Stand: 21.05.2025 14:14 Uhr

Seit 80 Jahren trotzt Pippi Langstrumpf jeder Norm. Heute ist sie aktueller denn je: Als starke, unangepasste Heldin wurde sie zum feministischen Vorbild und hat Generationen geprägt. Doch wie zeitgemäß ist sie noch?

Vor 80 Jahren erschien das erste Buch über Pippi Langstrumpf. Bis heute ist sie eine der bekanntesten und eigenwilligsten Figuren der Kinderliteratur. Mit ihrer Stärke, ihrem Freiheitsdrang und ihrer Unangepasstheit wurde sie zum Vorbild für viele Generationen, besonders für Mädchen. Doch wie steht es heute um die berühmte Villa-Kunterbunt-Bewohnerin? Ist Pippi noch zeitgemäß oder eher ein Relikt aus einer anderen Ära? Darüber hat Moderator Mischa Kreiskott mit der Kinderbuchautorin und Literaturkritikerin Sonja Eismann gesprochen. Die Berlinerin ist Mitbegründerin und Herausgeberin des „Missy Magazine“.

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Pippi Langstrumpf mit dem Affen Herr Nilson auf der Schulter. © dpa picture alliance

Gerechtigkeit und Mitgefühl leiten Pippis Handeln – ein unangepasstes Vorbild bis heute. Vor 80 Jahren erschien das Buch in Schweden.
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Welche Bedeutung hatte Pippi Langstrumpf für Sie in der Kindheit. Inwiefern war sie prägend für Sie?

Sonja Eismann: Ich bin auf jeden Fall Pippi-Langstrumpf-sozialisiert. Das war in der Zeit, als ich aufgewachsen bin. Das war noch in den 1970er-, 1980er-Jahren, da war sie eine ganz wichtige Figur, die dem vorherrschenden Frauenbild was ganz anderes entgegengesetzt hat. Sie war auch eine Ikone der damaligen Frauenbewegung, weil sie so unangepasst war und so anders als alles, was man sonst aus der Mädchenliteratur kannte. Da war sie extrem wichtig. Pippi war auch schon damals eine ikonische Figur mit ihren roten, wild abstehenden Zöpfen, ihren Sommersprossen und ihrer nachlässigen Kleidung. Das war in meiner Kindheit ein sehr präsentes Bild.

Haben Sie das als Kind reflektiert oder eher die Normalität genossen, dass ein Mädchen so sein konnte und durfte?

Eismann: Ich glaube, mir ist damals schon aufgefallen, dass das noch nicht normal war. Ich bin in einem relativ progressiven Umfeld aufgewachsen, wo Pippi eine Größe war. Zum Beispiel haben sich viele Kinder an Fasching als Pippi verkleidet, einige aber auch lieber als Prinzessin, so wie ich. Da war die Beauty-Industrie damals schon ganz weit vorne. Das habe ich nicht so wirklich reflektiert. Das ist aber auch ein gutes Zeichen, weil mir das zeigt, dass sie nicht völlig quer zur Norm gelesen wurde. Da hatte sich schon einiges geändert. Da hatte die Frauenbewegung schon ganz gute Arbeit geleistet.

Was macht Sie heute noch zu einer guten Heldin?

Eismann: Sie ist natürlich nach wie vor eine einzigartige Heldin, weil sie als Kind so autonom lebt, wie viele Kinder sich das wünschen und wie sie es heute vielleicht auch weniger denn je können. Heute wachsen Kinder aus vielen Gründen natürlich auch wieder sehr behütet auf und dadurch auch manchmal unselbständig, was nicht nur an den Eltern liegt, sondern auch am Zustand der Welt. Unter anderem auch an so banalen Dingen wie, dass der Autoverkehr so dominant geworden ist, dass Kinder gar nicht mehr alleine auf den Straßen spielen können. Da hat Pippi schon noch eine Vorbildfunktion, weil sie so völlig autonom lebt. Sie ist so emanzipiert, sie braucht niemanden, sie lebte alleine in ihrer Villa und macht alles, was ihr gefällt. Das ist heute schon noch ein ganz wichtiges Bild.

