entführt, gedemütigt, gefoltert – und als ‚Faschist‘ beschimpft

Konstantin Schneider, ein ehemaliger Anwalt aus dem russisch besetzten Berdjansk, wurde von den russischen Besatzern entführt, gedemütigt, gefoltert – und als ‚Faschist‘ beschimpft

Foto: Privat

Wenige Tage später zerren ihn russische Soldaten in ein Auto und verschleppen ihn auf ein Feld. Dort begann der Albtraum. „Sie zogen mir einen Sack über den Kopf, fuhren mich weit raus, zwangen mich zu entkleiden und schlugen mich dort mit Gewehrkolben“, erzählt Konstantin. „Ich sollte die Sowjet-Hymne singen. Einer hielt mir ein Maschinengewehr an die Stirn … Ich lag nackt auf gefrorenem Boden, sang unter Tränen ein paar Worte – sicher, dass ich gleich sterbe.“

Konstantin überlebte. „Als ich wieder zu mir kam, floss Blut aus Nase und Mund, mein Körper war übersät mit blauen Flecken. Ich schleppte mich mehrere Kilometer nach Hause.“

Menschen gehen an einem Transparent mit der Aufschrift „Mit Russland ist es warm!“ vorbei. Die Region Saporischschja ist von Russland besetzt

Menschen gehen an einem Transparent mit der Aufschrift „Mit Russland ist es warm!“ vorbei. Die Region Saporischschja ist von Russland besetzt

Foto: TASS/picture alliance/dpa

Lehrerin Tamara (42): „Wir haben unser Sofa verkauft, um Brot zu kaufen“

In Melitopol berichtet Lehrerin Tamara von einem Leben am Rande der Existenz. Lebensmittelpreise explodieren: „Ein Liter Öl kostet 5,33 Euro, ein kleines Brot 4,26 Euro. Milchprodukte kann ich mir nie leisten.“

Wer sich den Besatzern nicht andient, lebt in bitterer Armut, sagt die Ukrainerin. Die Wohnungseinrichtung wurde verkauft, um zu überleben. „Wir haben ein Sofa, drei Stühle und einen Herd für 181 Euro verkauft.“

Doch das ist nicht alles: Russische Propaganda dominiert die Straßen. Wer widerspricht, riskiert sein Leben. Tamara erlebte, wie ein Mann auf offener Straße erschossen wurde – weil er sagte, der Westen werde die Ukraine nicht im Stich lassen. Ihre ehemalige Schülerin (27) wurde tot in einer Grube gefunden – weil sie sich gegen die Besatzer äußerte.

REGION SAPORISCHJA, UKRAINE – 4. MÄRZ 2022: In Melitopol, im Süden der Ukraine, nehmen Zivilisten russische Hilfsgüter entgegen – geliefert von der Krim. Laut russischen Angaben wurden über 110 Tonnen Lebensmittel bereitgestellt: darunter Getreide, Salz, Zucker, Milchprodukte sowie Fleisch- und Fischkonserven. Gesichert wird der Konvoi vom russischen Militär.

4. März 2022, kurz nach der Invasion: In Melitopol, im Süden der Ukraine, nehmen Zivilisten russische Hilfsgüter entgegen – geliefert von der Krim. Laut russischen Angaben wurden über 110 Tonnen Lebensmittel bereitgestellt: darunter Getreide, Salz, Zucker, Milchprodukte sowie Fleisch- und Fischkonserven. Gesichert wird der Konvoi vom russischen Militär

Foto: picture alliance/dpa/Russian Defence Ministry

Tierarzt Jan (28): „Sie nahmen meinen Roller, meinen Fernseher – alles!“

Jan aus Melitopol versucht verzweifelt, das Leben seiner Mutter zu retten. Sie ist Diabetikerin – Insulin gibt es nicht mehr. Er kauft es auf dem Schwarzmarkt: 3.870 Rubel (41 Euro) pro Packung. Für den Ukrainer fast unbezahlbar.

„Russische Soldaten können alles mitnehmen – dein Auto, dein Haus, deinen Roller.“ Seinen Roller haben sie ihm bereits weggenommen. „Wenn du dich wehrst, landest du tot in der Grube.“ Er berichtet, dass die Besatzer die Menschen zwingen, russische Pässe zu beantragen. „Wenn du ablehnst, drohen sie, dich totzuschlagen oder verschwinden zu lassen.“

Jan glaubt nicht mehr an Befreiung. „Ich denke, wir kehren nie zurück in die Ukraine.“

Im besetzten Berdjansk werden den Bewohnern russische Pässe und Schuldenerlass versprochen

Im besetzten Berdjansk werden den Bewohnern russische Pässe und Schuldenerlass versprochen

Foto: Privat