Der neue Schriftzug an einer Glasscheibe in der Charlottenburger Fasanenstraße ist für jeden Passanten gut sichtbar, lässt sich aber schwierig lesen. Denn von außen sieht man ihn nur spiegelverkehrt. Wenn man aber die öffentlich zugängliche Halle im „Ludwig Erhard Haus“ betritt und einen Blick hinauswirft auf die Straße, liest man in großen Lettern: „EXPO 2035 Berlin“.

Der Schriftzug ist ein Hinweis auf einen neuen Mieter im „Gürteltier“, diesem retro-futuristischen Bürobau der Neunzigerjahre, der einige der wichtigsten Institutionen der lokalen Wirtschaft beherbergt, darunter die Industrie- und Handelskammer (IHK), die Standortmarketinggesellschaft Berlin Partner und den Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI).

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Sicher war es ursprünglich wichtig, dass Mitarbeiter und Besucher dieser Wirtschaftsinstitutionen erfahren, was hier vor sich geht: Diesen Freitag wollen die Initiatoren aber nun doch einen Schritt nach außen gehen und die Stadtgesellschaft ansprechen mit ihrer Idee von einer Bewerbung um die Ausrichtung einer Weltausstellung („Expo“). Dafür eröffnen sie feierlich ein Großraumbüro und präsentieren einen Slogan, den sie schon vereinzelt getestet haben: „Made by Alle. Made for uns“. Mehr als 300 Gäste haben sich schon angemeldet.

Am Anfang stand ein Artikel im Tagesspiegel

Ob es jemals wieder eine „Weltausstellung“ in Berlin geben wird, ist noch nicht ausgemacht. Es wäre die erste seit der – halboffiziellen – „Berliner Gewerbeausstellung“ im Jahr 1896. Aber für immer mehr Berliner ist das denkbar, wie Umfragen zeigen. Also nicht nur für politische Entscheidungsträger, sondern für ganz normale Bürger der Stadt.

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Schöpfer dieser Idee ist der Unternehmer Daniel-Jan Girl. Die Tagesspiegel-Redaktion hatte ihn Anfang 2022 in seiner damaligen Funktion als ehrenamtlicher Präsident der Berliner IHK ermuntert, für die Serie „75 Visionen für Berlin“ einen Gastbeitrag zu schreiben. Darin skizzierte er, wie sich Berlin für das Jahr 2035 um die Ausrichtung einer Weltausstellung bemühen könnte.

Anstatt aber – wie bisher bei Expos von Hannover (2000) bis Osaka (2025) üblich – mehr als einhundert Pavillons auf eine Brache zu stellen, regte Girl eine über die Stadt verteilte Ausstellung an. Leitmotiv aller „Sehenswürdigkeiten“ könnten Projekte sein, mit denen es Berlin im Jahr 2035 als erste Metropole der Welt geschafft haben wird, alle siebzehn Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen umzusetzen – oder es wenigstens versucht zu haben.

Seit Monaten stellt die Initiative „Global Goals für Berlin“, die die Expo-Bewerbung vorantreibt, Klaviere an öffentlichen Orten in der Hauptstadt auf, um Leute mit der Musik zusammenzubringen: Dieses steht im Foyer des Ludwig Erhard Hauses in der Fasanenstraße.

© Kevin P. Hoffmann

Girl gründete mit Mitstreitern den Verein Global Goals für Berlin. Dem ist es seither nicht nur gelungen ist, prominente und einflussreiche Mitglieder zu gewinnen und ungewöhnliche Begegnungssituationen zu schaffen, zum Beispiel durch die 17 an öffentlichen Orten aufgestellten Klaviere (Standorte hier).

Der Verein vernetzt auch teils sehr kleine Initiativen. Jeden Tag kommen rund 50 neue dazu, berichtet er dieser Tage: vom „Nirgendwo“, einem „Umweltbildungs- und Kulturort“ im Wriezener Park im Schatten des berühmten Clubs „Berghain“ in Friedrichshain bis zum „Fahrradgang Berlin e.V.“, um nur zwei von Hunderten zu nennen.

