Was vermuten Sie: Ist Kokain heute eine gängige Droge?
Wenn „gängig“ bedeutet, dass es weit verbreitet ist – ja. Wahrscheinlich ist es weiter verbreitet als zu meiner Zeit. Ich hab‘ selber auch Kokain genommen, beginnend in den achtziger Jahren, in meinen zwanziger, dreißiger Jahren bis Anfang vierzig. Das war zu der Zeit viel teurer als heute. Ich kenne die aktuellen Preise nicht, vermute aber, dass es weit unter hundert Euro liegt. In den achtziger und den frühen neunziger Jahren hat Kokain weit über 200 Mark gekostet. Ich meine, es hätte mit 250, 260 Mark angefangen. Seitdem ist es immer billiger geworden.

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Derzeit liegt der Preis angeblich unter 80 Euro pro Gramm. Dass Kokain billiger und weiterverbreitet ist, kann man auch aus den großen Mengen schließen, die gelegentlich beschlagnahmt werden: Die scheinbaren Verknappungen führen nicht dazu, dass der Preis wieder steigt.
Was ich auch beobachte – und das hat natürlich mit dem Geld zu tun –, ist, dass die Leute heute eher zehn Jahre jünger sind als zu meiner Zeit. Ich habe mit Mitte 20 angefangen. Vorher konnte ich mir das gar nicht leisten. Da war ich eher einer der jüngeren unter denen, die das genommen haben. Ich weiß es auch durch meine Tochter. Sie ist Anfang zwanzig, hat einen großen Bekanntenkreis, alle so Anfang zwanzig. Ich denke, dass ein Drittel von denen Kokain nimmt.

Der Mann vom Fach

Der Gesprächspartner betreibt seit vielen Jahren eine gut etablierte Bar im Zentrum der Stadt.

Aus geschäftlichen Gründen – das Thema „offener Kokain-Konsum“ hat auch polizeiliche Bezüge – möchte er in Absprache mit seinen Partnern anonym bleiben.

Ist der Konsum von Drogen beim Besuch Ihrer Bar verbreitet?
Das ist schwer einzuschätzen. Klar konzentriert sich das an so einem Ort oder einer Diskothek oder einem Club, im Nachtleben allgemein.

Wenn Sie als Beobachter hinter der Bar Ihre Arbeit machen, woran glauben Sie zu erkennen, ob Kunden Drogen genommen haben?
Man hat ja eine gewisse Menschenkenntnis. Man sieht es an Gesten, Mimiken, an gewissen Gesichts-Zuckungen – das ist typisch für Kokain-Konsumenten. Das offensichtlichste Zeichen ist, dass die Leute sehr gesprächsaktiv sind. Und zwar mehr oder weniger unbestimmt. Es wird jeder voll gequatscht mit sinnlosem Zeug – unzusammenhängend. Gesprächspartner werden willkürlich gewechselt.

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Das heißt nicht immer, dass die Leute auf Kokain sind – auch Alkohol ist eine gesprächsfördernde Droge, auch andere Psychopharmaka sind es. Man kann ja den Leuten keinen Bluttest abnehmen, wenn sie die Bar betreten. Was wir hinter dem Tresen zu Kokain sagen, ist „Laberpulver“: Die Leute labern halt blind drauflos, das ist immer ein ziemlich deutliches Zeichen.

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Beobachten Sie, dass Leute zu mehreren die Toilettenräume aufsuchen, um dort Drogen zu nehmen?
Ja. Wenn Leute zu zweit, zu dritt, zu viert, zu fünft Richtung Toilette marschieren, kann man sich denken, dass die nicht zum Gruppensex dahingehen. Auch das ist ein Unterschied zu meiner Zeit: Wir haben versucht, das sehr diskret zu machen. Heute haben viele eine selbstverständliche Haltung dazu. Sie nehmen keine Rücksicht mehr – weder auf eine eventuelle polizeiliche Verfolgung, noch haben sie Respekt vor den Gastgebern, noch vor anderen Gästen, wenn sie zwanzig Minuten die Toilette blockieren. Auch das hat mit der Droge zu tun: sie enthemmt.

Heute nähmen Konsumenten keine Rücksicht mehr, sagt der Barkeeper.

© imago/Panthermedia

Wie gehen Sie damit um?
Wenn es zu offensichtlich wird, zu blöd, dann fragen wir schon mal: Was macht Ihr da? Haltet Euch an die Regeln und benehmt Euch. Ich würde niemals – und habe das auch noch nie gehört – jemandem mit der Polizei drohen. Ich finde es auch moralisch fragwürdig, jemandem die Polizei auf den Hals zu hetzen. Aber ich denke, dass dieser Respekt vor gewissen Regeln immer mehr verschwindet.

Wenn wir hier eine wilde Nacht haben und davon ausgehen, dass gekokst wird, verkaufen wir extrem viel Vodka-Sodas.

Berliner Barkeeper, anonym, über das Standard-Getränk der Kokain-Konsumenten

Was ist nach Ihrer Wahrnehmung die gängigste Kombination von einem Drink mit Kokain?
Das kann man sagen. Wenn wir hier eine wilde Nacht haben und davon ausgehen, dass gekokst wird, verkaufen wir extrem viel Vodka-Sodas. Das ist das schlechteste Getränk, was man als Gast bestellen oder als Barkeeper ausschenken kann. Es ist die neutralste Methode, Alkohol zu sich zu nehmen. Kokain betäubt ja auch die Geschmacksnerven. Vodka-Soda ist das Gegenteil von einem Cognac oder der verschwenderischen Völlerei eines altmodischen Cocktails mit Ei, Sahne, schweren, dunklen Alkoholika. Wenig Aufwand bei vermeintlich minimierten Nebenwirkungen, wie den Kalorien – und der Maximierung des Rausches. Die Leute trinken dann Alkohol wie Wasser.

