In vielen Städten werden Kinos geschlossen, der Streaming-Markt dominiert die Sehgewohnheiten – in diesen negativen Trend hinein wird in der Hamburger Hafencity in dieser Woche ein Kinopolis-Komplex mit zehn Sälen eröffnet. Betreiber Gregory Theile glaubt an sein Konzept.

Schon nach wenigen Schritten hinein in das neue Westfield Überseequartier in der Hamburger Hafencity ist einer der Ankermieter nicht zu übersehen: Der „Kinopolis“-Schriftzug prangt über einem Treppenaufgang, der zunächst hinauf in einen großen Foodcourt und dann weiter zu den zehn Sälen des Multiplex-Kinos führt. Für Hamburg ist das Unternehmen ein neuer Anbieter, und dieses hat sich nicht weniger vorgenommen, als den Kinomarkt der Hansestadt kräftig aufzumischen, wie Geschäftsführer Gregory Theile bei einem Gespräch auf den Polstersitzen des größten Saales erzählt. Doch wie soll das angesichts der allgemeinen Kinomüdigkeit gelingen – und welche Filme sind dafür überhaupt noch geeignet?

WELT: In vielen deutschen Städten werden Kinos geschlossen, auch große Anbieter trifft es. Und Sie eröffnen jetzt ein Großkino mit zehn Sälen und 2200 Plätzen. Lieben Sie das Risiko?

Gregory Theile: Das höre ich immer mal wieder, und sicher stimmt es auch, dass der Kinobetrieb nicht ganz oben auf der Liste steht, wenn man Zukunftsbranchen aufzählt. Aber: Als Familienbetrieb sind wir seit 120 Jahren im Kinogeschäft aktiv, da gab es immer mal bessere und mal schlechtere Zeiten. Das Aufkommen des Fernsehens, der Videorekorder, zuletzt des Streamings – wir kennen das alles. Kino muss sich an die jeweiligen Kundeninteressen anpassen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Kino als Freizeit- und emotionales Erlebnis immer einen Platz haben wird.

WELT: Um sich gegen den Trend zu stemmen, muss man etwas anders machen als zuvor. Was also machen Sie anders?

Theile: Wir müssen uns eine zentrale Frage stellen: Was müssen wir bieten, damit der Gast zu Hause entscheidet, sich auf den Weg zu machen und zu sagen: Ich leg’ mich jetzt nicht aufs Sofa, sondern ich gehe ins Kino. Und das hat viel mit Erlebnis zu tun, das hat viel mit Gemeinschaft zu tun, und das hat mittlerweile viel mit Service zu tun. Wir müssen Gastgeber sein und dafür sorgen, dass die Gäste sich willkommen fühlen, ein tolles Erlebnis haben und später hinausgehen und sagen: Wie schön, dass wir im Kino waren.

WELT: Machen Sie es mal konkreter. Woran erkenne ich das hier in Hamburg?

Theile: Es beginnt mit dem Ambiente im Foyer und unserer Bar und führt sich fort in der Qualität und Ausstattung unserer Kinosäle. Da setzen wir, nicht zuletzt dank der großen Auswahl an unterschiedlichen Sitzen – von Liegesitzen über D-Box-Motion-Seats bis hin zu elektrisch verstellbaren Premiumsitzen – neue Maßstäbe. Und natürlich sind wir absolut State of the Art, was das Thema Technik angeht: neben dem ersten Dolby Cinema Hamburgs bieten wir in allen Sälen Laserprojektion, Dolby Atmos als führendes Soundsystem sowie ein beeindruckendes Beleuchtungskonzept. Zum Gesamterlebnis gehört aber auch der gesamte Besuch – ich kann digital nicht nur das Ticket kaufen, sondern auch Getränke und Snacks vorbestellen und diese ohne lange Wartezeit an der Theke abholen. Aber wir haben für beides auch Mitarbeiter vor Ort; jeder kann es so machen, wie es passt.

WELT: Ohne Popcorn und Käse-Tacos geht also auch bei Ihnen nichts.

Theile: Ich kenne die Diskussion darum, nicht alle mögen das. Aber klar, Popcorn & Co gibt es auch bei uns, denn die Nachfrage ist da. Und am Ende ist ein Kinobetrieb eine Mischkalkulation. Wen das Popcorn stört, kann sich immerhin sagen: Ohne das müsste der Eintrittspreis viel höher sein.

WELT: Sie erwähnten Ihre lange Geschichte als Kinobetreiber. In Hamburg kennt man Kinopolis aber noch nicht. Wie kann das sein?

Theile: Im Norden waren wir in Flensburg und Wilhelmshaven bereits einige Jahre vertreten, aber in Hamburg nicht, das stimmt. Wir haben lange auf den passenden Moment gewartet, jetzt ist er hier im Westfield Überseequartier da. Das Projekt hier empfinde ich als absolut herausragend und wir sind auch sehr glücklich und stolz, dass wir hier den Zuschlag bekommen haben.

