Vor einem Jahr prognostizierte Peer Steinbrück, Friedrich Merz werde als Kanzler eine Reform der Schuldenbremse anstreben. Nun warnt der SPD-Politiker bei „Maischberger“ vor einem Scheitern der neuen Regierung. Die SPD sei zudem thematisch seit mehr als zehn Jahren nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
Mit einer Warnung an die neue Bundesregierung meldete sich der sozialdemokratische Ex-Kanzlerkandidat und ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Dienstagabend im ARD-Talk „Maischberger“ zurück auf der politischen Bühne. Werden Bundeskanzler Friedrich Merz und Koalitionspartner Lars Klingbeil versagen, könne die AfD bei der nächsten Bundestagswahl auf 30 Prozent klettern.
Wie die schwarz-rote Bundesregierung, die sich selbst „Arbeitskoalition“ auf die Fahnen geschrieben hat, gelingen kann, fragte Moderatorin Sandra Maischberger Steinbrück ebenso wie nach der Zukunft der Sozialdemokraten nach dem schlechten Abschneiden bei der vergangenen Bundestagswahl.
Der ehemalige Diplomat Wolfgang Ischinger und der US-amerikanische politische Berater Andrew Langer sprachen über den aktuellen Stand der Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg und die Rolle der USA. Die aktuelle politische Lage diskutierten zudem die langjährige Moderatorin der ZDF-„heute“-Nachrichten Petra Gerster, der Politikchef bei „t-online“ Christoph Schwennicke und die Journalistin Victoria Reichelt.
Steinbrück zeigte sich als staatspolitischer Mahner und nahm dann Politiker, Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen in die Pflicht. Jenseits von parteipolitischen Präferenzen wolle er der neuen Regierung und Bundeskanzler Friedrich Merz nicht mit Skepsis begegnen, sondern zum Gelingen beitragen, wie es auch die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft tun müsse, sagte er. „Wir haben enormes staatspolitisches Interesse, dass dieser Mann zusammen mit seinem Koalitionspartner, also mit Herrn Klingbeil, Erfolg hat für dieses Land.“
Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage, die Herausforderungen der Demografie und die politische Stimmung legte Steinbrück nach: „Das muss ihnen gelingen, weil sonst die nächste Bundestagswahl zu einer Nagelprobe unserer Demokratie wird.“ Wenn diese Legislaturperiode scheitere, werde die AfD nicht bei 20 Prozent stehen, „sondern bei 30 Prozent“, warnte er.
Bereits vor einem Jahr hatte Steinbrück im „Handelsblatt“ prognostiziert, Merz werde als Kanzler eine Reform der Schuldenbremse anstreben, auch wenn dieser sich damals noch öffentlich dagegengestellt hatte. Nun zeige sich, so Steinbrück, dass Merz das Thema „aus einem parteipolitisch verengten Blickwinkel“ bisher gescheut habe. Doch klar sei gewesen, dass er sich dem Thema genauso stellen müsse wie sein Vorgänger Olaf Scholz, meinte der 78-Jährige.
Dann nannte der ehemalige Finanzminister unter Angela Merkel konkrete Vorschläge, wie der Staat Einsparungen vornehmen könne, darunter die Streichung „einer hohen Summe umweltschädigender Subventionen“. Zugleich machte er deutlich, dass die schwarz-rote Koalition die Bevölkerung nicht nur mit positiven Botschaften führen könne. „Diese Regierung wird, wenn sie Erfolg haben will, auch Zumutungen verteilen müssen“, sagte er. „Sie wird um unangenehme, unpopuläre Entscheidungen nicht herumkommen.“ Man werde das derzeitige „hohe Wohlstandsniveau nicht ohne Anstrengungen aufrechterhalten können.“
Auch beim Sozialstaat forderte der SPD-Politiker eine grundlegende Kurskorrektur. Die neue Koalition müsse „den Sozialstaat effizienter und effektiver gestalten.“ Sonst sei er auf dem heutigen Niveau aufgrund der demografischen Entwicklung nicht zu halten.
