Stand: 20.05.2025 00:01 Uhr
Pete Townshend zerschmetterte in den Sechzigern seine Gitarre auf der Bühne, schuf so den destruktiven Akt der künstlerischen Rebellion. Im Podcast Urban Pop resümieren Peter Urban und Ocke Bandixen über den The-Who-Gitarristen und Songschreiber.
„I hope I die before I get old“ – dieser Songtext stammt von Pete Townshend, dem kreativen Kopf der Rockband The Who. Einer Erzählung nach schrieb Townshend die Zeile des berühmten Protestsongs „My Generation“ während einer Zugfahrt an seinem 20. Geburtstag im Jahr 1965.
Obwohl Townshend damit erklärte, früh sterben zu wollen, feierte er am 19. Mai 2025 seinen 80. Geburtstag. NDR Kultur-Musikexperte Peter Urban erzählt im Podcast Urban Pop: „Das mit dem Sterbenswillen ist nicht wörtlich zu verstehen.“ So habe Townshend in Interviews erklärt, er habe den Satz als Abgrenzung zur älteren Generation gemeint und damit überspitzt ausdrücken wollen, nicht wie seine Eltern zu werden.
People try to put us d-down (talkin‘ ‚bout my generation)
Just because we get around (talkin‘ ‚bout my generation)
Things they do look awful c-cold (talkin‘ ‚bout my generation)
I hope I die before I get old (talkin‘ ‚bout my generation)
Pete Townshend
In der Kindheit vernachlässigt
Townshends Wut gegen die Generation seiner Eltern fußt unter anderem auf negativen Erlebnissen in seiner Kindheit. So hatten seine Eltern, der Saxofonist Cliff Townshend und die Sängerin Betty Vera Dennis, häufig Affären. Da beide ständig unterwegs waren, lebte Pete zudem zeitweise bei seiner Großmutter. Urban erzählt: „Die hatte wohl auch immer wieder Besuch von Liebhabern.“ Und Bandixen berichtet: „In seiner Autobiografie ‚Who I am‘ schreibt er, dass er besonders unter seiner Großmutter litt.“ Townshend deute darin auch an, misshandelt worden zu sein. „Womöglich auch sexuell, aber das wird nicht ganz klar“, berichtet Bandixen.
Tonwshend: Pionier des Gitarre-Zertrümmerns
Mitte der Sechziger ließ Townshend seiner Wut und Frustration auf der Bühne freien Lauf. „‚The Who‘ traten im Railway Hotel in Harrow auf, da ist die Decke sehr niedrig. Townshend kreiste mit den Arm und riss seine Gitarre hoch“, so Urban. Er schlug seine Gitarre zunächst versehentlich, dann absichtlich gegen die durch den ersten Schlag bereits beschädigte Decke. Da auch die Gitarre Schaden genommen hatte, zertrümmerte er sie anschließend auf dem Bühnenboden.
Urban berichtet: „Der Schaden an der Decke sorgte für Stress mit dem Veranstalter, aber Townshend merkte: Ich kann so meine Wut und meinen Frust rauslassen und meine Persönlichkeit zeigen, das ist mein Stil.“ Heute gilt Townshend als Pionier des Gitarre-Zertrümmerns, ein bekannter, destruktiver Bühnenakt, der häufig kopiert wird.
Band der Mod-Bewegung
Die Rockband „The Who“ (von links nach rechts): Keith Moon, Pete Townshend, Roger Daltrey und John Entwistle, aufgenommen 1978.
The Who waren laut Bandixen für die Popmusik-Geschichte mehr als nur das Sprachrohr durch einen Hit. Sie wurden die Band der sogenannten Mod-Bewegung – lässig, cool, oft trugen sie die Nationalflagge des Vereinigten Königreichs zur Schau. Bandixen meint: „‚Pictures of Lily‘ oder ‚I can see for miles‘ machten die Klasse von The Who deutlich, der kraftvolle Gesang von Roger Daltrey, das Schlagzeugspiel voller Fantasie von Keith Moon und dazu das virtuose Können des Bassisten John Entwistle. Pete Townshend sorgte mit seinen raumgreifenden Gitarrenspiel dafür, dass er nie zur Nebenfigur wurde.“
Tod von Keith Moon und John Entwistle
Obwohl The Who 1983 ihre offizielle Auflösung bekannt gaben, findet die Band im Laufe der Jahre und bis heute immer wieder für Konzerte, Tourneen und Live-Auftritte zusammen. Allerdings nicht mehr in ihrer vierköpfigen Formation: Drummer Keith Moon starb 1978 an einer Medikamentenüberdosis, Bassist John Entwistle starb 2002 überraschend an einem Herzinfarkt, womöglich ausgelöst durch hohen Kokainkonsum.
Townshend und Daltrey: Zwischen Freundschaft und Streit
„The Who“-Sänger Roger Daltrey (links) und Gitarrist Pete Townshend auf der Bühne des Glastonbury Festivals im März 2024.
