Berlin – Der Lehrer (43) kam einst aus Brasilien nach Deutschland und vor neun Jahren an die Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit. Hier haben 95 Prozent der 300 Schüler einen Migrationshintergrund. Kurz bevor die Schulen wegen der Corona-Pandemie schlossen, sagte der Lehrer seinen Schülern, die ihn nach Frau und Kindern fragten, die Wahrheit: Er lebe mit seinem Ehemann zusammen.
Als die Schulen 2023 in Berlin wieder öffneten, begann für den 43-Jährigen ein Albtraum. Der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Märkischen Oderzeitung“ erzählte er seine Geschichte. Eine Geschichte über Hass, Bedrohungen und Anschuldigungen.
Schwulenfeindliche Beleidigungen an Grundschule
Bereits am ersten Schultag in Präsenz, so zitiert die „SZ“ aus dem Protokoll einer Lehrerkollegin, soll ihn ein Schüler namens Y. aus der 5. Klasse schwulenfeindlich beleidigt haben. Der Pädagoge wollte mit dem Kind darüber reden, aber „Y. bäumte sich auf, bedrohte Herrn […] körperlich und machte vor der gesamten Klasse weiterhin Witze über den Pädagogen.“
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Doch bei einem grausamen Vorfall blieb es offenbar nicht. Der Lehrer soll mit den Worten, er sei „eine Schande für den Islam“ beschimpft worden sein. Ein Sechstklässler soll gesagt haben: „Du Schwuler, geh weg von hier. Der Islam ist hier der Chef.“
Dass er Jude ist, hatte er den Kindern, von denen die meisten einen muslimischen Hintergrund haben, nicht gesagt. Laut „SZ“ soll ein israelischer Mitarbeiter die Schule vorher wegen Anfeindungen verlassen haben.
Laut Recherchen der Zeitung hatte der Lehrer Unterstützung bei Vorgesetzten gesucht. Doch stattdessen habe ihn eine Kollegin beschuldigt, „zu nah“ an Schülern gesessen zu haben. Dabei habe er den Schülern lediglich eine Doku über Stolpersteine für ermordete Juden gezeigt, weil ein Kind danach gefragt hatte, schilderte er der Zeitung.
Der Lehrer versuchte, den Schülern etwas über Stolpersteine beizubringen
Foto: Paul Zinken/dpa
Lehrer leidet unter Panikattacken
Der Leiter der Schulaufsicht Mitte soll ihm laut „SZ“ zusätzlich einen Brief geschickt haben, dass er einen „professionellen Umgang mit Schülerinnen und Schülern erwarte unter Wahrung einer körperlichen und emotionalen Distanz“. Der Lehrer zeigte sich fassungslos gegenüber der „SZ“: „Ich bin es doch, der hier diskriminiert wird.“
Der 43-Jährige ist mittlerweile krankgeschrieben, leidet unter Panikattacken. Jetzt wehrt er sich rechtlich.
Hier unterrichtete der schwule Lehrer
Foto: Til Biermann
„Ein Vorbild für die Kinder“
Anonym sagten Pädagogen-Kollegen der „SZ“, er sei ein „geduldiger, ruhiger“ Kollege gewesen, „ein Vorbild für die Kinder.“ Er habe Schülern geholfen, Lesen zu lernen. Eine Lehrkraft sagte zum Mobbing: „Der Islam zieht an unserer Schule immer weitere Kreise.“
Von Behörden bekam die „SZ“ keine Antworten. Die Schule verweist an die Senatsverwaltung für Bildung.
Deren Pressesprecher Martin Klesmann schrieb auf BILD-Anfrage: „Zu Personaleinzelangelegenheiten äußern wir uns grundsätzlich nicht.“ Und: „Ganz allgemein: Die Senatsverwaltung […] hat durch die Besetzung der Stellen, die Antidiskriminierungsbeauftragten für Berliner Schulen sowie der Antimobbingbeauftragten für Berliner Schulen diese Themenbereiche mit zusätzlichen Ansprechpartnern verstärkt.“
Pressesprecher für Bildung, Martin Klesmann
Foto: christian lohse
BILD fragte vor Ort an der Schule. Eine Mitarbeiterin: „Das ist schon so lange her, ich kenne den gar nicht.“ Und eine Frau mit streng gebundenem Kopftuch, die aus der Schule kommt, fügte hinzu: „So wie ich die Schülerschaft hier kenne, kann ich mir das nicht vorstellen.“
Mittlerweile haben „Die Grünen“ für die Bezirksverordnetenversammlung Mitte eine dringliche Anfrage zu den Vorgängen an der Carl-Bolle-Grundschule gestellt. Die Fraktion habe erst durch die Berichterstattung von den Vorfällen erfahren.