Deutlich verteidigte Steinbrück anschließend die Rolle des Staates – gerade in Zeiten, in denen in den USA libertäre Kräfte wie Elon Musk oder Donald Trump das Gegenteil forderten. „Elon Musk und andere wollen den Staat abschaffen. Sie wollen die Bürokratie abschaffen“, sagte er. In Deutschland hingegen gehe es nicht um einen Abbau, sondern um eine Reform: „schneller, schlanker, digitaler, bürgerfreundlicher“. Eine ausgeprägte Bürokratie sei dabei keine Belastung, sondern ein Schutz vor Willkür: „Das Gegenteil einer ausgeprägten Bürokratie wäre Willkür“, sagte Steinbrück.
SPD müsse zwischen Prioritäten und Randthemen unterscheiden
In der Debatte um die Rolle der SPD nach dem historisch schlechten Wahlergebnis von 16,4 Prozent stellte sich Steinbrück vor Parteichef Lars Klingbeil. „Der Misserfolg lässt sich ja nicht nur auf eine Person fokussieren“, betonte er. Die SPD befinde sich seit über einem Jahrzehnt in einer strukturellen Krise. „Wir blicken auf zehn, zwölf Jahre, wo die SPD offenbar nicht mehr – wie Willy Brandt mal gesagt hat – auf der Höhe der Zeit mit ihren Themen ist. Für eine Mehrheit der Wählerschaft.“
Künftig müsse die Partei klarer zwischen Prioritäten und Randthemen unterscheiden. „Man kann über Cannabisgesetz, Namensrecht oder die geschlechtliche Selbstbestimmung reden“, so Steinbrück. „Aber wenn man nicht redet darüber, wie ich bezahlbaren Wohnraum bereitstelle, wie ich die Schulen besser ausstatte, wie ich die Infrastruktur in Gang halte, wie ich für soziale Sicherheit sorge, dann muss man sich nicht wundern, dass die Mehrheit dieser Bevölkerung sagt: Ich komme in dem Programmangebot der SPD nicht mehr so vor, wie ich das eigentlich für wichtig halte.“
Im zweiten Teil der Sendung drehte sich die Diskussion um die internationalen Bemühungen für einen Frieden in der Ukraine. Moderatorin Sandra Maischberger begrüßte dazu den ehemaligen Spitzendiplomaten Wolfgang Ischinger im Studio, zugeschaltet aus Washington D.C. wurde der US-amerikanische Politikberater und Trump-Unterstützer Andrew Langer.
Hintergrund war eine Erklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz, der am Montag auf X betont hatte: „Europa und Amerika sind hier sehr geschlossen: Wir werden die Ukraine auf dem Weg hin zu einem Waffenstillstand eng begleiten.“ Doch die Realität sieht komplizierter aus. Zwar hatte Donald Trump bereits angekündigt, den Krieg in der Ukraine beenden zu wollen, konkrete Verhandlungserfolge blieben bislang jedoch aus. Stattdessen wächst in Washington der Unmut: Die USA drohen bereits seit Wochen damit, sich aus den Vermittlungen zurückzuziehen.
Gleich zu Beginn fand Wolfgang Ischinger klare Worte für den US-Präsidenten. Der langjährige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz lobte Trumps diplomatische Rolle deutlich. Während die europäischen Staaten seit Beginn des Krieges kaum über „schlichte Unterstützung“ hinausgekommen seien, habe es unter Trump tatsächlich Bewegung gegeben. „In den vergangenen drei Monaten ist mehr passiert, als in den vergangenen drei Jahren“, sagte Ischinger, „das ist Donald Trumps Verdienst.“
Zugleich warnte der Diplomat jedoch vor der Passivität Europas. Es gebe nichts Wichtigeres, als „den europäischen Versuch, den amerikanischen Präsidenten jetzt bei der Stange zu halten“.
Per Videoschalte aus den USA meldete sich Andrew Langer zu Wort. Der konservative Aktivist betonte, letztlich könne nur Russlands Präsident Wladimir Putin darüber entscheiden, ob dieser Krieg ein Ende finde. Donald Trump sei derzeit auf der Suche nach dem effektivsten Weg, um Putin an den Verhandlungstisch zu bringen, so Langer.