Obwohl Townshend und Daltrey bereits seit den Siebzigern Solokarrieren verfolgten, stehen sie bis heute immer wieder zusammen als The Who auf der Bühne. Das Verhältnis der Männer ist geprägt von einem Wechsel aus Freundschaft und Spannungen. So wirft Daltrey Songschreiber Townshend unter anderem vor, die besseren Stücke für seine Soloalben zu verwenden.
Laut Urban stritten Daltrey und Townshend in den Siebzigern besonders häufig: „Es gab da einen Vorfall: Townshend hat rumgenörgelt und Daltrey beleidigt. Daraufhin hat Daltrey ihn bewusstlos geschlagen. Townshend wachte im Krankenhaus wieder auf, da hielt ihm Daltrey die Hand, entschuldigte sich.“ Auch heute noch arbeiten Townshend und Daltrey bei Studioaufnahmen lieber getrennt. Urban meint: „Manchmal sind Ehepaare, die getrennt leben, ja auch viel glücklicher.“
In der Schulzeit gemobbt
Während seiner Schulzeit kämpfte Townshend darüber hinaus mit Mobbing: „Weil er eine große Nase hat, wurde er in der Schule gehänselt“, erzählt Urban. Seine Mobbing-Erfahrungen verarbeitete er unter anderem im Song „Happy Jack“: Im Lied geht es um einen Außenseiter, der am Strand von anderen Kindern mit Sand und Steinen beschmissen wird. „Er sitzt stoisch da, nimmt einfach alles hin“, erzählt Urban. Bei Townshend habe sich durch das Mobbing viel Frust und Wut aufgestaut. „Das war für ihn eine große Motivation, so nach dem Motto: ‚Euch werde ich es zeigen.'“
Solokarriere: Musik, Lyrik und ein Bürojob
Urban und Bandixen würdigen Townshend im Podcast als kreativen Songschreiber, innovativen Gitarristen und entscheidenden Motor von The Who. Urban meint: „Er spielt anders als andere Gitarristen, hat einen einzigartigen Stil. Er ergibt sich nicht dauernd in ausufernden Soli, sondern er spielt Melodien wie ein Komponist.“ Daneben ist Townshend als Autor aktiv, schreibt Kurzgeschichten, Kolumnen und den Roman „Age of Anxiety“.
In den Achtzigern arbeitete er beim britischen Verlag Faber & Faber. „Ich war verblüfft, dass er nun einem gewöhnlichen Bürojob nachging. Ich hab ihn in einem Interview darauf angesprochen“, erinnert sich Urban. „Er erzählte, dass er tatsächlich täglich ins Büro ging. Das machte er einige Jahre, später orientierte er sich wieder musikalisch.“
Vorwürfe um Kinderpornografie
Anfang der 2000er-Jahre landete Townshend aufgrund von Vorwürfen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch negativ in den Schlagzeilen. „Das Thema nimmt einen kleinen Teil in seiner Autobiografie ein“, erzählt Bandixen. So habe sich Townshend dem sensiblen Thema des Kindesmissbrauchs journalistisch nähern wollen, um auch aufgrund seiner persönlichen Kindheitserfahrungen ein Buch darüber zu schreiben.
„Er hat versucht, über Kreditkartennummern an Adressen von Involvierten zu kommen. Das war sehr unvorsichtig, sein Ehrgeiz scheint ihm da über den Kopf gewachsen zu sein“, meint Bandixen. Townshend wurde kurzzeitig festgenommen. „Weil seine Erklärungen aber glaubwürdig waren und bei ihm kein belastendes Material gefunden wurde, wurde die Anklage schnell wieder fallen gelassen“, erzählt Bandixen. Urban meint: „Wenn du so etwas machst, musst du das über offizielle Kanäle tun oder anmelden oder sowas. Dass er das nicht getan hat, war ein großer Fehler. Und es hat ihn Jahre gekostet, das aus der Welt zu schaffen.“
Möglicherweise treibt Townshend seine schwierige Vergangenheit auch heute noch an. Urban findet: „Man möchte ihm gönnen, dass er es jetzt im hohen Alter mal entspannt laufen lässt.“ Ob Townshend das kann? Der Schlusssatz in seiner Biografie lautet: „Hört nie auf zu spielen“.
Alle Folgen von Urban Pop hören Sie in der ARD Audiothek.
Weitere Informationen
Je größer das Leid war, dem der Musiker ausgesetzt war, desto größer waren scheinbar auch seine Hits.
mehr
Warum machte Lou Reed absichtlich ein Album, das floppen sollte? Die Antwort gibt es im Podcast Urban Pop.
mehr
Vor fast einer Dekade starb Prince. Die Auftritte des Musikers sind legendär. Einer erhitzte ganz besonders die Gemüter.
mehr
Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur |
Urban Pop – Musiktalk mit Peter Urban |
16.05.2024 | 06:00 Uhr