Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat aufgrund der anhaltenden Sparzwänge erneut die Diskussion um die Abschaffung des kostenfreien Schülertickets befeuert. Nun wird bekannt, was die Schülerkarte das Land Berlin jährlich kostet: Nach Auskunft der Verkehrsverwaltung erhalten drei Verkehrsunternehmen in diesem Jahr insgesamt 58 Millionen Euro als „Tarifersatzleistungen“ für die Ausgabe der kostenlosen Schülertickets.

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Das Gros geht an die BVG, außerdem bekommen die S-Bahn und die Schöneiche-Rüdersdorfer Straßenbahn Erstattungen. Wie viel tatsächlich eingespart werden könnte, hinge laut Verkehrsbehörde von den Änderungen ab.

Brauchen das wirklich alle Schülerinnen und Schüler?

Katharina Günther-Wünsch (CDU) über den Fortbestand des kostenlosen Schülertickets.

Erst am Montag hat Günther-Wünsch die Debatte um das Ende des kostenlosen Schülertickets in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“ angeheizt. „Brauchen das wirklich alle Schülerinnen und Schüler?“, fragte sie rhetorisch. Der Fall liege ähnlich wie der des – einst ebenfalls auf Betreiben der SPD eingeführten und von deren Fraktionschef Raed Saleh vehement verteidigten – kostenlosen Mittagessens in der Schule. „Sehr, sehr viele Eltern“ könnten das sehr wohl selbst bezahlen, sagte Günther-Wünsch.

Die Abschaffung des Angebotes wäre ein Verstoß gegen den schwarz-roten Koalitionsvertrag: „Das kostenlose Ticket für Schülerinnen und Schüler wird auch für den zweiten Bildungsweg für diejenigen angeboten, die keine weiteren Sozialleistungen erhalten“, heißt es darin. Gemäß dieser Formulierung müsste das Angebot sogar noch ausgeweitet werden.

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Der Anlauf von Günther-Wünsch ist nicht ihr erster dieser Art. Bereits Ende April schrieb sie in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel: „Wie soll man erklären, dass das kostenfreie Schülerticket auch Familien erhalten, die dieses problemlos selbst finanzieren könnten oder es aufgrund des kurzen Schulwegs kaum nutzen – während gleichzeitig Lehrerstellen gestrichen werden?“

Die SPD hat schon mehrfach Nein gesagt

Die SPD ist zunehmend genervt von den Vorstößen. Man habe der CDU „in den vergangenen Monaten wiederholt kommuniziert“, dass die SPD eine Abschaffung der Gebührenfreiheit nicht mitmache, sagte SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasić dem Tagesspiegel. Insofern sei es „durchaus verwunderlich, dass die Senatorin immer wieder Kürzungen bei der Gebührenfreiheit vorschlägt, obwohl sie längst weiß, dass sie den Vorschlag nicht umsetzen kann“. Schließlich gehe es um die Entlastung jener Mehrheit der „hart arbeitenden Berliner:innen, die mit weniger als 50.000 Euro im Jahr auskommen müssen“ und angesichts steigender Mieten sonst kaum über die Runden kämen.

Fahrgäste warten nahe dem Zoo auf einen BVG-Bus.

© dpa/Monika Skolimowska

Auf Nachfrage erklärte die Bildungsverwaltung am Montag, dass kostenlose Angebote zwar grundsätzlich sinnvoll seien. Aber wenn sie zulasten der Bildungsqualität gingen, müssten Prioritäten neu gesetzt werden. Für finanzschwache Familien stünden Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabe-Paket zur Verfügung. Wer am Gratisprinzip für alle festhalten wolle, müsse sagen, wo stattdessen Einschnitte zu rechtfertigen seien.

Alternative Einsparmöglichkeiten hat die SPD der Bildungsverwaltung nach Auskunft von Lasić bereits unterbreitet: Würden Budgets für nicht besetzte Lehrerstellen gestrichen und die Beschulung Geflüchteter – wie auch deren Unterbringungskosten – über Notkredite finanziert, wären die Einsparvorgaben für die Bildungsverwaltung schon mehr als erfüllt.

Mit dem jetzigen Tarifmodell lässt sich Berlin Geld vom Bund durch die Lappen gehen.

Christian Linow, Sprecher des Fahrgastverbandes Igeb

Eingeführt wurden die kostenfreien Schülertickets fürs Berliner Tarifgebiet AB im Sommer 2019. Die Abonnentenzahl stieg dadurch von zuvor 176.000 auf jetzt 400.000. Zuvor hatten die Tickets 21,80 Euro als Monatskarte oder monatlich 17 Euro im Abo gekostet – nach einer Preissenkung 2018. Außerdem gab es ermäßigte Geschwistertarife.

In Hamburg bekommen Schüler gratis ein Deutschlandticket

Die Abschaffung des Gratis-Angebots dürfte die Elterntaxi-Problematik vor manchen Schulen noch verschärfen, wenn mehr Kinder mit dem Auto gebracht werden, statt Bus und Bahn zu nutzen. Zugleich dürften BVG und S-Bahn an anderer Stelle Einnahmen entgehen, wenn Familien für Ausflüge eher wieder das Auto nehmen. Immerhin müssten sie pro Kind ohne Gratis-Ticket für eine Hin- und Rückfahrt innerhalb Berlins 4,80 Euro zahlen, ab 15 Jahre sogar 7,60 Euro. Günstiger würde es mit Vierertickets für sieben beziehungsweise 11,60 Euro.

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Der Fahrgastverband Igeb würde das Thema ganz anders angehen: „Wir brauchen ein Tarifmodell, bei dem Schülerinnen und Schüler ein Deutschlandticket erhalten“, sagt Igeb-Sprecher Christian Linow. „Mit dem jetzigen Tarifmodell lässt sich Berlin regelmäßig Geld vom Bund durch die Lappen gehen.“ Denn die Einnahmeausfälle der Verkehrsunternehmen werden teilweise vom Bund ausgeglichen. Der rot-grüne Senat in Hamburg hat daraus bereits Schlüsse gezogen – und das Schülerticket für die Landeskinder zum kostenfreien Deutschlandticket aufgewertet.