Ich habe vor kurzem nochmal den letzten Kinofilm gesehen, der ist wirklich grandios schlecht gealtert. Wie sehen Sie das bei den Büchern? Haben die heute auch Aspekte, wo man sagen würde, naja das muss nicht mehr sein?

Eismann: Da gibt es natürlich sehr viel und da wurde auch schon richtig viel darüber debattiert, was ich absolut richtig und wichtig finde. Der Oetinger Verlag, der Pippi Langstrumpf in Deutschland wirklich sehr groß gemacht hat, bringt seit 2009 nur noch Pippi-Bücher heraus, die zeitgemäß überarbeitet wurden. Das sogenannte N-Wort und auch das Z-Wort, die in den Originalen beide vorkommen, sind da ersetzt. Der Vater ist jetzt nicht mehr der N-König, sondern der Südseekönig, was natürlich auch immer noch auf ein koloniales Weltbild schließen lässt und heute nicht mehr wirklich in eine Zeit passt.

Wir leben in einer Zeit, in der man diese Macht- und Ausbeutungsverhältnisse hoffentlich stärker reflektiert und auch Kindern andere Bilder mitgeben will. Die Welt soll nicht eingeteilt werden in: Wir sind die Normalen, die Zivilisation, und dann gibt es diese Anderen, auf die man alles projizieren kann, die sich uns unterwerfen, aber die auch von uns gerne geführt werden und die lauter verrückte exotische Dinge machen, die es bei uns nicht gibt.

Pippi Langstrumpf mit dem Affen Herr Nilson auf der Schulter. © dpa picture alliance

AUDIO: 80 Jahre Pippi Langstrumpf (3 Min)

Es gibt aber auch noch andere Dinge, die mich schon immer so ein bisschen latent gestört haben. Als Kind habe ich das nicht gemerkt. Mir ist das eher als junge Erwachsene aufgefallen. Und zwar, dass Pippi doch durch ihre Andersartigkeit so einen gewissen Druck aufbaut. Alle müssen cool und rebellisch sein. Sie ist auch eine Bossin. Es gibt heute den Begriff des Bossbabes. Es gibt sozusagen den Zwang und die Norm der Abweichung, die man später entdeckt hat, dass alle anders und immer aufregend und rebellisch sein müssen. Da finde ich Annika, ihre treue Nachbarin mit ihrem Bruder Tommy ein ganz gutes Gegenbild, weil sie vielleicht nicht immer Lust hat, ständig auf 180 zu gehen und gegen alles zu halten. Es gibt Leute, die sagen, dass das von Pippi kein feiner Zug war, immer die anderen unter Zugzwang zu setzen.

Sie haben auch Kinder, wie reagieren die auf Pippi, wenn sie sie lesen?

Eismann: Die finden sie cool, ich habe sie ihnen natürlich vorgestellt, auch als anarchisches und feministisches Vorbild. Pippi gilt vielen als die erste Feministin und die erste Anarchisten, auch als der oder die erste Punk. Sie fanden die ganz interessant, aber sie finden sie durchaus etwas aus der Zeit gefallen. Meine jüngere Tochter ist acht Jahre alt, sie findet das Setting ein bisschen altmodisch, weil das auch schon 80 Jahre alt ist. Ganz interessant finde ich auch, dass sie mir gesagt hat, sie findet das ein bisschen langweilig, dass sie keine richtigen Gegnerinnen und Gegner hat. Es fehlt der richtige Bösewicht. Meine Tochter meinte, der Bösewicht bei ihr sind nur der Staat und die Polizei. Das finde ich ganz schön, dass sich die Zeiten so gewandelt haben, dass das institutionalisierte Patriarchat, was bei Pippi durchaus auch der Staat und die Polizei sind, dass das heute in der Form nicht mehr für die Kinder existiert.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott

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21.05.2025 | 16:00 Uhr

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