Leopoldshöhe. Schlaflose Nächte liegen hinter Mirjam und Christian Thiessen aus Leopoldshöhe. Wochenlang hoffen sie verzweifelt, dass ihre fünfjährige Tochter Celine einen Platz in der Offenen Ganztagsschule (OGS) der Grundschule Asemissen bekommt. Doch am Ende entscheidet das Los – mit bitterer Enttäuschung für die Familie.
Seit 2019 leben die Thiessens mit ihren beiden Töchtern in der lippischen Gemeinde. Beide Kinder besuchen derzeit die örtliche Kita. Nach den Sommerferien soll Celine an der Grundschule Asemissen eingeschult werden. Die Eltern hoffen, dass sie zusätzlich einen OGS-Platz erhält, um die Nachmittagsbetreuung sicherzustellen.
An der Grundschule Asemissen stehen 125 Plätze für die Ganztagsbetreuung zur Verfügung, berichtet Schulleiterin Diana Fleer. Für das kommende Schuljahr sind 35 Neuanmeldungen eingegangen. Die Schule vergibt die Plätze zunächst an Kinder auf der Warteliste. Danach berücksichtigt sie Geschwisterkinder und Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Alle weiteren fristgerecht eingegangenen Anmeldungen landen im Lostopf.
Vater aus Leopoldshöhe zu 100 Prozent schwerbehindert
In der zweiten Woche der Osterferien trifft der erwartete Brief ein – doch statt der erhofften Zusage landet Celine nur auf der Warteliste. Ein Schock für die Familie. „Ich habe sofort angefangen zu weinen“, sagt die 39-jährige Mutter. Beide Eltern arbeiten in Teilzeit bei einem sozialen Träger im Kreis Lippe – sie als Erzieherin, er als Sachbearbeiter in der Finanzbuchhaltung. Hinzu kommt: Christian Thiessen ist vollständig blind und gilt als 100 Prozent schwerbehindert.
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Dass die knappen OGS-Plätze per Zufallsprinzip vergeben werden – ohne Berücksichtigung sozialer Kriterien – stößt bei den Eltern auf Unverständnis. „Es ist frustrierend zu wissen, dass unsere persönliche Situation bei der Entscheidung überhaupt keine Rolle spielt“, sagt Mirjam Thiessen.
OGS-Platzvergabe wird über das Losverfahren geregelt
In einem Schreiben des OGS-Trägers, der Volkshochschule Lippe (VHS), heißt es: „Gemäß Betreuungsvertrag, Blatt Information zum Anmeldeverfahren, haben wir ein Losverfahren durchgeführt. Ihr Kind wurde dabei nicht gezogen und erhält zunächst nur einen Platz auf der Warteliste.“
Kornelia Koch von der VHS Lippe-West, die für die Offenen Ganztagsschulen zuständig ist, erklärt: „Allen Eltern, die einen OGS-Platz beantragen, ist das Verfahren bekannt.“ Das Losverfahren werde bereits seit mehreren Jahren angewendet. Gemeinsam mit der Schulleitung und der Gemeinde Leopoldshöhe sei an der Grundschule Nord versucht worden, ein alternatives Verfahren zu entwickeln, das soziale Aspekte einbezieht. „Damals stand bei der Vergabe eines OGS-Platzes eine Familie mit einer Krebserkrankung einer Familie mit einer psychischen Erkrankung gegenüber“, sagt Koch. „Wer will das bewerten“, fragt sie. Jedes Jahr stelle das Auswahlverfahren eine große Herausforderung dar. „Es ist keine optimale Lösung und nicht immer gerecht, aber ein sachliches Verfahren“, betont sie.
Rechts im Bild: der OGS-Trakt der Grundschule Asemissen. Die Schule soll einen Anbau erhalten, um künftig den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung erfüllen zu können.
| © Anna Lena Hinder
Platzsituation an der Grundschule Asemissen angespannt
Auch der Schulleitung und der Gemeindeverwaltung ist der Fall der Familie Thiessen bekannt. Die Erfahrung zeige, dass sich bei der Platzvergabe oft noch etwas bewegen lasse. Laut Schulleiterin Fleer komme es hin und wieder vor, dass Familien abspringen. „Die Warteliste bleibt dennoch bestehen“, sagt Fleer. In solchen Fällen rücke automatisch die nächste Familie von der Warteliste nach. Die Platzsituation an der Grundschule Asemissen sei seit Langem angespannt, sagt Andrea Rodekamp, Fachbereichsleiterin für Bildung und Soziales. Um den ab 2026 geltenden Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung erfüllen zu können, erhalte die OGS einen Anbau.
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Familien, die für das kommende Schuljahr keinen Platz in der OGS erhalten, versuche man zumindest in der Randstundenbetreuung unterzubringen, so Rodekamp weiter. „Sollte auch das nicht möglich sein, empfehlen wir den betroffenen Eltern, sich an Tagesmütter oder -väter zu wenden.“ Inzwischen habe die Schule allen zehn Familien, die beim Losverfahren leer ausgegangen sind, einen Platz in der Randstundenbetreuung bis 13.10 Uhr ab dem 1. August angeboten – auch Familie Thiessen. Laut Schreiben des OGS-Trägers allerdings unter Vorbehalt. „Die endgültige Zusage des Betreuungsplatzes kann erst nach Bewilligung der öffentlichen Mittel durch das Land erfolgen. Diese liegt in der Regel Ende Juni oder Anfang Juli eines Jahres vor“, heißt es in dem Schreiben.
„Im schlimmsten Fall die Arbeitszeit reduzieren“
„Viel zu spät, um verlässlich planen zu können“, kritisiert Familie Thiessen. Sie hält diese Lösung für alles andere als ideal. Mutter Mirjam müsste ihrem Arbeitgeber mitteilen, dass sie ihre Tochter künftig täglich pünktlich um 13.10 Uhr abholen muss – spontanes Einspringen auf ihrer Arbeit in der Kita sei dann kaum noch möglich.
Im schlimmsten Fall, sagt sie, müsse sie ihre Arbeitszeit reduzieren. Das hätte nicht nur finanzielle Folgen für die Familie, sondern könne auch die Betreuungssituation in ihrer Kita-Gruppe gefährden. Hinzu kommt: Vater Christian kann seine Tochter wegen seiner Erblindung nicht allein von der Schule abholen. „So bleibt vieles an meiner Frau hängen“, sagt er.
Die Familie will den Platz in der Randstundenbetreuung zunächst annehmen – und dennoch die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich vielleicht doch noch eine andere Tür für sie öffnet.