Die Debatte über eine Margot-Friedländer-Straße erreicht das Berliner Abgeordnetenhaus: Die SPD-Fraktion im Parlament fordert den Senat dazu auf, in Abstimmung mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine öffentliche Gedenktafel an Friedländers früherem Wohnort in der Skalitzer Straße 32 zu errichten und die Skalitzer Straße in Margot-Friedländer-Straße umzubenennen.
„Die Umbenennung der Skalitzer Straße ist Ausdruck unserer gemeinsamen erinnerungspolitischen Verantwortung. Margot Friedländer kehrte mit 88 Jahren in ihre Heimatstadt zurück – in jene Stadt, in der einst ihre Verfolgung begann“, sagte Sevim Aydin (SPD), Wahlkreisabgeordnete in Friedrichshain-Kreuzberg, zur Begründung. „Ihr Vermächtnis, ihre Menschlichkeit, ihre eindringliche Botschaft für Toleranz und Versöhnung müssen dauerhaft im öffentlichen Berliner Raum sichtbar sein.“ Mit dem Beschluss wolle man im Sinne Friedländers für Demokratie und gegen den wachsenden Rechtsextremismus und Antisemitismus eintreten.
„Straßennamen sind Ausdruck unseres kollektiven Gedächtnisses. Die Skalitzer Straße wurde nach der Schlacht bei Skalitz im Deutschen Krieg von 1866 benannt – einem militärischen Ereignis, das heute eine sehr eingeschränkte erinnerungspolitische Relevanz hat“, sagte Alexander Freier-Winterwerb (SPD). „Indem wir eine bekannte Straße in Kreuzberg einer Shoa-Überlebenden widmen, setzen wir auch ein entschiedenes Zeichen gegen alle heutigen Formen des Antisemitismus.“
Die Umbenennungsdebatte betrifft eine zentrale Verbindung, die mitten durch Kreuzberg führt: Die Skalitzer Straße verläuft vom Wassertorplatz über Kottbusser Tor und den Görlitzer Bahnhof bis zum Schlesischen Tor.
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Kreuzbergs Bürgermeisterin offen für Debatte über Umbenennung
Zuvor hatte sich Friedrichshain-Kreuzbergs Bürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) offen gezeigt für eine Debatte über eine Umbenennung der Skalitzer Straße in Margot-Friedländer-Straße. „Seit dem Tod Friedländers trauern dort viele Menschen“, sagte Herrmann dem Tagesspiegel. „Die Skalitzer Straße wäre ein guter Ort, um sie nach Margot Friedländer zu benennen und an sie zu erinnern.“
Außerdem hatte Herrmann in diesem Zusammenhang den Senat adressiert: „Der Senat ist gefordert, eine Debatte über ein würdiges Gedenken an Margot Friedländer zu ermöglichen“, sagte sie. Dabei dürfe es jedoch keinen Wettstreit oder ein Rennen, etwa zwischen Bezirken, geben. Vielmehr müsse das Land „übergreifend und gemeinsam“ zu einer Lösung kommen, wie an Margot Friedländer – seit 2018 Ehrenbürgerin von Berlin – erinnert werden kann. Dies sei auch an mehr als einem Ort möglich, so Herrmann.
Auch die bezirkliche SPD ist für eine Umbenennung. Am Montag beschloss die Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg einen Antrag, wonach die Skalitzer Straße nach Ablauf der vorgesehenen Frist von fünf Jahren nach Margot Friedländer umbenannt werden soll. Zudem soll eine Gedenktafel an Friedländers ehemaligen Wohnhaus angebracht werden. Der Antrag soll in der kommenden BVV-Sitzung an diesem Mittwoch beraten werden.
Margot Friedländer sei eng mit Kreuzberg verbunden, begründete Anna Lang, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, den Vorstoß: „Ihr Vermächtnis soll in unserem Bezirk, der ihr einst Heimat war, für immer lebendig bleiben.“
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In der Skalitzer Straße 32 in Kreuzberg lebte Friedländer, geborene Bendheim, mit ihrer Mutter Auguste und ihrem Bruder Ralph bis zum 20. Januar 1943, als die Gestapo kam. Die Nationalsozialisten deportierten Auguste und Ralph Bendheim ins Konzentrationslager Auschwitz und ermordeten sie. Margot Friedländer konnte der Gestapo zunächst entgehen, versteckte sich für 15 Monate in Berlin, bis sie im Frühjahr 1944 verraten und nach Theresienstadt deportiert wurde. Sie überlebte.
Vor dem ehemaligen Wohnhaus unweit des Görlitzer Bahnhofs erinnern seit einigen Jahren Stolpersteine an das Schicksal der Familie. Seit dem Tod Friedländers liegen dort Blumen, es brennen Kerzen, Menschen nehmen Abschied von Friedländer, die am 9. Mai im Alter von 103 Jahren starb.
Bislang ist die Skalitzer Straße nach der Schlacht bei Skalitz im damaligen Böhmen 1866 benannt, als Preußen und Österreicher gegeneinander kämpften. Eine Umbenennung wäre möglich. Das sehen die Ausführungsvorschriften zum Berliner Straßengesetz vor, wenn etwa „Personen geehrt werden sollen, die sich um das demokratische Gemeinwesen in herausragendem Maße verdient gemacht haben oder deren Wirken für Berlin von herausragender Bedeutung war“, ebenso, wenn damit „besondere historische Ereignisse mit stadtgeschichtlichem Bezug zu der umzubenennenden Straße in Erinnerung gerufen werden sollen“.
An der Skalitzer Straße 32 in Berlin-Kreuzberg erinnern Stolpersteine an Margot Friedländers Bruder Ralph und ihre Mutter Auguste Bendheim. Auch Margot hat dort einen Stein. Darauf ist die Deportation nach Theresienstadt erwähnt. Darunter steht: „überlebt“.
© Dominik Mai
Grundsätzlich sind in Berlin die Bezirke für die Benennung von Straßen zuständig. Vorgesehen ist, dass erst fünf Jahre nach dem Tod eines Menschen eine Straße nach ihm benannt werden darf. In besonderen Fällen – etwa, wenn es sich um herausragende Persönlichkeiten handelt – geht das bereits früher. Über solche Ausnahmen entscheidet der Senat.
Vergangene Woche hatte bereits die Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf auf Antrag von CDU und Grünen einstimmig beschlossen, einen bisher namenlosen Platz „entlang oder in unmittelbarer Umgebung“ des Ku’damms nach Friedländer zu benennen. Das Bezirksamt solle einen geeigneten Ort suchen und den Senat bitten, die Namensgebung zum ersten Todestag Friedländers zu ermöglichen.
Die Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) äußerte sich auf Tagesspiegel-Nachfrage nicht zu den Vorschlägen für eine Margot-Friedländer-Straße in Kreuzberg oder einen Margot-Friedländer-Platz am Kurfürstendamm. „Der Regierende Bürgermeister und der Berliner Senat nehmen sich jetzt die Zeit zur Trauer und zum Gedenken an Margot Friedländer“, teilte ein Sprecher mit. Eine große Trauerfeier werde derzeit vorbereitet.
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Nach der Trauerzeit sei es „selbstverständlich, dass sich der Senat Gedanken über ein würdiges Erinnern an Margot Friedländer macht – also auch über einen Ort, der die Erinnerung und ihre Mahnungen, die Geschichte niemals zu vergessen, wachhält“. Ob es bereits konkrete Überlegungen gibt, beantwortete die Senatskanzlei nicht.