Die ukrainische Kuratorin Alona Karavai führt Besucher durch die Ausstellung, als plötzlich ein Schuss ertönt. Ausgelöst hat den Knall eine Beinprothese, die von einer der Decken der beiden Ausstellungsräume hängt. Die an einem Kranarm befestigte Prothese schnellt nach vorn, wie wenn das künstliche Gliedmaß nach einem Ball treten würde. Karavai nennt das einen „Kick“, der alle drei, fünf und dann neun Minuten zu hören und zu sehen ist.

Die Installation mit der Prothese versetzt den Besucherinnen und Besuchern also einen „Tritt“. Sie stehe „für das gegenwärtige Bild auf ukrainischen Straßen, wo man mehr und mehr Menschen mit Prothesen sieht“, erklärt die Kuratorin. Der ukrainische Künstler Nikita Kadan, von dem das Werk stammt, arbeitet in seiner Heimat mit Kriegsverletzten. Für seine Arbeit wurde eine Prothese aus Deutschland gespendet, denn in der Ukraine werde jede Prothese gebraucht, betont der Künstler.

Krieg in der Ukraine ist zentrales Thema

Die Arbeiten der ukrainischen Künstler in der Ausstellung befassen sich ausnahmslos mit dem aktuellen Krieg – vorbei kommt daran niemand, weiß Alona Karavai. Die Künstlerinnen und Künstler sind auf Sichtbarkeit angewiesen, da sie in ihrer Kunst die unmittelbaren Auswirkungen des Krieges auf die Menschen thematisieren. Wie etwa die Arbeit „Flower Bed“ der jungen ukrainischen Künstlerin Dasha Chechushkova aus Odessa. Ihre Installation ist ein kleines, kreisrundes Beet, umrandet von 13 Betonplatten. Diese sind Menschen gewidmet, die im Krieg etwas verloren haben – ihre Freiheit oder sogar ihr Leben. Kuratorin Karavai selbst hat unlängst Samen auf den kreisrunden Erdhaufen gestreut. Was da nun wachse, sei Sehnsucht sagt sie.

Zusammenarbeit von ukrainischen und deutschen Künstlern

Die Pochen Biennale findet seit 2018 alle zwei Jahre in Chemnitz statt. Mit einem kulturellen Beitrag wollte sich der verantwortliche Spinnerei e. V. auch beim Kulturhauptstadtjahr 2025 einbringen, wurde jedoch als Bewerber abgelehnt. Beteiligen wollten sich die Künstlerinnen und Künstler aber trotzdem. Das aktuelle Projekt wird vom städtischen Kulturbüro, dem sächsischen Ministerium für gesellschaftlichen Zusammenhalt und der Kulturstiftung des Bundes finanziert.

Mit der Ausstellung „Woraus wir gemacht sind“ wird laut Kurator Benjamin Gruner die schon bestehende Zusammenarbeit von ukrainischen und deutschen Künstlern weitergeführt. Sie solle „das dialogische Wirken von künstlerischen Positionen aus der Ukraine und aus Deutschland zeigen“, so Gruner, der die Schau gemeinsam mit Alona Karavai kuratiert hat. Die Ausstellung sei erst der Beginn einer Auseinandersetzung mit dieser Thematik unter dem Begriff der Resonanz, erläutert Gruner weiter.

 Auch die Menschen in der Ukraine fühlen sich in ihrem täglichen Leid ungesehen.

Benjamin Gruner

Ebenfalls Teil der Ausstellung sind Arbeiten von Eric Meier, einem Künstler aus Frankfurt an der Oder. Er beschäftige sich „sehr biografisch mit dem sozialistischen Erbe und den Folgen der DDR“, erklärt Benjamin Gruner. Zentral sei in seiner Arbeit der Umgang mit Material vor allem Beton und Glasbaustein. Von ihm ist eine Wandgravur ausgestellt. Es gehe um Materialien, in dieser Thematik überschneiden sich alle Arbeiten, meint Benjamin Gruner. An den Arbeiten können die Besucherinnen und Besucher QR-Codes scannen und auf ihrem Smartphone dann die Künstler selbst über ihre Werke reden hören. 

Bezug zum Motto der Kulturhauptstadt „C the Unseen“

Ob Stein, Beton, Glas, Keramik – Dinge, die uns hier umgeben, finden sich auch in Kriegsgebieten wieder. Auf den ersten Blick scheint die Ausstellung zweigeteilt: Sie zeigt aktuelle Werke ukrainischer und deutscher Künstler. Doch Kurator Benjamin Gruner betont: „Es ist natürlich auch ein solidarisches Handeln, sozusagen im Austausch zu bleiben, sich zu vernetzen und ja, eine sehr lebendige, zeitgenössische Kulturarbeit zu leisten.“

Benjamin Gruner erklärt außerdem, dass das Motto der Kulturhauptstadt „C the Unseen“ nicht nur für Chemnitz passend sei: „Wie fühlen uns vielleicht in Chemnitz und der Region ungesehen. Aber auch die Menschen in der Ukraine fühlen sich in ihrem täglichen Leid ungesehen.“ Ihr Schicksal sei es, die europäischen Ideen und Werte an der Frontlinie zu verteidigen. Und wer gesehen werde, könne vielleicht besser mit seinen alltäglichen Schicksalen und schwierigen Erfahrungen umgehen.