Stand: 19.05.2025 06:00 Uhr
Bernardine Evaristos „Blondes Herz“ ist eine satirische Auseinandersetzung mit dem transatlantischen Sklavenhandel, in dem Afrika und Europa die Plätze getauscht haben. Im englischen Original wurde der Roman bereits 2008 veröffentlicht. Nun erscheint er in deutscher Übersetzung.
Die Welt in diesem Roman steht Kopf. Weiß ist schwarz. Afrika und Europa haben die Plätze getauscht, Opfer sind Täter geworden. Bernardine Evaristo spielt mutig mit Geschichte und Geografie, um einen frischen Blick auf den transatlantischen Sklavenhandel zu ermöglichen. Europa ist in dieser kontrafaktischen Erzählung der graue Kontinent, immer wolkenverhangen – gerade an der „Kohlkopfküste“, an der mutige Kolonisatoren aus „Aphrika“ landen, um unzivilisierte Europäer aus ihrer eigenen Wildheit zu führen.
„Für mich als Autorin war es ein großer Spaß“, gibt Evaristo zu. „Afrikaner fühlen sich den Europäern überlegen, versklaven sie und die Geografie ist auch noch auf den Kopf gestellt, sodass das ‚Vereinigte Königreich von Großambossanien‘ die Zentrale des Sklavenhandels ist, bei dem Europäer versklavt werden. Sobald ich diese Idee hatte, machte es einfach Spaß, damit zu spielen. Der Roman ist eine Satire.“
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Evaristos zweiter Roman ist eine Provokation der Tradition. Personal, Ton, Takt unterlaufen die klassischen Muster.
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Evaristo: „Mein Modell für Doris war Gwyneth Paltrow“
In einer der witzigsten Szenen des Romans landet die Ich-Erzählerin Doris – eine Europäerin, die als Kind verschifft und versklavt wurde – in einem Friseursalon, in dem es schmalzinkige Kämme speziell für „schwer zu bändigendes, feines Flatterhaar“ wie ihres gibt. Der Selbsthass, von dem Schwarze in den USA und Europa so oft berichten, ein Selbsthass, der sich in der Realität oft im Glätten und Bleichen von dunklem Haar ausdrückt, ist in diesem Buch Teil einer weißen Geschichte.
„Mein Modell für Doris war Gwyneth Paltrow in ihrer Blütezeit“, erzählt Evaristo. „Als ich mit dem Roman anfing, das ist jetzt 23, 24 Jahre her, war sie ein Musterbild weißer Schönheit. Sehr dünn, feine Gesichtszüge, langes, glattes blondes Haar. Und ich dachte mir: Meine Figur soll aussehen wie sie, aber in der schwarzen Welt ihrer Sklavenhalter wird das als hässlich angesehen.“
Die Detailarbeit der Weltverkehrung hat bei Bernardine Evaristo auch sprachliche und erzählerische Qualität: Doris etwa wird als Sklavin umbenannt in Omorenomwara – „Doris“ ist unaussprechlich für ihre Herren: Den Namen zu benutzen wird also die absolute Ausnahme, ein Akt der Selbstbehauptung, der – wie in historischen Erzählungen von Sklaven – von enormer Bedeutung ist.
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Bernhardine Evaristo beweist Originalität
Der Roman „Blondes Herz“ ist insofern ein literarisches Labor, in dem die eigenen Emotionen, Reaktionen auf dem Seziertisch ausgebreitet werden: Wie unbefangen kann ich lachen, wenn plötzlich ein Schwarzer Sklavenhalter ist und menschenverachtende Lügen erzählt? Und wenn ich lache, über wen dann eigentlich? Mit wem habe ich Mitleid, wenn ich von Doris lese? Mit der weißen Versklavten, von der hier wortwörtlich geschrieben ist, oder mit den Millionen von Schwarzen, auf deren Schicksal Doris‘ Geschichte eigentlich abzielt? „Für weiße Leser ist da immer die Frage: Worüber lache ich hier? Das Buch kann dich fertigmachen, es sind da so viele Schichten – und deshalb weiß ich es zu schätzen, wenn Leser nicht wissen, wie sie reagieren sollen.“
Bernardine Evaristo beweist schon mit diesem frühen Roman, dass sie eine durch und durch originelle Autorin ist, eine Autorin, die das literarische Experiment sucht, einen Weg, ihre Fragen auf eine Art durchzuspielen, die vor ihr niemand getestet hat. Und sie beweist, dass sie bei aller Experimentierfreude nie aus dem Blick verliert, was einen Roman im Kern zusammenhält: eine Figur aus Fleisch und Blut – ein Mensch.
Blondes Herz
von Evaristo Bernardine
- Seitenzahl:
- 288 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Tanja Handels
- Verlag:
- Tropen
- Veröffentlichungsdatum:
- 17.5.25
- Bestellnummer:
- 978-3-608-50275-6
- Preis:
- 25 €
Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur |
Neue Bücher |
19.05.2025 | 12:40 Uhr
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Romane