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Russland gibt sich stark und mächtig, doch ist das mehr Schein als Sein? Militärökonom Marcus Keupp erklärt, wie Wladimir Putin taktiert und weshalb Deutschland mehr Realismus guttäte.
Binnen 24 Stunden wollte Donald Trump nach Amtsantritt den Ukrainekrieg beenden, das ist nun Monate her. Immer noch bekämpft Russland sein Nachbarland. Damit wird das Kremlregime auch nicht aufhören, sagt Militärökonom Marcus Keupp, der die Kampfhandlungen seit Februar 2022 analysiert. Aufgeben sei für Wladimir Putin keine Option.
Was treibt das russische Regime im Konflikt gegen die Ukraine und den Westen an? Warum ist Russland weit schwächer als in Deutschland angenommen? Und ab wann wäre ein russischer Angriff auf Nato-Territorium denkbar? Diese Fragen beantwortet Marcus Keupp, Autor des Buchs „Spurwechsel. Die Welt nach Russlands Krieg“, im Gespräch.
t-online: Herr Keupp, Donald Trump will die Waffen in Russlands Krieg gegen die Ukraine zum Schweigen bringen. Kann der US-Präsident damit erfolgreich sein?
Marcus Keupp: Trump hat keine Chance, langfristig gesehen jedenfalls nicht. Russland wird jede Kampfpause dazu nutzen, sich zu konsolidieren und wieder aufzurüsten. Dann wird die russische Armee die Ukraine erneut angreifen und versuchen, das gesamte Land zu unterwerfen. Alles andere ist bloßes Wunschdenken. Wir dürfen obendrein eine weitere Tatsache nicht ignorieren: Auch im Falle eines Endes der konventionellen Kriegshandlungen wird Russland seinen hybriden Krieg fortsetzen. Warum sollte Putin damit auch aufhören? In Putins imperialen Weltbild hat eine eigenständige Ukraine keinen Platz, er kann und will ihre Existenz nicht ertragen.
Sie halten also bestenfalls eine Atempause in diesem Konflikt für denkbar?
Davon gehe ich aus. Wir müssen Putin doch nur richtig zuhören, er macht aus seinen Ansichten wenig Hehl. Trump – und leider auch europäische Politiker – gehen Putin immer wieder auf den Leim. Das kürzliche Telefonat zwischen Washington und Moskau hat es doch erneut demonstriert: Trump lässt sich von Putin vorführen. Wohin das Festhalten an Lebenslügen und Appeasement führen, sollte Russlands Krieg gegen die Ukraine doch allen Beteiligten hinreichend demonstriert haben. Derweil geht das Sterben an der Front weiter.
Marcus Matthias Keupp, Jahrgang 1977, ist Dozent für Militärökonomie an der Militärakademie der ETH Zürich. Der habilitierte Betriebswirt geht in seiner Forschung klassischen militärökonomischen Fragen nach und befasst sich auch mit der Sicherheit von Versorgung und kritischer Infrastruktur. 2019 erschien Keupps Buch „Militärökonomie„, das inzwischen auch in englischer und französischer Sprache erhältlich ist. Am 30. Mai 2025 kommt mit „Spurwechsel. Die Welt nach Russlands Krieg“ das neue Buch des Militärökonomen heraus.
Wie schätzen Sie die derzeitige Lage dort ein?
Die russische Armee erobert Dorf für Dorf im Donbass, aber der Preis für die Russen ist furchtbar: Russland blutet aus. Langsam, aber sicher. Seit Beginn der Vollinvasion im Februar 2022 hat der Kreml rund 20.000 mechanisierte Systeme und Luftkampfmittel verloren. Keine Landarmee hat seit dem Koreakrieg in den Fünfzigerjahren in einem derart kurzen Zeitraum vergleichbare Verluste erlitten. Vielleicht siegt sich Russland zu Tode, das ist nicht unvorstellbar. Wir sollten uns daher dringend von liebgewonnenen Illusionen verabschieden: Russland ist nicht so mächtig, wie Putin uns glauben machen will. Der Kreml kann uns keinen Spurwechsel in seinem Sinne aufzwingen, wenn wir ihm das nicht ermöglichen.
„Spurwechsel“ lautet auch der Titel Ihres neuen Buches, in dem Sie Mythen rund um Russland dekonstruieren.
Die öffentlichen Debatten über diesen Krieg sind doch sehr weit entfernt von den militärischen, wirtschaftlichen und völkerrechtlichen Fakten. Mir ist es zunächst wichtig, die Unwahrheiten und Verschwörungsmythen in interdisziplinärer Perspektive rund um diesen Krieg zu entwerten. Zusätzlich möchte ich den Menschen klarmachen, dass es in diesem Krieg um weit mehr geht als um die Frontverläufe in der Ukraine. Wir befinden uns inmitten einer historischen Auseinandersetzung, in der es um die Frage geht, wie die Weltordnung aussehen soll.
Russland unter Putin strebt eine Welt an, in der das Recht des Stärkeren gilt.
So ist es. Im Prinzip will Putin zur Welt vor 1945 zurück: Es war ein Zustand fundamentaler Unsicherheit, wo im Prinzip jeder jeden sofort angreifen und mit Krieg überziehen konnte. Damit sind wir auch bei der Frage, warum niemanden der russische Angriff auf die regelbasierte Weltordnung kaltlassen sollte. Der heutige Welthandel erfolgt wesentlich über die Meere und Ozeane. Glaubt denn irgendwer, dass Aggressoren vor dem Handelsverkehr Halt machen würden? Wenn es zum Äußersten kommt, fallen wir zurück in ein Zeitalter der Isolation, mit schmerzhaften Folgen für nahezu jeden: Denn eine weltweite Rezession ist dann garantiert.