Alle arbeiten mit viel Enthusiasmus für das Ziel einer nachhaltigeren Welt, aber bisher zu oft für sich allein. Global Goals könnte ihnen Sichtbarkeit, Kontakte und Einfluss verschaffen – sowie jetzt eben auch Büroarbeitsplätze im Ludwig Erhard Haus.

Streng genommen ist der Verein nur Vermittler. Vermieter ist ST3AM (spricht „Steam“, wie „Dampf“), ein Co-Working-Space-Betreiber der landeseigenen Wista Management, der Betreibergesellschaft des größten europäischen Wissenschafts- und Technologieparks in Adlershof und mehrerer sogenannter „Zukunftsorte“, das sind Gewerbegebiete mit Fokus auf Innovationen.

Landeseigene Wista betreibt das Großraumbüro

Am Freitag können Interessierte sich die Arbeitsplätze im durchgestylten Bürotrakt anschauen – und sich für rund 300 Euro im Monat einmieten. Wer das tut, kann Gedanken schaukeln lassen in Stühlen, die an Seilen von der Decke hängen und unter Licht aus kupferfarbenen Glasblasen, sondern bekommt zwangsläufig Kontakt zu dem Global-Goals-Team, das derweil weiter am Expo-Bewerbungskonzept schraubt – und zu anderen Initiativen.

Ein Meetingraum im neue Büro der Expo-Initiative im „Ludwig Erhard Haus“ in Charlottenburg. Vermieterin ist die Wista, Berlins landeseigene Betreibergesellschaft des Technologieparks Adlershof.

© Kevin P. Hoffmann

Initiator Daniel-Jan Girl sagt, er glaube, dass der Expo-Plan in den vergangenen drei Jahren auch deshalb so viel Schwung bekommen habe, weil die Themen dahinter nochmal relevanter geworden seien. Alle sähen „die Notwendigkeit, ein starkes Zeichen zu setzen für Demokratie, für Partizipation und für die Nachhaltigkeitsziele.“

Weiteren Schub habe in diesem Jahr das Versprechen der Berliner Wirtschaft gebracht, „dass wir das selber finanzieren“. Eine Expo 2035 müsse aus Perspektive der Steuerzahler eine schwarze Null schreiben, stellt er klar. Berlin müsse verdienen – und das nicht nur indirekt, etwa durch eine touristische Stadtrendite, also über Extra-Umsätze in Restaurants und Hotels.

Girl berichtet von einer „hohen Bereitschaft“ von Unternehmen, sich zu engagieren, also „entweder Mitglied zu werden bei uns im Verein oder sogar Anteilseigner oder Investor in der Fördergesellschaft zur Bewerbung der Expo.“

Der ehemalige IHK-Präsident Daniel-Jan Girl ist Vorstandsvorsitzender des Vereins Global Goals für Berlin und Initiator der Bewerbung Berlins für die EXPO 2035.

© Kevin P. Hoffmann

Skeptiker werden entgegnen, dass sich die lokale Wirtschaft über ihre Kammern und Verbände in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder für eine Bewerbung Berlins um Olympische Spiele starkgemacht hatte. Diese Vorhaben hatten zwar jedes Mal Eindruck bei der Politik gemacht, scheiterten aber, weil es keine mehrheitliche Zustimmung in der Bevölkerung gab.

Girl und seine Mitstreiter haben offensichtlich aus den Fehlern anderer gelernt und versuchen, ihr Projekt wie eine Graswurzelbewegung anzulegen. Konkret sucht er Unterstützer, die nicht Geld geben sollen, sondern ihren Namen, ihr Gesicht und ein bis zwei Sätze dazu, was sie beitragen wollen oder sich von einer Expo 2035 in Berlin wünschen. Einige Dutzend „Gesichter“ gibt es schon – 250.000 sollen es werden.

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Die Politik müsste sich nach Girls Einschätzung in spätestens 12 bis 18 Monaten auch formal zu dem Projekt bekennen, um in Paris beim Bureau International des Expositions (BIE), das die Weltausstellungen weltweit vergibt, eine amtliche Bewerbung einreichen zu können. Bis dahin liegt noch viel Arbeit vor ihm.