Das Problem ist seit Jahren bekannt: Berlin bröckelt. Und zwar nicht nur gesellschaftlich (das ist nochmal ein ganz anderes Thema), sondern auch baulich. Schulen schimmeln, in Polizeidienststellen fallen Teile von der Decke, Sportstätten sind auf unbestimmte Zeit gesperrt, Straßen voll von Schlaglöchern. Dass 120 von 800 Brücken in Berlin abgerissen und neu gebaut werden müssen, weil ihre Stabilität nicht mehr garantiert werden kann, wissen Senat und Stadt spätestens seit dem Chaos um die Ringbahnbrücke. Ganz aktuell trifft es nun die an der Wuhlheide.

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Es ist eine Misere, die sich nicht nur im Alltag vieler Berlinerinnen und Berliner, sondern auch in Zahlen zeigt: Die Modernisierung der Infrastruktur wird das Land in den kommenden zehn Jahren mindestens 108 Milliarden Euro kosten. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine aktuelle Studie der Investitionsbank Berlin, der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg und des Ostdeutschen Bankenverbands. Dabei sollen 48 Milliarden allein auf öffentliche Gebäude entfallen, 17 Milliarden auf den öffentlichen Nahverkehr, 13 Milliarden auf Schulen und Kitas. Zum Vergleich: Der Hauptstadtflughafen hat am Ende rund sieben Milliarden Euro gekostet. Das Gesamtvolumen entspricht also in etwa 1,5 BER-Flughäfen – pro Jahr.

108

Milliarden Euro muss Berlin in den kommenden zehn Jahren zur Sanierung der Infrastruktur aufbrigen.

Der Grund für diese exorbitant hohen Summen ist so simpel wie bitter: Man hat zu lange nichts getan. Über Jahre, wahrscheinlich sogar Jahrzehnte hinweg, hat sich die Politik auf den Bestand verlassen, ohne sich mit dem Erhalt auseinanderzusetzen. Haushalte wurden konsolidiert, Investitionen verschoben, Mängel allenfalls verwaltet. Wen’s tröstet: Berlin ist hier ausnahmsweise kein Sonderfall. Die Hauptstadt steht exemplarisch für ein Land, das zunehmend zum Sanierungsfall geworden ist. Deutschland geht‘s an die Substanz. Und zwar wortwörtlich.

Es wird nicht reichen

Jegliche Hoffnungen richten sich nun auf die goldene Schatulle der Bundesregierung. Auf ein Infrastruktur-Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro haben sich CDU und SPD geeinigt. 100 Milliarden davon sollen direkt an die Länder gehen. Ein ganz schöner „Wumms“, wie Ex-Kanzler Olaf Scholz sagen würde. Und tatsächlich: Das Paket könnte den notwendigen Impuls setzen, um endlich zu investieren, zu sanieren und zu modernisieren. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Es wird nicht reichen.

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Ann-Kathrin Hipp Ann-Kathrin Hipp hat beim Tagesspiegel volontiert und leitet mittlerweile den preisgekrönten Newsletter „Checkpoint“. Einmal im Monat hostet sie zudem den Ringbahn-Podcast „Eine Runde Berlin“. Auf Radioeins kommentiert sie regelmäßig das politische Geschehen in Berlin & Bund.

Allein der Berliner Bedarf zeigt, dass das Sondervermögen allenfalls ein Anfang sein kann. Die Länder müssen sich zwingend überlegen, wie sie darüber hinaus wirtschaften – und priorisieren. Um konkret bei Berlin zu bleiben: Natürlich kann man über einen weiteren A100 Ausbau und Magnetschwebebahnen sprechen, während die Stadt einstürzt. Das hat dann aber in etwa den Effekt, als würde man über neue Gardinen diskutieren, während das Haus brennt.

Bauen als Staatsakt

Hinzu kommt ein zweiter wichtiger Punkt: Über das Geld hinaus braucht es dringend funktionierende Strukturen, die dafür sorgen, dass die Milliarden effizient abfließen und schnell da ankommen, wo sie gebraucht werden. Stand jetzt wird jedes noch so kleine Bauprojekt buchstäblich zum Staatsakt. Um das zu ändern, muss – und das ist fast schon eine Binse – die Bürokratie endlich entschlackt werden. Insbesondere Planungs- und Genehmigungsprozesse gehören vereinfacht.

Umleitung gilt seit Montag Stau rund um gesperrte Brücke an der Wuhlheide

Um nur ein Beispiel zu nennen: In Berlin braucht es aktuell 18 Verwaltungsschritte, um allein einen Zebrastreifen auf die Straße zu bringen. Das führt konkret dazu, dass Oberschöneweide seit mittlerweile sechs Jahren auf einen bereits beschlossenen Zebrastreifen wartet, der aktuell deshalb nicht mehr verwirklicht werden kann, weil die Anordnung zu alt ist und sich die verkehrlichen Bedingungen geändert haben. Welch ein Irrsinn!

Der Stadt geht es an die Substanz Berliner, die auf Brücken starren Was der Abriss über den Hang der Stadt zur Disruption verrät „Die sind stocksauer“ Kleingärtnern neben der baufälligen A100-Brücke droht das Ende ihrer Idylle Chefs ohne Erfahrung und „Insellösungen“ Warum die Berliner Verwaltung sich mit Modernisierung so schwertut

Wer sieht, wie es hier bereits im Kleinen hakt, kann erahnen, wie kompliziert es erst bei Großbaustellen wird und was passiert, wenn das ganze Land zur Großbaustelle wird. Auf Bundesebene und in Berlin muss deshalb dringend nachgebessert werden. Stichwort: Verwaltungsreform! Stadt und Staat müssen jetzt schnell zeigen, dass sie in der Lage sind, ihr eigenes Fundament zu erhalten. Bestenfalls, bevor das System kollabiert.