Stand: 20.05.2025 19:59 Uhr

In Hamburg wächst laut einer Beratungsstelle die Nachfrage nach immer jüngeren Frauen und Mädchen in der Prostitution. Es gehe teils um Kinder. Angeworben werden sie oft von so genannten „Loverboys“, erzählt eine Mitarbeiterin im Interview.

Anne W. arbeitet bei FairLove, einem Hamburger Projekt zur Prävention von Prostitution Minderjähriger. Ihren vollständigen Namen nennen wir aus Sicherheitsgründen nicht.

Panorama 3: Wie viele Minderjährige waren in diesem Jahr schon bei Ihnen?

Anne W.: Wir hatten in diesem Jahr circa 20 Kontaktaufnahmen zu Fachkräften, die von betroffenen Minderjährigen berichtet haben. Aber wir waren auch selbst im Gespräch mit Minderjährigen. Was für uns neu ist, ist, dass die Fälle sich alle so zwischen zwölf und 14 Jahren bewegt haben. Wir hatten schon vereinzelt sehr junge Fälle, aber dass es jetzt geballt so viele junge Mädchen gibt, ist eher ungewöhnlich. Wir beobachten auch, dass die Nachfrage in Online-Foren schon in Richtung sehr junge Mädchen geht.

Was für Mädchen kommen denn zu Ihnen?

W.: Das sind Mädchen, die häufig über soziale Netzwerke angeschrieben werden. Das sind Mädchen aus allen sozialen Schichten. Ob jetzt aus dem Kontext der Jugendhilfe oder dem Hamburger Umland oder gut situierte Familie, das kann tatsächlich jedes Mädchen betreffen.

Was ist den Mädchen passiert, die in letzter Zeit zu Ihnen gekommen sind?

W.: Das sind Mädchen zwischen zwölf und 14, die auf der Suche nach Bestätigung, nach der großen Liebe sind. Und das spielt natürlich Männern, die über soziale Netzwerke auf der Suche sind, total in die Karten. Da wird dann zurückgeschrieben, es werden Treffen vereinbart und die Mädchen werden mit Geld, aber auch mit Drogen bezahlt.

Wie sind die minderjährigen Mädchen zum Opfer geworden?

Anne W. und Lea Struckmeier im Interview. © Screenshot


Anne W. und Lea Struckmeier im Interview.

W.:  Meistens geht dem die Loverboy-Methode voran. Bei der Loverboy-Methode geht es darum, dass meistens minderjährige Mädchen gezielt über soziale Netzwerke – auch im öffentlichen Raum, aber meistens über soziale Netzwerke – von vermeintlich jungen Männern angeschrieben werden. Und es wird eine emotionale Abhängigkeit geschaffen. Meistens dauert dieser Beziehungsaufbau bis zu einem Jahr. Damit einher geht eine Isolation von Freunden, von Familie. Das Ziel der Loverboys ist es, die Mädchen in ein Abhängigkeitsverhältnis und dann in die Prostitution zu bringen.

Wie läuft der erste Kontakt zu den Mädchen ab?

W.:  Die Anwerbung findet sowohl im digitalen als auch im öffentlichen Raum statt. Es kann hier auf dem Kiez, in Clubs, in Bars sein, wo durchaus auch Minderjährige reinkommen. Es kann aber auch am Jungfernstieg sein oder beim Treffen mit einer Clique.

In der Polizeistatistik sind nur wenige Fälle erfasst. Woran liegt das?

W.: In erster Linie liegt es daran, dass die Fälle, die bei Beratungsstellen auflaufen, nicht gezählt werden. Außerdem zeigen die wenigsten Mädchen oder jungen Frauen [die Täter, Anm. d. Red.] an. Deshalb gibt es kaum Zahlen, denn die Angst ist zu groß. Prozesse sind häufig langwierig beziehungsweise, bevor es erstmal bei Gericht landet, müssen die Mädchen mehrere Aussagen bei der Polizei machen. Allein das kann schon extrem retraumatisierend sein, weil die Mädchen extreme psychische und körperliche Gewalt erlebt haben und häufig einfach diese Phase hinter sich lassen möchten.

Wünschen Sie sich etwas von polizeilicher und behördlicher Seite, das sich verbessern könnte?

W.: Eine Akzeptanz, dass es sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen gibt. Die Akzeptanz, dass sich das aus dem öffentlichen Raum ins Internet verlagert hat. So dass man dahingehend personell andere Ressourcen einsetzt, um Fälle aufzudecken. Dass es auch Ausstiegsprogramme gibt, die den Mädchen einen Ausstieg erleichtern, wo sie vielleicht erstmal für den Moment zu Ruhe kommen können, wo sie eine traumatherapeutische Versorgung vorfinden und gut betreut werden.

Das Interview führte Lea Struckmeier, Panorama 3.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 |
20.05.2025 | 21:15 Uhr

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