Die volle Dröhnung also.
Vodka-Soda hat den bezeichnenden Namen „Skinny Bitch“ – ein ekelhafter Name, finde ich, wirklich zum Kotzen. Skinny Bitch ist auch ein Synonym für Kokain – insofern ist der Drink das passende Getränk.

Haben Sie den Eindruck, dass Barbesucher auch Drogen wie Crystal Meth bei einem Barbesuch nehmen?
Dazu kann ich nichts sagen. Ich kenne Crystal Meth nur aus der Serie „Breaking Bad“ und weiß nicht, wie es aussieht und wie es riecht. Meines Wissens ist es eher eine Arme-Leute- und Arbeiter-Droge – Leute nehmen es, um Leistungsdruck zu kompensieren. Das ist im Nachtleben weniger gefragt.

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Mussten Sie schon mal jemanden aus der Bar hinauswerfen lassen, weil er Drogen- und Alkohol-bedingt nicht mehr bei sich war?
Ja, das passiert natürlich auch mal – einmal im Quartal oder noch seltener.

Wie verhält es sich in Ihrer Umgebung außerhalb der Bar? Breitet sich der Konsum von Kokain und Crack weiter aus?
Was das öffentliche Bild angeht, die U-Bahn oder den Straßenstrich: Es gibt immer diese Drogenkieze, mal offensichtlich, mal weniger offensichtlich. Ich bin seit den achtziger Jahren in Berlin – ich würde sagen, es ist heute dasselbe wie in den achtziger Jahren.

Wann und wo finden Sie den Konsum problematisch?
Der Konsum ist immer problematisch, objektiv betrachtet. Ob das Kokain oder Alkohol ist, es ist immer ein Zeichen. Irgendwas stimmt mit den Leuten, mit den Persönlichkeiten nicht. Insofern sind Drogen und Alkohol ein Problem.

Sie haben sinngemäß mal gesagt, der Rausch gehöre zum Menschen. Warum ist das so?
Jeder, der ein bisschen Lebenserfahrung hat, weiß ja, wie schwer das Leben ist, was es für eine Bürde sein kann, auf verschiedenen Ebenen. Und dann gibt es verschiedene Methoden und Techniken, mit dieser Bürde umzugehen. Eine dieser Techniken, ist seit tausenden von Jahren, dass man sich berauscht. Die Drogen wechseln.

Aber dass der Mensch so das Leben schafft, kann man nicht von jedem erwarten. Es gibt Leute, die können das. Ob die dabei glücklicher sind oder unglücklicher, ist eine andere Frage. Ein Leben völlig ohne Rausch, nur der Vernunft gewidmet, bedeutet nicht automatisch ein gutes und leichtes Leben. Auch die Vernunft gebiert Monster.

Ganz polemisch: die berühmtesten Nicht-Alkoholiker, die mir spontan einfallen, heißen Hitler und Himmler – unsere deutschen bösen Geister. Und die von heute: Donald Trump und Wladimir Putin. Nüchterne Menschen. Den Leuten aufzuoktroyieren, nie wieder Drogen zu nehmen – das ist nicht die Lösung.

Machen wir heute zu viel Gewese um radikale Nüchternheit, den dry January, den Konsum von Drogen wie Kokain?
Zu viele Gewese wird überall gemacht, weil wir in dieser Scheiß-Medien-Gesellschaft leben, in dieser Aufmerksamkeits-Ökonomie-Gesellschaft. Da verkaufen sich diese Extrem-Haltungen, Extrem-Forderungen immer besser.

Dazu passt der verbreitete Kokain-Konsum: Es ist eine Droge für Poser und Selbstdarsteller. Sie passt insofern zum Zeitgeist der Social-Media-Welten mit ihren Idealbildern und dem mehr Schein-als-Sein Prinzip. Was ich vor alle für ein Problem halte, für ein popkulturelles Problem: dass Drogenkonsum seit fünfzig Jahren auf allen Kanälen verherrlicht wird. Jede Netflix-Serie ist letztendlich Reklame für Drogenkonsum.

Haben Sie den Eindruck, dass es bei uns eine Kampagne gegen jede Art von Alkoholkonsum gibt?
Das glaube ich schon. Speziell in den vergangenen zwölf Monaten. Es gibt ja diese WHO-Studie, die medial sehr ausgebreitet worden ist und in der jeder Schluck Alkohol als Zell- und Nervengift verdammt wird. Auf medizinischer Ebene ist das sicher so. Andererseits muss man bedenken, dass so eine Forderung, die jede Art von Drogen- und Alkoholkonsum verteufelt, neoliberalen und kapitalistischen Interessen dient. Ich finde es ganz gut, wenn es einen Gegenpol dazu gibt.

Ich erinnere mich an einen Spruch von einem Taxifahrer aus den achtziger Jahren. Taxifahrer damals waren eh ein spezielles Milieu – viele Drogenköpfe dabei. Der hat damals gesagt: Die Gesellschaft dröhnt einen so zu – da muss man irgendwie zurückdröhnen. Diesen Spruch habe ich nie vergessen.