WELT: Sie werden die Kinosituation in Hamburg analysiert haben. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Theile: Wir haben schon vor zehn Jahren damit begonnen, uns mit diesem Projekt zu beschäftigen. Seitdem hat sich einiges verschoben. Es gab Abgänge im Kinoangebot, aber auch – wie hier in der Nachbarschaft das Astor – interessante Zugänge. Insgesamt ist es so, dass Hamburg mit Blick auf die Anzahl der Leinwände pro Einwohner unter dem Durchschnitt ist in Bezug auf die deutschen Großstädte. Und auch, was die Besucher pro Einwohner angeht, ist Hamburg nicht ganz vorn mit dabei. Wir sehen auf jeden Fall Entwicklungspotenzial, und ich glaube, dass gerade für so ein Kinoangebot wie unseres Bedarf besteht, weil es auch jene anspricht, die zuletzt nicht mehr ins Kino gegangen sind.

WELT: Andere große Kinoanbieter versuchen, über niedrige Eintrittspreise zum Erfolg zu kommen. Gehen Sie da mit?

Theile: Es gibt Anbieter, die diesen Weg verfolgen, ich halte es aber für die falsche Strategie. Kino muss ein Qualitätsversprechen sein. Wir bieten im Überseequartier ein Niveau, das sich ganz bewusst eher am oberen Ende der Preisskala positionieren wird. Wir haben in anderen Standorten die Erfahrung gemacht, dass überall dort, wo wir investiert haben, wo wir zusätzliche Leistungen angeboten und zusätzlich Werte geschaffen haben, eine große Bereitschaft da ist, das auch zu nutzen und in Anspruch zu nehmen. Wir sehen in unseren anderen Kinos, dass die teuersten Plätze in der Regel als allererstes verkauft sind. In Hamburg liegen unsere Preise je nach Vorstellung zwischen 9 und 15 Euro wobei für ausgewählte Sitze noch ein Zuschlag dazukommt. Insofern bieten wir auch hier unseren Gästen die Wahl.

WELT: Wir haben noch nicht über den eigentlichen Inhalt des Kinoerlebnisses gesprochen, nämlich den Film. Wie sind hier die Trends?

Theile: Für das Geschäftsergebnis sind die großen Blockbuster und auch die Fortsetzungen erfolgreicher Filme weiterhin von großer Bedeutung – nicht selten übersteigen die Produktionskosten eines Films die Marke von 200 Millionen Euro. Aber letztlich hat es immer die Mischung gemacht, es gibt auch viel weniger aufwendig produzierte Geschichten, die Menschen faszinieren. Das ist das Schöne im Kinogeschäft, auch wir erleben immer wieder Überraschungen. Zuletzt war der Familienfilm stark – was uns gefreut hat, weil wir so die Kinogänger der Zukunft erreichen. Dabei helfen uns Filme wie „Alles steht Kopf“,“Die Schule der magischen Tiere“ oder „Vaiana“. Mir persönlich ist zudem der deutsche Film ein großes Anliegen. Es ist wichtig, dass wir dafür die Rahmenbedingungen schaffen, damit der deutsche Film funktionieren kann. Das sind die Geschichten, die dem deutschen Publikum besonders nahe sind; durch die Schauspielerinnen und Schauspieler oder die Filmemacher, aber vor allem durch die Themen.

WELT: Sie könnten dem Filmstandort Norddeutschland helfen, wenn Sie Partner des Filmfests Hamburg werden.

Theile: Dazu so viel: Es gab schon einen guten Kontakt und wir würden uns natürlich freuen, wenn es zu einer Zusammenarbeit kommen würde.

WELT: Wir sprachen vorhin schon die Streaming-Anbieter als Konkurrenz an. Sind Sie zufrieden damit, wie lange die Filme von den Ausleihern exklusiv für die Kinoausspielung reserviert sind?

Theile: Die Diskussion läuft weiterhin. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Länge des Auswertungsfensters, wie wir das nennen, unmittelbare Auswirkung auf den Erfolg eines Films im Kino hat. Wir hatten vor fünf Jahren eine Exklusivität von mindestens vier Monaten. Nach Corona sind wir bei 6 bis 12 Wochen angekommen, das variiert etwas von Studio zu Studio. Das ist für uns eine absolute Untergrenze. Heißt: Sollte sich ein Studio entscheiden, einen Film bereits nach vier oder fünf Wochen auf einer Streaming-Plattform auszuwerten, dann setzen wir den Film nicht ein. Wir investieren viel Geld in unsere Standorte und in das Marketing der Filme –dann wollen wir auch sichergehen, dass wir ausreichend exklusive Zeit haben, um den Film entsprechend auszuwerten.

WELT: Hier im neuen Überseequartier sind Sie mit ihrem Kinocenter mittendrin, nicht irgendwo in der Peripherie. Sie haben schon fast so etwas wie eine Verantwortung für das Gelingen des neuen Angebots.

Theile: Ja, wir haben eine tolle Lage in einem Angebot, das neue Maßstäbe setzt. Ich würde nicht von einem Shoppingcenter sprechen, dazu ist das Angebot zu vielfältig. Ich baue darauf, dass sich die verschiedenen Nutzungen gegenseitig voranbringen und befruchten.

WELT: Zum Schluss: Wir sitzen hier für das Gespräch in Kino 1 und blicken auf einen großen roten Vorhang, der die Leinwand verdeckt. Das sieht man so nur noch selten. Ist das eine Reminiszenz an das „alte Kino“?

Theile: Das haben wir tatsächlich ganz bewusst so entschieden, mir persönlich war das wichtig. Es ist einfach ein besonderer Moment, wenn der Vorhang langsam aufgeht, die Gespräche verstummen und der Film beginnt. Er erhält dann den Auftritt, den er verdient.